03.08.2021 - 16:52 Uhr
ThomC
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ThomC
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13
Der waldgrüne Le Male für's Volk
Ich liebe ihn einfach, diesen merkwürdigen grünen Macker von Bogart. Verschoben isser, weil er zwischen den Stühlen verschiedener stilbildender Parfümjahrzehnten steht: 70er Seife, 80er Schulterpolsterbrachialität, 90er Moderne. Ein Zwitter, und doch so markant männlich, herb und abweisend. Einer, der nicht weiß wo er hingehört - und die bei Bogart wohl auch nicht, ihn aber unterm Radar weiterlaufen lassen, da ein paar versprengte Individualisten dem Force Majeure treu die Stange halten. Aber solch ein Duft erzählt mir Geschichten, und das mag ich.
Schon allein der Flakon: ein hässliches Entlein in Waldgrün. Die billig anmutende Plastikkappe in Silber verstärkt den optischen Ersteindruck - ein konfuser Stilmix, den Jahrzehnten stilistisch kaum zuortbar, aber so sympathisch, dass er als retrohafter Chabby-Chicler die Schranken der Stylepolizei wohlwollend passieren darf. Ein bisschen wie der alte VW-Käfer: der war nach klassischen Maßstäben auch nicht schön, bot aber mit liebenswürdiger Schlichtheit ein zeitloses Konzept, das man einfach mögen musste.
Force Majeure ist auf heutigen Parfümstraßen ein seltener aber günstiger Youngtimer aus Frankreich, der in Deutschland vermutlich nie populär war (auch weil vermutlich kaum ein Deutschländer diesen kryptischen Namen sauber aussprechen kann ---> "Ähm, Fohrschä Majöre oder so...."). Und rückblickend schon zu seinem Geburtsjahr 1998 auf anachronistischen Pfaden unterwegs war - wäre er in diesem Style zwanzig Jahre früher auf den Markt geworfen worden, hätte man ihn als typisches Ding der späten 70er gesehen. Aber so?
Er bleibt ein typisch französisches Nischenprodukt und erinnert wie seinerzeit Autos von Talbot: kaum sichtbar, aber stillschweigend in Ehren gehalten. (habe neulich erst eine kleine Werkstatt gesehen, die noch ein vergammeltes TALBOT Markenschild auf der Fassade hatte - einfach schön!)
Der Duft aber hat es in sich: Kantig, mit klarer rechtwinkligen Linienführung und herrlich unzeitgemäß. Wahnsinnig auffällig, dicht, ohne dass er sich um breiten Konsens schert. Breitbeinig und sanft grobschlächtig. Es ist das erschlagende Moos, der Waldboden, der Hauch von Waldmeister, eingeschnürt mit Akkorden von altem Leder. Im Fundament viel schwarzer nasser Pfeffer und zermalene schwarze (!) Kardamomkapseln. Dazu mit einer Sillage ausgestattet, die eine Wucht ist. Wäre es nicht so, wäre er kein echter Bogart. Passt also.
Klischeekopfbilder kommen hoch und solche Duftwolken unterstelle ich dem alt gewordenen Dorfmacho der 70er, schwarze Kunstlederjacken und bügelfalte in der mausgrauen Stoffhose, Gitanes-Fluppe griffbereit, der rote Mittagsburgunder im Glas, bussi hier, ça va bien dort. Ein grauhaariger, faltiger Jean-Paul Belmondo. Dieses vintage Lebensgefühl ist Force Majeure.
Mich erinnert er auch an Gaultiers Dauerbrenner "Le Male". der ein wenig älter ist. Beiden unterstelle ich mit ihrer derben würzig-grünen Minze eine entfernte Geistesverwandtschaft. Dennoch wirkt der Bogart stilistisch älter in allem, ist ungeschliffener und leckmichamarschiger. Er ist die trockene Spätsommerluft, der würzige beginnende Herbst. Der "Le Male" hingegen ist happy-lustiger Frühsommer. Passt.
Der Le Male ist der entfernte schillernde Onkel aus Amerika, zwar um tausend Ecken verwandt, aber seit mindestens 25 Jahren nicht gesehen. Während der Eine im gestreiftem Torsoflakon als exzentrischer Clubbingduft international Karriere machte und abhob, blieb der Andere mit beiden Beinen auf dem Boden der französischen Provinz und zieht seine Charme-Show im Café am Dorfplatz ab. Reicht auch. Man bleibt immer der Durchschnitt seines sozialen Umfeldes.
Ja, der Force Majeure ist - das fällt mir gerade auf - der Le Male fürs Volk, was ihn deswegen nicht schlechter macht. Ganz im Gegenteil. Während der Le Male mit überdrüssigem Kitsch gerne ins Prollige abdriftet mit einem Hauch Pariser internationaler Haute Couture, bleibt der Force Majeure von Anfang an ein gewollt grobschlächtiger Feingeist mit Wurstefingern. Ein Gérard Depardieu des Duftes. Versoffen, wild, und freiheitsliebend mit anti-opportunistischen Zügen - von außen billig, von innen markant. Seine Auffälligkeit ist sein Vorzug, denn selten hatte ich ein Parfüm dieser Preisklasse, was dermaßen mit Emotionsankern beladen ist, wie dieses.
