06.04.2022 - 12:54 Uhr
Axiomatic
100 Rezensionen
Axiomatic
Top Rezension
47
Aus der Tiefe
Herbes und dunkles Grün, eine fordernde Duftkomposition für Aufgeschlossenere. Die Dufterfahrung kann auch leicht unheimlich werden, deshalb eine Warnung an Sanftmütige.
Diesem aus der Tiefe flehenden Fougère sollte man sich vorsichtig nähern. Vielleicht stimmt man sich vorher mit „De profundis“ von Johann David Heinichen (ca. 1724) ein, ein ergreifendes Klagelied.
Starten wir zunächst mit der Kopfnote. Die Eröffnung gestaltet sich ungewöhnlich würzig. Nicht in den Komponenten aufgelistet, vernehme ich eindeutig Liebstöckel. Dieses Kraut gilt gemeinhin als Erkennungsmerkmal der Firma Maggi. Nun, Brühwürfel hin oder her, dem Liebstöckel ist es völlig egal, womit er assoziiert wird, das Kraut riecht würzig frech vor sich hin.
Gepaart mit einer gehörigen Portion kräftig seriösem Rosmarin benutzen die beiden die zitrischen Noten lediglich als Vehikel, letztere sind eher flüchtige Schatten. Der erste Akt läßt keine Zweifel aufkommen, das Stück ist grün und würzig, sehr würzig!
So stolzieren die beiden Kräuter nebeneinander scheinbar sorglos durch eine sich trübende Landschaft. Keines der Beiden ahnt um das Vorhaben des Anderen. Bis jetzt konnten sie sich ja auch gut vertragen. Doch diese Gegend ist zu klein geworden für zwei. Aus der Ferne blitzen Muskat und Harze auf und lassen Schlimmes befürchten.
Im zweiten Akt wird es unheimlicher.
Denn sehr schnell übernimmt der geltungssüchtige Rosmarin die Oberhand, der Liebstöckel wird - zack - um die Ecke gebracht!
Ein rascher Tod.
Doch wohin mit der Leiche?
Am besten ins dunkle Dickicht, tief im furchteinflößenden Wald. Um die Spuren zu verwischen, reibt sich der Rosmarin die Hände mit einer leicht scharfen Gewürznelke.
Doch er ahnt es, Luminol könnte die leichten Blutspuren, die von der Rosengeranie und dem hochkonzentrierten Lavendel her durchschimmern, wieder sichtbar machen und ihn verraten.
Er muß jetzt einen klaren Kopf behalten und rational handeln. So schreitet er immer tiefer ins dunkle Dickicht voran. Der schwarzblaue Wacholder und die zwielichtige Muskatnuss weisen ihm den Weg, wo die Leiche verscharrt werden kann, neben der kleinen, unschuldigen Zeder. Wer käme auf die Idee, hier im naiven Streichholz-Hain danach zu suchen?
Jetzt nur noch die Lederhandschuhe anziehen und bedächtig eine Grube ausheben, um den leblosen Körper hinein zu legen und mit Erde zuzuschütten.
Und wie heißt es so schön? Lassen wir einfach Gras drüber wachsen. Aber wir sind ja im Wald hier, Gras würde nur auffallen.
Schauen wir uns doch mal um…
Na klar! Moos, sehr viel Eichenmoos wächst hier wie wild!
Die Stelle wird dicht mit der kriechenden Pflanze bedeckt. Und um ja keine scharrenden Tiere anzulocken, wird noch ein wenig Birkenteer mit verrieben.
Die Tat ist vollbracht.
Der dritte Akt wird schicksalshaft.
Den mit Ledermantel gekleideten Rosmarin plagen Gewissensbisse. Er kann auch noch so viel Eichenmoos zum Reinigen verwenden, erkannt wird er immer. Etwas Harziges wie leichter Weihrauch steigt dezent auf und mahnt zur inneren Einkehr.
Aus diesem dunklen Tal hallt erneut ein „De profundis“. Dieses Mal jedoch von Arvo Pärt (1980), wesentlich düsterer und ohne Hoffnung.
