Buchmensch
Panik, Plüsch und Plunder
vor 10 Jahren - 02.12.2013
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Verführungsängste

Ein Blick auf meine Sammlung verrät, dass ich in den Neunzigern ein echter Yves-Rocher.-Jünger gewesen bin, aber der Grund dafür ist nicht, dass ich Düfte anderer Marken abgelehnt hätte, und nur bedingt, dass ich eine arme Studentin war und bei den Franzosen immer die Sonderangebote mitnehmen konnte. Der Hauptgrund war, dass Onkel Yves damals, zu Vor-Internet-Zeiten, der einzige war, der mir meine Parfums per Post ins Haus lieferte, und ich somit nicht gezwungen war, eine Parfümerie zu betreten.

Es gibt Menschen, die trauen sich nicht, eine Buchhandlung zu betreten, weil sie befürchten, nicht intellektuell auszusehen. Ähnlich verhält es sich mit mir und Parfümerien, wobei das Problem da natürlich nicht im Intellekt begründet liegt. Den Intellekt sieht man mir an: Ich trage eine Brille. Aber was den Rest angeht, befürchtete ich, sobald ich eine Parfümerie betreten, achtkantig wieder herausgeworfen zu werden. Ich liebe schöne Düfte schon seit meiner Kindheit - aber ich sehe nicht so aus.

Das Problem ist mein Kleidungsstil. Das Problem ist nicht, dass ich keinen hätte - im Gegenteil, ich habe im Alter von drei, vier Jahren meine persönlichen Kleidungsvorlieben entwickelt, wie es die meisten Kinder tun. Nur bin ich meiner Linie dann allzu treu geblieben, und wenn das wichtigste Kriterium für die Kleiderwahl ist »Boah, die Latzhose ist toll, kann ich drin im Sand buddeln!«, sieht man mit Anfang zwanzig doch etwas seltsam aus. Nicht, dass ich wirklich noch im Sand gespielt hätte - ich hatte noch nicht einmal einen Garten bei meiner Studentenbude - aber meine Klamotten sahen trotzdem danach aus.

Abgetragene Jeans, alte, aber bequeme Schuhe, und eine Zeitlang bin ich absichtlich gammliger herumgelaufen als nötig, weil das die einzige Chance war, in Köln die Domplatte zu überqueren, ohne von allen Seiten angeschnorrt zu werden. Ich habe mich von den Berbern lieber für einen Kollegen halten lassen, als sagen zu müssen, dass ich ihnen nichts geben will. Auf der Domplatte funktionierte das immer ganz gut. Und in Buchhandlungen bin ich in meinem Element, ich habe den Blick und die Bewegungen eines Buchmenschen, und niemand hätte mich auch nur schief angeschaut. Aber eine Parfümerie hätte ich so nicht betreten können.

Einmal im Jahr, wenn ich für meine Oma ein Fläschchen 4711 kaufen musste, hatte ich keine andere Wahl, aber es war ein großer Aufwand. Ich hatte nichts anderes zum Anziehen, als dass ich mich hätte nett verkleiden können, also habe ich mich bemüht, wenn ich schon nicht wie ein Parfümkenner aussehe, dann doch zumindest wie einer zu riechen, und mich vor meinem Douglasbesuch heftigst eingesprüht - normalerweise habe ich meine Parfüms nur zu Hause beschnuppert, statt sie in der Öffentlichkeit zu tragen, ich wollte bloß nicht auffallen, aber für Omas 4711 hatte ich keine andere Wahl.

Gutbeduftet, hyperventilierend und mit Herzrasen bin ich in den Laden gesprintet, habe ohne langes Zögern das Parfum geschnappt und bin zur Kasse, die ganze Zeit über mit dem Portemonnaie in der Hand, damit man mir meine Zahlungsabsicht ansehen konnte, und habe dabei gebetet, dass niemand mir meine Angst ansehen kann. Ein Mann, den man zum Tamponkaufen schickt, hätte nicht verlegener sein können. Ich war froh, wenn ich wieder draußen war, und erst recht, dass ich erst ein Jahr später wieder dorthin musste. Und über all der Panik habe ich noch nicht mal eine einzige Nase voll Parfümerieduft mitnehmen können - nur meinen Angstschweiß und die Wolke Venice, in die ich gehüllt war wie in einen Panzer. Aber auch wenn nie etwas passiert ist, wenn man mich nicht rausgeschmissen hat oder auch nur verdächtig angesehen, die Angst blieb.

Inzwischen habe ich es besser. Zum einen habe ich, jetzt, wo ich auf die vierzig zugehe, doch so etwas wie einen erwachsenen Kleidungsgeschmack entwickelt und kombiniere mit der Kühnheit der Künstlerin, der befremdliche Blicke egal sind und die eine Lizenz zur Exzentrik hat, Blazer, T-Shirts und Krawatten zu meinen abgetragenen Jeans und bequemen Schuhen, und ich habe weniger Angst, was die Leute über mich denken. Vor allem aber habe ich Internet. Egal welcher Duft mich interessiert, ich kann ihn mir ins Haus liefern lassen, Ebay, Amazon und Onkel Yves machen es möglich. Dass ich dabei keine Gelegenheit zum Proberiechen habe - das ist natürlich immer mit einem Risiko für Fehlkäufe verbunden. Aber es gibt Schlimmeres.

Und für 2014 habe ich große Pläne. Ich will eine echte Parfümerie betreten, zu einer Verkäuferin gehen und fragen, ob ich einmal an verschiedenen Guerlain-Düften schnuppern darf. Ich weiß jetzt schon, ich werde dafür allen Mut zusammennehmen müssen, mein Outfit zwei Wochen im Voraus planen, und die Fragen vor dem Spiegel üben. Aber irgendwann muss auch ich mal erwachsen werden. Und ich hoffe, Shalimar und Mitsouko sind es wert, auch mal über den eigenen Schatten zu spingen.

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