*die Musik zum Duft "Force Majeure" von Tangerine Dream (1979)
Schon allein der Flakon: ein hässliches Entlein in Waldgrün. Die billig anmutende Plastikkappe in Silber verstärkt den optischen Ersteindruck - ein konfuser Stilmix, den Jahrzehnten stilistisch kaum zuortbar, aber so sympathisch, dass er als retrohafter Chabby-Chicler die Schranken der Stylepolizei wohlwollend passieren darf. Ein bisschen wie der alte VW-Käfer: der war nach klassischen Maßstäben auch nicht schön, bot aber mit liebenswürdiger Schlichtheit ein zeitloses Konzept, das man einfach mögen musste.
Force Majeure ist auf heutigen Parfümstraßen ein seltener aber günstiger Youngtimer aus Frankreich, der in Deutschland vermutlich nie populär war (auch weil vermutlich kaum ein Deutschländer diesen kryptischen Namen sauber aussprechen kann ---> "Ähm, Fohrschä Majöre oder so...."). Und rückblickend schon zu seinem Geburtsjahr 1998 auf anachronistischen Pfaden unterwegs war - wäre er in diesem Style zwanzig Jahre früher auf den Markt geworfen worden, hätte man ihn als typisches Ding der späten 70er gesehen. Aber so?
Er bleibt ein typisch französisches Nischenprodukt und erinnert wie seinerzeit Autos von Talbot: kaum sichtbar, aber stillschweigend in Ehren gehalten. (habe neulich erst eine kleine Werkstatt gesehen, die noch ein vergammeltes TALBOT Markenschild auf der Fassade hatte - einfach schön!)
Der Duft aber hat es in sich: Kantig, mit klarer rechtwinkligen Linienführung und herrlich unzeitgemäß. Wahnsinnig auffällig, dicht, ohne dass er sich um breiten Konsens schert. Breitbeinig und sanft grobschlächtig. Es ist das erschlagende Moos, der Waldboden, der Hauch von Waldmeister, eingeschnürt mit Akkorden von altem Leder. Im Fundament viel schwarzer nasser Pfeffer und zermalene schwarze (!) Kardamomkapseln. Dazu mit einer Sillage ausgestattet, die eine Wucht ist. Wäre es nicht so, wäre er kein echter Bogart. Passt also.
Klischeekopfbilder kommen hoch und solche Duftwolken unterstelle ich dem alt gewordenen Dorfmacho der 70er, schwarze Kunstlederjacken und bügelfalte in der mausgrauen Stoffhose, Gitanes-Fluppe griffbereit, der rote Mittagsburgunder im Glas, bussi hier, ça va bien dort. Ein grauhaariger, faltiger Jean-Paul Belmondo. Dieses vintage Lebensgefühl ist Force Majeure.
Mich erinnert er auch an Gaultiers Dauerbrenner "Le Male". der ein wenig älter ist. Beiden unterstelle ich mit ihrer derben würzig-grünen Minze eine entfernte Geistesverwandtschaft. Dennoch wirkt der Bogart stilistisch älter in allem, ist ungeschliffener und leckmichamarschiger. Er ist die trockene Spätsommerluft, der würzige beginnende Herbst. Der "Le Male" hingegen ist happy-lustiger Frühsommer. Passt.
Der Le Male ist der entfernte schillernde Onkel aus Amerika, zwar um tausend Ecken verwandt, aber seit mindestens 25 Jahren nicht gesehen. Während der Eine im gestreiftem Torsoflakon als exzentrischer Clubbingduft international Karriere machte und abhob, blieb der Andere mit beiden Beinen auf dem Boden der französischen Provinz und zieht seine Charme-Show im Café am Dorfplatz ab. Reicht auch. Man bleibt immer der Durchschnitt seines sozialen Umfeldes.
Ja, der Force Majeure ist - das fällt mir gerade auf - der Le Male fürs Volk, was ihn deswegen nicht schlechter macht. Ganz im Gegenteil. Während der Le Male mit überdrüssigem Kitsch gerne ins Prollige abdriftet mit einem Hauch Pariser internationaler Haute Couture, bleibt der Force Majeure von Anfang an ein gewollt grobschlächtiger Feingeist mit Wurstefingern. Ein Gérard Depardieu des Duftes. Versoffen, wild, und freiheitsliebend mit anti-opportunistischen Zügen - von außen billig, von innen markant. Seine Auffälligkeit ist sein Vorzug, denn selten hatte ich ein Parfüm dieser Preisklasse, was dermaßen mit Emotionsankern beladen ist, wie dieses.
*die Musik zum Duft "Force Majeure" von Tangerine Dream (1979)
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