Axiomatic

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Axiomatic vor 2 Jahren 48 24
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Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Aus der Tiefe
Herbes und dunkles Grün, eine fordernde Duftkomposition für Aufgeschlossenere. Die Dufterfahrung kann auch leicht unheimlich werden, deshalb eine Warnung an Sanftmütige.
Diesem aus der Tiefe flehenden Fougère sollte man sich vorsichtig nähern. Vielleicht stimmt man sich vorher mit „De profundis“ von Johann David Heinichen (ca. 1724) ein, ein ergreifendes Klagelied.

Starten wir zunächst mit der Kopfnote. Die Eröffnung gestaltet sich ungewöhnlich würzig. Nicht in den Komponenten aufgelistet, vernehme ich eindeutig Liebstöckel. Dieses Kraut gilt gemeinhin als Erkennungsmerkmal der Firma Maggi. Nun, Brühwürfel hin oder her, dem Liebstöckel ist es völlig egal, womit er assoziiert wird, das Kraut riecht würzig frech vor sich hin.
Gepaart mit einer gehörigen Portion kräftig seriösem Rosmarin benutzen die beiden die zitrischen Noten lediglich als Vehikel, letztere sind eher flüchtige Schatten. Der erste Akt läßt keine Zweifel aufkommen, das Stück ist grün und würzig, sehr würzig!

So stolzieren die beiden Kräuter nebeneinander scheinbar sorglos durch eine sich trübende Landschaft. Keines der Beiden ahnt um das Vorhaben des Anderen. Bis jetzt konnten sie sich ja auch gut vertragen. Doch diese Gegend ist zu klein geworden für zwei. Aus der Ferne blitzen Muskat und Harze auf und lassen Schlimmes befürchten.

Im zweiten Akt wird es unheimlicher.
Denn sehr schnell übernimmt der geltungssüchtige Rosmarin die Oberhand, der Liebstöckel wird - zack - um die Ecke gebracht!
Ein rascher Tod.
Doch wohin mit der Leiche?
Am besten ins dunkle Dickicht, tief im furchteinflößenden Wald. Um die Spuren zu verwischen, reibt sich der Rosmarin die Hände mit einer leicht scharfen Gewürznelke.
Doch er ahnt es, Luminol könnte die leichten Blutspuren, die von der Rosengeranie und dem hochkonzentrierten Lavendel her durchschimmern, wieder sichtbar machen und ihn verraten.
Er muß jetzt einen klaren Kopf behalten und rational handeln. So schreitet er immer tiefer ins dunkle Dickicht voran. Der schwarzblaue Wacholder und die zwielichtige Muskatnuss weisen ihm den Weg, wo die Leiche verscharrt werden kann, neben der kleinen, unschuldigen Zeder. Wer käme auf die Idee, hier im naiven Streichholz-Hain danach zu suchen?
Jetzt nur noch die Lederhandschuhe anziehen und bedächtig eine Grube ausheben, um den leblosen Körper hinein zu legen und mit Erde zuzuschütten.
Und wie heißt es so schön? Lassen wir einfach Gras drüber wachsen. Aber wir sind ja im Wald hier, Gras würde nur auffallen.
Schauen wir uns doch mal um…
Na klar! Moos, sehr viel Eichenmoos wächst hier wie wild!
Die Stelle wird dicht mit der kriechenden Pflanze bedeckt. Und um ja keine scharrenden Tiere anzulocken, wird noch ein wenig Birkenteer mit verrieben.
Die Tat ist vollbracht.

Der dritte Akt wird schicksalshaft.
Den mit Ledermantel gekleideten Rosmarin plagen Gewissensbisse. Er kann auch noch so viel Eichenmoos zum Reinigen verwenden, erkannt wird er immer. Etwas Harziges wie leichter Weihrauch steigt dezent auf und mahnt zur inneren Einkehr.
Aus diesem dunklen Tal hallt erneut ein „De profundis“. Dieses Mal jedoch von Arvo Pärt (1980), wesentlich düsterer und ohne Hoffnung.
Er wünscht sich, die Tat ungeschehen zu machen, wieder ins Helle zu können. Doch wird er im Dunklen verbleiben und seine Schuld sühnen.

