Eshaar

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Rezensionen
Eshaar vor 7 Jahren 10 1
Etwas anderweitig Dunkles
Mit einer ganz eigenen, selbst geradezu duftenden Etymologie ausgestattet, war es schließlich der Name, der für mich bei der im letzten Winter aufkommenden Frage "L'Orpheline oder Arabie?" den Ausschlag für L'Orpheline gegeben hat (btw mein erster Lutens- und überhaupt so-called-Nischenduft und btw mein erster Comment auf diesen bislang nur lesend frequentierten Seiten - möge sich das hiermit ändern). L'Orpheline, das enigmatisch duftende Waisenkind jedenfalls, dessen man sich gar nicht in einer Geste richtig oder falsch verstandener Großzügigkeit zuwenden müsste, das als Orpée (aka Orpheus) vielmehr ganz gut für sich selbst sorgen kann, sich selbst genug ist mit der Gabe - es gibt Schlechteres - Steine, Pflanzen, Tiere singend zu betören (ergo: kann was). Darüber hinaus aber auch die Bescheidenheit eines fiktiven Diminuitivs, Linchen, fast schon ein Kosename für jenes Waisenkind, der aus diesem Namen, diesem Duft herausklingt (oder -duftet), wobei mich besagter Diminuitiv zu allem Überfuss noch auf seinen lateinischen Ursprung, "deminuere" bringt mit seinem Anklang ans Moll (Minor) wie an den Demiurgen, dem dieser Duft zu verdanken ist (wenn das auch etymologisch dann völliger Blödsinn - "demiourgos" ist altgriechisch). Nun gut, Schluss damit, denn zwar wieder beim Lutens angelangt, bevor ich mir hier allerdings größere Blessuren angesichts min. eigener Sprachpedanterie, darüber hinaus einen allenfalls mittelgroßen Erkenntnisgewinn abhol, schnell raus aus den Untiefen dieses Assoziationsgehölz, bevor es allzu wild-wirr weiterwuchert (Abschluss: Alliterationsalarm).

L'Orpheline vs. Arabie also. Nicht, dass beide Düfte objektiv so über die Maßen viel miteinander gemein hätten (von einer Lutens-typischen Grundnote mal abgesehen), aber zu beiden hatte ich nach mehrmaligem Testen ein fast schon obsessives Verhältnis aufgebaut - selbst wenn eben dieses bei L'Orpheline ungleich stiller und zurückgenommener ausfiel als bei jenem (der Ehrlich- resp. Vollständigkeit halber muss ich darüber hinaus sagen: Arabie hat mich Duftnovizen damals gnadenlos überfordert und ich hab mich bislang nicht entschließen können, mir ihn final zuzulegen - wenn auch weiterhin Faszination galore).

Still und zurückgenommen, zugleich aber von hoher Distinktheit - gute Buzzwords, um mich dann doch mal an einer vermutlich weit prosaischer ausfallenden Duftbeschreibung zu versuchen: durchgängig körpernah, kein Duft, der sich irgendwie produzieren, mithin aufdrängen würde, dabei doch von hoher Präsenz, ein Duftkomplex jedenfalls, der in seiner Linearität und Monochromie zumindest für mich nicht im eigentlichen Sinne einen Verlauf zeigt, eher durch ein immer wieder aufs Neue einsetzendes Changieren bestimmt ist. Und auch all das, was ich dann meine herausriechen zu können - neben Weihrauch und Moschus ist das vor allem Lavendel, Patchouli, Nelke und Anis - ist so fein auskomponiert, liegt nur knapp oberhalb der Wahrnehmungsgrenze dessen, was analytisch zu zergliedern ich mir irgendwie zutrauen würde. Stattdessen überwiegt das Gefühl des Asymptotischen, der unendlichen Näherung. Vielleicht wäre es dementsprechend auch treffender aufzuzählen, woran der Duft mich nicht erinnert: Sesam z.B., Meerschweinchenduft oder verbrannten Toast. Aber an dunkle Schokolade, frisch gewaschene Wäsche und Imprägnierspray. Man sieht: beides gleich viel wert.

Vermutlich liegt darin dann auch eine Nähe zu Arabie: das, was dieser durch Überfülle, Überforderung, Überflutung erreicht, erreicht L'Orpheline durch Uneindeutigkeit: Rückgang auf den eigenen, sich je aufs Neue entziehenden Grund, eine Idee von Unendlichkeit durch eine leer verbleibende Mitte (mit so ner geheimnisvoll-raunenden Stimme geraunt).

Weil mir das allerdings auch mit geheimnisvoll-raunender Stimme geraunt noch sowohl zu abgehoben als auch cheesy klingt, bekommt das Waisenkind abschließend Antwort von einem anderen Franzosen, namentlich Louis-René des Forêts: "Nein, es ist etwas anderweitig Dunkles / Die Zärtlichkeit, welche die Stimme versagen lässt, / Die Pflicht der wachsamen Freundschaft."
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