Er wünscht sich, die Tat ungeschehen zu machen, wieder ins Helle zu können. Doch wird er im Dunklen verbleiben und seine Schuld sühnen.
Dieses Meisterwerk aus dem Hause Bogart hat wie nur wenige Düfte eine spannende und dennoch dunkle Epoche geprägt. Mitte der 1970er waren die Weichen gelegt, die Gesellschaft konnte nicht mehr in die vermeintliche heile Welt der 1960er zurück. Vieles wurde überwunden, abgeschafft oder mit provozierender Manier entlarvt. Neue Wege in Sachen Partnerschaft, Familie und Moralvorstellung wurden beschritten.
Eine neue Männlichkeit erwuchs aus der Enge der vorangegangen Dekaden. Draufgängerisch, zügellos erotisch, liebevoll väterlich und aufgeschlossen. Mitunter sogar zynisch und dennoch zielstrebig.
Dass so eine spannungsgeladene Entwicklung nie reibungslos verlief, zeigten etliche Beispiele in der Filmwelt.
Mein persönlicher Favorit zum Duft ist Oliver Reed, einer der besten Schauspieler aus der Zeit. Eloquent, gebildet, gutaussehend, zynisch und charmant zugleich.
Wie kein anderer in jener Zeit verkörperte er diese neue Maskulinität. Schon früh sorgte er für einen waschechten Skandal, als er 1969 im Film „Women in Love“ (Liebende Frauen) eine sehr lange Szene nackt hinlegte. Es geht um ein Kräftemessen zweier Freunde vor einem Kamin.
Zwei Jahre später schockierte er in „The Devils“ (Die Teufel) ein moralisch-religiöses Publikum bis aufs Mark.
Und er hätte es fast zum James Bond Darsteller geschafft, doch er lehnte ab.
Privat lebte er das Leben in vollen Zügen, litt mitunter unter starkem Alkoholkonsum. Seine Fernsehauftritte verpaßten allen Konventionen einen gehörigen Tritt in den Hintern. Das Publikum forderte Skandale, er lieferte.
Aber er schien sein Leben lang zu leiden, als würden seine Übertretungen ihn ständig heimsuchen. Er fühlte sich missverstanden und eingeengt. Und immer war dieser sonderbare Blick in seinen großen, blauen Augen.
Doch nun zurück zum Duft.
Einer von Oliver Reeds besten Filmen ist ohne Zweifel „Burnt Offerings“ (Landhaus der toten Seelen) von 1976.
Es geht um die Geschichte der Familie Rolf auf der Suche nach einem Ferienhaus für den Sommer. Nach einer langen Fahrt durch verlassene und einsame Gegenden gelangen sie unverhofft zu einem gigantischen Anwesen, das von einem unheimlichen Geschwisterpaar vermietet wird. Ein nicht zu unterbietendes Lockangebot läßt alle Zweifel bei den Rolfs verfliegen. Nur müssen sie sich - eine Bedingung der Vermieter - während ihres Aufenthaltes um eine ältere Dame kümmern.
Die Rolfs ziehen für den Sommer schließlich ein und erleben den wahrhaftigen Alptraum ihres Lebens.
In der Mitte des Filmes erledigt Papa Rolf die Gartenarbeit, etliches Überwuchertes soll frei geschnitten werden.
Und hier paßt Bogart am Besten!
Umgeben von dunklem, dichtem Grün gönnt sich Oliver Reed eine Pause. Plötzlich wird er von den Geistern seiner Vergangenheit heimgesucht und geplagt. Er ist wie gelähmt im Dickicht, kann dem Schicksal nicht entkommen. Flehend versucht er dem ein Ende zu setzen. Es gelingt ihm nur vorläufig, denn er gerät weiter und tiefer in einem dunklem Sog schauderhafter Mächte.
Er durchläuft schmerzliche Verluste, sexuelle Abweisung, Entfremdung seines Sohnes, ja sogar eine körperliche Lähmung. Aus diesem Tal der Dunkelheit versucht er zu fliehen, seine Familie zu retten.