Dieses Meisterwerk aus dem Hause Bogart hat wie nur wenige Düfte eine spannende und dennoch dunkle Epoche geprägt. Mitte der 1970er waren die Weichen gelegt, die Gesellschaft konnte nicht mehr in die vermeintliche heile Welt der 1960er zurück. Vieles wurde überwunden, abgeschafft oder mit provozierender Manier entlarvt. Neue Wege in Sachen Partnerschaft, Familie und Moralvorstellung wurden beschritten.
Eine neue Männlichkeit erwuchs aus der Enge der vorangegangen Dekaden. Draufgängerisch, zügellos erotisch, liebevoll väterlich und aufgeschlossen. Mitunter sogar zynisch und dennoch zielstrebig.
Dass so eine spannungsgeladene Entwicklung nie reibungslos verlief, zeigten etliche Beispiele in der Filmwelt.

Mein persönlicher Favorit zum Duft ist Oliver Reed, einer der besten Schauspieler aus der Zeit. Eloquent, gebildet, gutaussehend, zynisch und charmant zugleich.
Wie kein anderer in jener Zeit verkörperte er diese neue Maskulinität. Schon früh sorgte er für einen waschechten Skandal, als er 1969 im Film „Women in Love“ (Liebende Frauen) eine sehr lange Szene nackt hinlegte. Es geht um ein Kräftemessen zweier Freunde vor einem Kamin.
Zwei Jahre später schockierte er in „The Devils“ (Die Teufel) ein moralisch-religiöses Publikum bis aufs Mark.
Und er hätte es fast zum James Bond Darsteller geschafft, doch er lehnte ab.
Privat lebte er das Leben in vollen Zügen, litt mitunter unter starkem Alkoholkonsum. Seine Fernsehauftritte verpaßten allen Konventionen einen gehörigen Tritt in den Hintern. Das Publikum forderte Skandale, er lieferte.
Aber er schien sein Leben lang zu leiden, als würden seine Übertretungen ihn ständig heimsuchen. Er fühlte sich missverstanden und eingeengt. Und immer war dieser sonderbare Blick in seinen großen, blauen Augen.

Doch nun zurück zum Duft.
Einer von Oliver Reeds besten Filmen ist ohne Zweifel „Burnt Offerings“ (Landhaus der toten Seelen) von 1976.
Es geht um die Geschichte der Familie Rolf auf der Suche nach einem Ferienhaus für den Sommer. Nach einer langen Fahrt durch verlassene und einsame Gegenden gelangen sie unverhofft zu einem gigantischen Anwesen, das von einem unheimlichen Geschwisterpaar vermietet wird. Ein nicht zu unterbietendes Lockangebot läßt alle Zweifel bei den Rolfs verfliegen. Nur müssen sie sich - eine Bedingung der Vermieter - während ihres Aufenthaltes um eine ältere Dame kümmern.
Die Rolfs ziehen für den Sommer schließlich ein und erleben den wahrhaftigen Alptraum ihres Lebens.
In der Mitte des Filmes erledigt Papa Rolf die Gartenarbeit, etliches Überwuchertes soll frei geschnitten werden.
Und hier paßt Bogart am Besten!
Umgeben von dunklem, dichtem Grün gönnt sich Oliver Reed eine Pause. Plötzlich wird er von den Geistern seiner Vergangenheit heimgesucht und geplagt. Er ist wie gelähmt im Dickicht, kann dem Schicksal nicht entkommen. Flehend versucht er dem ein Ende zu setzen. Es gelingt ihm nur vorläufig, denn er gerät weiter und tiefer in einem dunklem Sog schauderhafter Mächte.
Er durchläuft schmerzliche Verluste, sexuelle Abweisung, Entfremdung seines Sohnes, ja sogar eine körperliche Lähmung. Aus diesem Tal der Dunkelheit versucht er zu fliehen, seine Familie zu retten.
Wird es ihm gelingen?

Zum Film empfehle ich ein paar Sprüher des Duftes.

Gute Unterhaltung!
24 Antworten
Axiomatic vor 2 Jahren 43 21
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Familiengeheimnis
Es gibt Dufterlebnisse, die Verborgenes wieder an die Oberfläche spülen. Chanels Pour Monsieur ist so ein Duft.

