Idrillain

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Idrillain vor 7 Jahren 16 4
Der Fluch des lieben kleinen Mädchens
Es war einmal ein kleines Mädchen, das war so lieb und zart, dass ein jeder, der nur nahe genug an das zarte Geschöpf heran trat, es augenblicklich ganz furchtbar lieb haben musste. Violette hieß das liebe Mädchen und sein Herz war weich und freundlich, sein Lächeln legte sich wie ein warmer pudriger Balsam um die wunden Seelen der Gehetzten. Und doch: Das liebe Mädchen, so sehr es auch die Herzen der Menschen mit seinem Liebreiz zu erfreuen vermochte, war dazu verdammt, ein einsames Leben zu führen und niemanden zu finden, der es bei der Hand nehmen und mit sich heim führen wollte.

Wie war das nur möglich?!, fragten sich die Hastenden, die an ihr vorüberschritten und einen Hauch ihres veilchenhaften Liebreizes mit auf den Weg nahmen. Sie verstanden es nicht. Und doch, auch von ihnen nahm es niemand mit. Und sollte es doch einmal vorkommen, so sah man das Mädchen oft schon am nächsten Morgen wieder allein an einer Ecke stehen, verstoßen von dem, der es doch eben noch so lieb gehabt hatte.

Nun, wie es die Märchen uns lehren, so gab es eine Erklärung für all das Leid, das unser weicher, kleiner Samt-Schatz erdulden musste. Denn alles was rein ist und lieb in der Welt, das findet seinen Neider. So begab es sich, dass eine gehässige Fee, ganz zerfressen vom Neid auf das feine Veilchen, unser liebes Mädchen mit einem schauderhaften Fluch belegte. So war das feine Geschöpf dazu verdammt, sich fortan an jedem neuen Morgen in ein garstiges altes Weib zu verwandeln; eine freche, distanzlose Person, mit einer Zunge so scharf wie grob gehackter Ingwer, ein muffiges altes Häkeltuch um die krummen Schultern geschlungen, das roch als hätte es viele Jahre lang in einem alten Zedernschrank neben einem vertrockneten Potpourri aus alten Blüten und trockenen Beeren gelegen. Ein so unangenehmes Ding war die Alte mit ihrer scharfen Zunge und ihren alten Tüchern, dass die Menschen sie mieden und sich von ihr fort drehten. Der Alten machte dies nichts aus, sie kümmerten die Leute nicht und in ihrer Griesgrämigkeit wollte sie alleine bleiben. Doch tief in ihrem Herzen weinte das liebe Veilchen-Mädchen, denn es wollte nicht einsam sein und einfach nur geliebt werden. Doch unsere kleine Violette war tapfer. Tagtäglich kämpfte sie sich trotzig aus dem scharfen Muff an die Oberfläche, so dass nach einer Weile das alte Weib verschwand und sie wieder ganz sie selbst war, duftend und lieblich von den Menschen mit einem Lächeln bedacht.

Obwohl sie tapfer war, ahnte Violette doch, dass es kein Glück für sie geben konnte und ihr Herz wusste, sie hätte ein einsames, trauriges Leben zu leben in ihrer kleine gläsernen Welt. Doch dann geschah, wie es sich für ein gutes Märchen gehört, ein Wunder. Wenn ihr nun denkt, es käme ein Prinz herbei geritten, der sie von ihrem Weiber-Fluch heroische befreite, so irrt ihr jedoch, geschätzte Leser. Denn es kam ganz anders: Eines schönen Morgens ging eine einfache junge Frau durch die Straßen der Stadt. An der Ecke sah sie ein runzliges, altes, keifendes Weib stehen. Mehr aus Mitleid trat sie an die Alte heran. Mit jedem Schritt stieß ihr ein scharfer, muffiger Duft in die Nase. Und obwohl sie ihn instinktiv meiden wollte, so zog etwas sie an. Denn unter dem Gemeinen der Alten da meinte die junge Frau etwas ganz feines, zerbrechliches zu vernehmen und eine tiefe, liebe Einsamkeit und einen Hauch von Balsam, Veilchen und frischer Frucht. Die junge Frau nahm die Alte beim Arm und führte sie in ihr Heim. Sie nahm sie auf und kümmerte sich liebevoll um sie. Und mit der Zeit da waren der Geruch und das scharfe Gekeife der Alten immer weniger streng und hart. Und als dann plötzlich mit einem Male die alte sich verwandelte und das liebe, feine Mädchen vor der jungen Frau erschien, da war sie so froh und dankbar und umarmte das Mädchen lange und hatte es ganz furchtbar lieb. "Ach, lass doch, du wirst mich eh nur wieder auf die Straße setzen, wenn ich mich morgen früh die Alte wieder zum Vorschein kommt", flüsterte Violette leise und traurig. Doch die junge Frau kniete sich zu ihr herab und flüsterte ihr sanft ins Ohr: "Mein lieber Schatz, du musst nie mehr von hier fort gehen und die alte Dame, die darf auch bleiben, wir kommen schon mit ihr klar." Und als Violette sie voller Freunde und Dankbarkeit anlächelte, da war's, als wär' die ganze Welt in einen sanften weichen Veilchenwind gehüllt.

Und so lebten die junge Frau, das alte Weib und das liebe Veilchen-Mädchen glücklich bis an das Ende ihrer Tage.

Ende.
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