Wird es ihm gelingen?
Zum Film empfehle ich ein paar Sprüher des Duftes.
Gute Unterhaltung!
Diesem aus der Tiefe flehenden Fougère sollte man sich vorsichtig nähern. Vielleicht stimmt man sich vorher mit „De profundis“ von Johann David Heinichen (ca. 1724) ein, ein ergreifendes Klagelied.
Starten wir zunächst mit der Kopfnote. Die Eröffnung gestaltet sich ungewöhnlich würzig. Nicht in den Komponenten aufgelistet, vernehme ich eindeutig Liebstöckel. Dieses Kraut gilt gemeinhin als Erkennungsmerkmal der Firma Maggi. Nun, Brühwürfel hin oder her, dem Liebstöckel ist es völlig egal, womit er assoziiert wird, das Kraut riecht würzig frech vor sich hin.
Gepaart mit einer gehörigen Portion kräftig seriösem Rosmarin benutzen die beiden die zitrischen Noten lediglich als Vehikel, letztere sind eher flüchtige Schatten. Der erste Akt läßt keine Zweifel aufkommen, das Stück ist grün und würzig, sehr würzig!
So stolzieren die beiden Kräuter nebeneinander scheinbar sorglos durch eine sich trübende Landschaft. Keines der Beiden ahnt um das Vorhaben des Anderen. Bis jetzt konnten sie sich ja auch gut vertragen. Doch diese Gegend ist zu klein geworden für zwei. Aus der Ferne blitzen Muskat und Harze auf und lassen Schlimmes befürchten.
Im zweiten Akt wird es unheimlicher.
Denn sehr schnell übernimmt der geltungssüchtige Rosmarin die Oberhand, der Liebstöckel wird - zack - um die Ecke gebracht!
Ein rascher Tod.
Doch wohin mit der Leiche?
Am besten ins dunkle Dickicht, tief im furchteinflößenden Wald. Um die Spuren zu verwischen, reibt sich der Rosmarin die Hände mit einer leicht scharfen Gewürznelke.
Doch er ahnt es, Luminol könnte die leichten Blutspuren, die von der Rosengeranie und dem hochkonzentrierten Lavendel her durchschimmern, wieder sichtbar machen und ihn verraten.
Er muß jetzt einen klaren Kopf behalten und rational handeln. So schreitet er immer tiefer ins dunkle Dickicht voran. Der schwarzblaue Wacholder und die zwielichtige Muskatnuss weisen ihm den Weg, wo die Leiche verscharrt werden kann, neben der kleinen, unschuldigen Zeder. Wer käme auf die Idee, hier im naiven Streichholz-Hain danach zu suchen?
Jetzt nur noch die Lederhandschuhe anziehen und bedächtig eine Grube ausheben, um den leblosen Körper hinein zu legen und mit Erde zuzuschütten.
Und wie heißt es so schön? Lassen wir einfach Gras drüber wachsen. Aber wir sind ja im Wald hier, Gras würde nur auffallen.
Schauen wir uns doch mal um…
Na klar! Moos, sehr viel Eichenmoos wächst hier wie wild!
Die Stelle wird dicht mit der kriechenden Pflanze bedeckt. Und um ja keine scharrenden Tiere anzulocken, wird noch ein wenig Birkenteer mit verrieben.
Die Tat ist vollbracht.
Der dritte Akt wird schicksalshaft.
Den mit Ledermantel gekleideten Rosmarin plagen Gewissensbisse. Er kann auch noch so viel Eichenmoos zum Reinigen verwenden, erkannt wird er immer. Etwas Harziges wie leichter Weihrauch steigt dezent auf und mahnt zur inneren Einkehr.
Aus diesem dunklen Tal hallt erneut ein „De profundis“. Dieses Mal jedoch von Arvo Pärt (1980), wesentlich düsterer und ohne Hoffnung.
Er wünscht sich, die Tat ungeschehen zu machen, wieder ins Helle zu können. Doch wird er im Dunklen verbleiben und seine Schuld sühnen.