Schon sehr früh mit Düften in Berührung gekommen, sollte ich mir zum 12. Geburtstag einen ganz besonderen Duft aussuchen. Da mein Vater stets Anfang der 1980er "Antaeus (Eau de Toilette) | Chanel" als Signatur trug, stöberte ich in Begleitung meiner Mutter und meiner Tante am Chanel-Stand nach möglichen Kandidaten. Zu der Zeit standen nur zwei Flakons zur Auswahl: schwarz oder klar/hellgrau. Schnell war die Wahl getroffen, als die herrliche italienische Begrüßung von Pour Monsieur mich einnahm, um dann eine französische Richtung einzuschlagen. Doch sollte sich mein Wunsch nicht erfüllen. Konsterniert schaute meine Tante prüfend meine Mutter an.
Mit leiser Stimme tuschelten beide was Kodiertes, das sich meiner Kenntnis entzog. So wurde aus Pour Monsieur schnell ein anderer Duft und keine weiteren Fragen durften gestellt werden.
Den Grund für die Ablehnung dieser herrlichen, klaren grünen Linie von Eisenkraut, Koriander, Basilikum und Vetiver würde ich schon noch herausbekommen!
Die Zeit verging, und ich stöberte eines Tages beim Besuch im Hause meiner Oma ein ziemlich altes Fotoalbum, vollgespickt mit Schwarz-Weiß-Bildern, auf. Und da war es, das schwarze Schaf der Familie, das wohl Pour Monsieur als Signatur in seinen besten Jahren trug!
Elegant war er, schöner Anzug und Krawatte, tadellos gekämmt und glatt rasiert. Ein Mann von Welt.
Die Nachfrage nach dem Vorfahren wurde nur zögerlich beantwortet, mein verstorbener Großonkel schien von einem Teil der Familie verstoßen zu sein. Doch meine Mutter erzählte mir auf der Rückfahrt die geheimnisumwobene Geschichte des nicht Nennbaren.
Von allen Geschwistern war er der Hübscheste. Stets besonnen, gebildet, eloquent und sehr vornehm im Umgang mit anderen. Und ein begehrter Junggeselle, der wohl nie das Standesamt von innen sehen würde. Er hätte meine Mutter als Lieblingsnichte gehabt, ein Herz und eine Seele. Doch würde er einen verborgenen Teil seines Lebens wohl mit ins Grab nehmen bei einem tragischen Unfall in der Blüte seines Lebens. Mehr war nicht zu erfahren.

Ende der 1980er kaufte ich mir endlich mein erstes Pour Monsieur, ich wollte dem Modetrend der damaligen Zeit trotzen und etwas Familiäres olfaktorisch nachholen.
Ach, wie sehr ich diese Eröffnung mochte, das reine Flanieren in Porto Fino! Die Hesperiden ließen der Verbene den Vorrang, um weiter im Duftverlauf zu verweilen, während die dezente Orangenblüte leicht frisch und pudrig den Weg markierte.
Dann die Herz- und Basisnoten, die ab nach Frankreich zurückführten, klar getrennt waren sie nicht. Das Zusammenspiel von grünen Eindrücken des Korianders, Kardamoms und Basilikums wurde durch die leichte Süße des Ingwers für die Abrundung des Eichenmooses und dezenten Holzes vorbereitet. Und der ebenfalls grün gehaltene Vetiver schloss elegant die Komposition ab.
Mit Sicherheit schwang ein Hauch von Zistrose mit, als exzellente Gestalterin der zypriotischen Richtung. Aber die geheimnisvolle Offenbarung der Komponenten wurde sehr leise, sehr diskret gehalten. Pour Monsieur duldete keine Kraftausdrücke, er war ein Gentleman durch und durch.
So wie das Stück Nimrod aus den Enigma-Variationen von Edward Elgar.
Der Spaziergang Im Londoner Holland Park gestaltete sich vornehm. Doch wurde hier auf die Öffnungszeiten der Parkanlage geachtet, die Haltbarkeit zwang zum Nachsprühen.
Ich frage mich, ob ein gewisser Jean Cocteau auch als Vorbild bei der Duftgestaltung gegolten haben mochte.
Verschmitzt konnte ich mir meinen einparfümierten Großonkel Ende der 1950er vorstellen.

