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Eyris’ Blog
vor 4 Jahren - 29.05.2020
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Neues aus der Riechforschung

Als Parfümliebhaberin und Medizinstudentin stellte sich mir naheliegenderweise ziemlich schnell die Frage - wie geht Riechen eigentlich? Die anatomischen und physiologischen Details lernte ich in den ersten Semestern meines Studiums und zu diesem Thema gibt es bereits einige schöne Blogartikel - aber wem ist eigentlich bewusst, dass es Riechrezeptoren nicht nur in der Nase gibt, sondern überall im menschlichen Körper?


Riechrezeptoren sind die "Andockstellen" für Duftstoffe, die sich natürlich in erster Linie in unserer Nase befinden. Gelangen Duftstoffe an ihren spezifischen Geruchsrezeptor, wird ein elektrisches Signal generiert, das über den Riechnerv an das Gehirn weitergeleitet wird, wo dann in der Riechrinde des Großhirns ein Dufteindruck entsteht. Soweit so gut. Aber was haben Riechrezeptoren außerhalb der Nase zu suchen?

Können Spermien riechen?

Die spektakuläre Entdeckung, dass quasi jedes Gewebe im Körper, vom Herz über Niere und Geschlechtsorganen, mit einem einzigartigen Muster an Riechrezeptoren ausgestattet sind, machte der Bochumer Zellphysiologe Prof. Dr. Hanns Hatt bereits vor einiges Jahren bei der Untersuchung diverser Gewebsproben. Die Frage, zu welchem speziellen Zweck diese verschiedenen Zellen Riechrezeptoren exprimieren, wird jedoch noch Forschungsstoff für viele Jahrzehnte liefern.

Einige Einblicke in deren Funktion durften die Forscher jedoch bereits erhalten. So entdeckte man beispielsweise, dass Spermien Riechrezeptoren für Maiglöckchenduft besitzen, welche ihre Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit beeinflussen. Blockiert man in vitro die Rezeptoren mit einem Ersatzstoff namens Undecanal, werden die Spermien völlig orientierungslos.
Da ist es nur logisch, dass das Vaginalsekret zahlreiche Duftstoffe enthält. Offensichtlich scheinen Riechrezeptoren also eine fundamentale Rolle bei der Fortpflanzung zu spielen - es lässt sich nun vielleicht bereits erahnen, dass sie eine viel größere Rolle im menschlichen Körper spielen, als zuvor angenommen. Und das eben nicht nur beim Riechen!
Es ist übrigens nicht einmal die Nase, die die meisten Riechrezeptoren besitzt - sondern die Portio vaginalis (Übergang zwischen Vagina und Gebärmutterhals)!

Veilchenduft gegen den Krebs

Das klingt schon alles ziemlich faszinierend, allerdings mag sich der ein oder andere nun vielleicht die berechtigte Frage stellen, welchen medizinischen Nutzen das Ganze überhaupt haben mag.
Sicherlich steckt die Riechforschung noch in den Kinderschuhen, sodass das therapeutische Potential noch keineswegs ermesssen werden kann.
Einige Experimente der Bochumer Forscher liefern jedoch einschneidende Erkenntnise, die beispielsweise die Krebsforschung maßgeblich beeinflussen wird. Denn sogar Krebszellen besitzen Riechrezeptoren!
Krebs entsteht aus "normalen" Körperzellen, deren Wachstum durch verschiedene Genmutationen außer Kontrolle geraten ist und nicht mehr den normalen Kontrollmechanismen der Zellteilung unterliegt. Folge dessen ist eine unkontrollierte Vermehrung und Tumorbildung.
Und genau an dieser Stelle scheinen Riechrezeptoren eine fundamentale Rolle zu spielen: offenbar beeinflussen Duftstoffe die Vermehrung von Tumorzellen.
Prof. Hatt und seine Kollegen konnten dies am Beispiel von Prostatakrebs beeindruckend demonstieren: die Krebszellen besitzen eine riesige Anzahl an Riechrezeptoren für Veilchenduft, der die Teilungsrate der Krebszellen signifikant reduziert. Man mag es kaum glauben: Veilchenduft gegen den Krebs!
Blasenkrebszellen dagegen reagieren auf Sandelholzduft, der ebenfalls ihre Vermehrung verlangsamt. Diese speziellen Rezeptoren dienen sogar dem Nachweis von Blasenkrebs über den Urin: sterben einige Krebszellen ab und gelangen so in die Blase, lässt sich der Sandelholzrezeptor schließlich im Urin nachweisen.

Ein kleiner Wermutstropfen: bei den Versuchen zur Eindämmung von Prostatakrebs handelt es sich bisher natürlich nur um Experimente in vitro, also quasi im Reagenzglas. Unklar ist bisher noch, wie man im lebenden Menschen den Veilchenduft zielsicher zum Prostatakrebs transportieren soll, um einen therapeutischen Effekt zu erzielen.

All dies zeigt für mich, was für ein riesiges Potential die Riechforschung hat und welche Bedeutung ihre Erkenntnise für die Medizin haben könnten. Ich bin unendlich gespannt auf die Entwicklungen der nächsten Jahre und möchte übrigens nur zu gern wissen, auf welchen Duft die Riechrezeptoren am Herzen reagieren oder ob es in 100 Jahren den "Duft gegen Krebs" geben wird.

Wer mehr über die Arbeit von Hanns Hatt und anderen Riechforschern weltweit erfahren möchte, dem kann ich Herrn Hatts Vorlesungsreihe an der Uni Mainz nur empfehlen, zum Beispiel zum Thema "Heilen mit Düften":

Ich hoffe, ich konnte euch mit meiner Begeisterung und Neugier ein wenig anstecken! :)

Bildquelle: http://www.orators.de/prof-dr-dr-dr-hanns-hatt/

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