Dieses Meisterwerk aus dem Hause Bogart hat wie nur wenige Düfte eine spannende und dennoch dunkle Epoche geprägt. Mitte der 1970er waren die Weichen gelegt, die Gesellschaft konnte nicht mehr in die vermeintliche heile Welt der 1960er zurück. Vieles wurde überwunden, abgeschafft oder mit provozierender Manier entlarvt. Neue Wege in Sachen Partnerschaft, Familie und Moralvorstellung wurden beschritten.
Eine neue Männlichkeit erwuchs aus der Enge der vorangegangen Dekaden. Draufgängerisch, zügellos erotisch, liebevoll väterlich und aufgeschlossen. Mitunter sogar zynisch und dennoch zielstrebig.
Dass so eine spannungsgeladene Entwicklung nie reibungslos verlief, zeigten etliche Beispiele in der Filmwelt.
Mein persönlicher Favorit zum Duft ist Oliver Reed, einer der besten Schauspieler aus der Zeit. Eloquent, gebildet, gutaussehend, zynisch und charmant zugleich.
Wie kein anderer in jener Zeit verkörperte er diese neue Maskulinität. Schon früh sorgte er für einen waschechten Skandal, als er 1969 im Film „Women in Love“ (Liebende Frauen) eine sehr lange Szene nackt hinlegte. Es geht um ein Kräftemessen zweier Freunde vor einem Kamin.
Zwei Jahre später schockierte er in „The Devils“ (Die Teufel) ein moralisch-religiöses Publikum bis aufs Mark.
Und er hätte es fast zum James Bond Darsteller geschafft, doch er lehnte ab.
Privat lebte er das Leben in vollen Zügen, litt mitunter unter starkem Alkoholkonsum. Seine Fernsehauftritte verpaßten allen Konventionen einen gehörigen Tritt in den Hintern. Das Publikum forderte Skandale, er lieferte.
Aber er schien sein Leben lang zu leiden, als würden seine Übertretungen ihn ständig heimsuchen. Er fühlte sich missverstanden und eingeengt. Und immer war dieser sonderbare Blick in seinen großen, blauen Augen.
Doch nun zurück zum Duft.
Einer von Oliver Reeds besten Filmen ist ohne Zweifel „Burnt Offerings“ (Landhaus der toten Seelen) von 1976.
Es geht um die Geschichte der Familie Rolf auf der Suche nach einem Ferienhaus für den Sommer. Nach einer langen Fahrt durch verlassene und einsame Gegenden gelangen sie unverhofft zu einem gigantischen Anwesen, das von einem unheimlichen Geschwisterpaar vermietet wird. Ein nicht zu unterbietendes Lockangebot läßt alle Zweifel bei den Rolfs verfliegen. Nur müssen sie sich - eine Bedingung der Vermieter - während ihres Aufenthaltes um eine ältere Dame kümmern.
Die Rolfs ziehen für den Sommer schließlich ein und erleben den wahrhaftigen Alptraum ihres Lebens.
In der Mitte des Filmes erledigt Papa Rolf die Gartenarbeit, etliches Überwuchertes soll frei geschnitten werden.
Und hier paßt Bogart am Besten!
Umgeben von dunklem, dichtem Grün gönnt sich Oliver Reed eine Pause. Plötzlich wird er von den Geistern seiner Vergangenheit heimgesucht und geplagt. Er ist wie gelähmt im Dickicht, kann dem Schicksal nicht entkommen. Flehend versucht er dem ein Ende zu setzen. Es gelingt ihm nur vorläufig, denn er gerät weiter und tiefer in einem dunklem Sog schauderhafter Mächte.
Er durchläuft schmerzliche Verluste, sexuelle Abweisung, Entfremdung seines Sohnes, ja sogar eine körperliche Lähmung. Aus diesem Tal der Dunkelheit versucht er zu fliehen, seine Familie zu retten.
Wird es ihm gelingen?
Zum Film empfehle ich ein paar Sprüher des Duftes.
Gute Unterhaltung!
24 Antworten