Und heute erlebe ich eine ganz besondere Begegnung mit dem Duft.
Pour Monsieur katapultiert mich sogleich ins Jahr 1956, da war Doris Day einfach himmlisch als besorgte Mutter in „Der Mann, der zuviel wusste“. Wie sie „Que sera sera“ gesungen hat in diesem eleganten, grauen Kostüm, da fand jeder Sohn zu ihr zurück!
Und James Stewart war wie immer der Gentleman schlechthin. Der gute alte Jamie, schon früh bei Hitchcock auf der Gehaltsliste. Wie in „Cocktail für eine Leiche“ (1948), diesem makabren, homoerotischen Thriller.
„Erotic? For heaven‘s sake, da kommt niemand nackt vor, dummy!“
Nein Doris, ich weiß, dass der Film nicht erotisch ist, da galt ja noch der Hays Code. Ach, ist auch nicht so wichtig, Liebes.

Und dann ihre Paraderolle in „Ein Pyjama für zwei“ (1961). Herrlich, wie sie Rock Hudson immer wieder bezirzt. Da spielt es keine Rolle, dass der dritte im Bunde, Tony Randall, einen lilafarbenen Küchenboden hat, mit Rock Hudson in der Ankleide während der morgendlichen Toilette ist und beide zusammen frühstücken. Oder dass beide während ihres Urlaubs etwas overdressed Kanu fahren. Ja sogar der Schmankerl eines nur mit einem Pelzmantel bekleideten Rock, der in den Fahrstuhl huscht, kann der resoluten Doris nichts anhaben.
„Darling, Rock und Tony sind doch nur sehr gute Freunde! Und ich werde schon Rock für mich gewinnen, darauf kannst Du Gift nehmen!“
Ich weiß Doris, Deine heimliche Waffe waren die Aldehyde von N°5, kein Mann konnte danach klar denken!

Ach Doris, sweetheart, ich frische Pour Monsieur wieder auf, schmeiße mich in Schale mit sandfarbenem Kaschmirpulli mit V-Schnitt, weißem Hemd, hellgrauer Wollhose und Pennyloafers und führe Dich aus! Wie wäre es mit einer Signierstunde mit Truman Capote? Oder dem neuen Musical von Leonard Bernstein?
Ich weiß, Zuckerschnute, Du kennst sie alle und alle kennen Dich!

Los komm, wir machen jetzt eine herrliche Spritztour durch Manhattan im beige-silbernen Buick Invicta Cabriolet zu „Downtown“ von Petula Clark! Du wirst sehen, es wird Dir gefallen!
Gleich biegen wir im Columbus Circle ein und drehen ein paar Ehrenrunden!

The light's so much brighter there
You can forget all your troubles, forget all your cares
So go downtown
Things will be great when you're
Downtown

Und danach geht es zu Chanel an der 57th Street, vielleicht kauft Rock gerade Pour Monsieur! Moment, da ist er ja!
Oh Zuckerwatte, jetzt bloß nicht diese runzelige Mine aufsetzten, er flirtet mit Sicherheit nicht mit der Verkäuferin!
„Den Burschen knöpfe ich mir vor!“
Gut, mein Schatz, das naiv süße Lied „Love in the first degree“ von Bananarama ist jetzt Dein Schachzug!
Ja Doris, gib alles!

Only you can set me free
'Cause I'm guilty
Guilty as a girl can be
Come on baby can't you see
I stand accused of love in the first degree

Na, siehst Du? Ein Dinner im Pierre-Hotel mit Rock wäre gesichert!
„Darling, wo hast Du diesen catchy Song her?“
Honigwabe, er stammt aus der Zeit, als ich meinen Eltern reinen Wein einschenkte und sie eingenordet habe.
„Wait a minute, trinkt Ihr sonst in Europa trüben Wein? I don‘t get it, Ihr Europäer seid schon seltsam!“
Schau, ich wollte doch nur damit sagen, dass…
„Und warum brauchen Deine Eltern einen Kompass? Strange! Deswegen liebe ich New York, hier ist alles so einfach in Nord, Süd, Ost und West eingeteilt!“
Es ist doch nur bildlich gesprochen. Außerdem hat mich, der Tradition folgend, ein Teil der Familie verstoßen.
„Just for a compass? Help me understand, dear!“
Das mache ich beim nächsten Treffen zu einem leckeren Blueberry Cheesecake, versprochen!
Aber jetzt fahre ich Dich wieder zurück zu Deiner Werbeagentur an der Madison Avenue.
Und hier noch eine weiße Rose für Dich, sweet Doris!
„Oh darling, you‘re such a gentleman!“

Und noch einen Kuss auf die Stirn…
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