Johannesbr

Johannesbr

Rezensionen
Johannesbr vor 3 Jahren 41 4
10
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Eine Hommage an Sedley.
Meine erste Rezension. Na dann mal los.

Frühjahr 2020.

Meine neue Begeisterung für Nischendüfte nimmt immer ernsthaftere Züge an. Fasziniert von dieser neuen, unbekannten Welt stürze ich mich mit all meinem Interesse und meiner Auffassungsgabe (so viel wie nach stundenlangen online Vorlesungen noch rauszukitzeln ist) in nicht endende Abenteuer bestehend aus Parfumo Rezensionen, YouTube Videos und dutzenden Foren.
Le Male, Sauvage, Hollister, cK One, Armani & co. haben ausgedient und werden zur Seite gelegt wie ein in die Jahre gekommener, etwas muffiger Teddybär. Ein Nischenduft muss her.

Am liebsten würde ich sie alle riechen. Von Tom Ford über Creed zu Xerjoff, Parfums de Marly und Amouage. Doch eine gewisse Pandemie und das Leben in einer Kleinstadt machen mir einen Strich durch die Rechnung; es muss wohl noch warten, bis ich wissbegierig Ladentüren einstürmen kann.

Die Alternative ist schnell gefunden: Souk. Also wird bestellt. Cremige Gourmand-Düfte, würzig-grüne Klassiker, frische Sommerdüfte, die allseits bekannten "compliment-getter": Ich rieche mich einmal quer durch die Nischenwelt. Um einen wichtigen Entschluss zu fassen: „beruhige dich“, muss ich mir selber sagen, „du kannst sie nicht alle kaufen“. Also konzentriere ich mich auf den anstehenden Sommer.

Die Flakons mit den zwei Pferden fallen mir auf meiner Suche häufig auf. Viel Beachtung schenke ich Ihnen aber nicht. „Sieht aus wie die Eigenmarke von Ferrari“, denke ich mir und schenke schlichteren und moderneren Flakons (so ist es nun mal am Anfang, man urteilt -gewiss voreilig und zu schnell- über Düfte) wie denen von Tom Ford mehr Aufmerksamkeit.

Aber wozu der Geiz? Sedley kommt mit in den Pool. Überall liest und hört man damals von seiner miserablen Haltbarkeit. Ich bin nicht abgeschreckt. Davon will ich mich selbst überzeugen.

Und es kommt, wie es kommen muss: Er fällt mir direkt positiv auf. Keiner der anderen Düfte kann mit dieser Kreation mithalten. Ich bin hin und weg. „Bitte sei nicht Sedley. Oder sei es. Oder...bitte sei es nicht“, denke ich mir, als ich den Teststreifen umdrehe und lese: PDM: Sedley. Na toll. Gemischte Gefühle kommen auf. Der mit Abstand beste Duft ist also der, dem die schlechteste Haltbarkeit nachgesagt wird. Und? Ist sie denn so schwach? Leider: ja.
Zwei Wochen später habe ich Reflection von Amouage im Warenkorb. Kein wahrer Sommerduft, jedoch gefällt mir diese Le Male DNA mit einem eleganten floralen Touch auch sehr gut. Bis heute.

Frühjahr 2021

Eigentlich zähle ich nur noch die Tage, bis ich endlich in die Parfümerie laufen und diese mit Sedley in einer eleganten schwarzen Tüte verlassen kann. Im Frühjahr diente Bleu de Chanel als Lückenfüller aber jedes Mal, wenn ich im Laden am wunderschönen blauen Flakon vorbeilief, schaute er mich vorwurfsvoll an und sprach förmlich zu mir: „Nun kauf mich doch endlich. Mein einziges Manko war meine Haltbarkeit. Das habe ich hinbekommen. Worauf wartest du?“

Nun, das ist eine gute Frage. Ursprünglich wollte ich ihn mir Anfang Juli zulegen. Als Selbstbelohnung für dann hoffentlich bestandene Prüfungen. Aber warum eigentlich? Sommerliche Temperaturen sind längst Alltag. Gewartet habe ich lange genug. Der Tester ist bald leer. Die Freundin großer Fan. Und irgendein Anlass wird sich schon finden, den 225 Euro Einkauf vor sich zu rechtfertigen.

Cut.

Ich sitze am Rechner, im hier und jetzt. Bewege den linken Arm zu meiner Nase. Und überlege mir, wie ich nach all diesen Paragrafen nun am besten beichte, dass ich eine absolute Niete darin bin, einzelne Duftnoten zu erkennen und vor allem diese in Worte zu fassen. Ich probiere es einfach trotzdem.

Die ersten Minuten riechen für mich, als hätte jemand einen Fruchtsaft aus Limetten, Grapefruit und anderen ähnlichen Zitrusfrüchten auf meinen Unterarm ausgequetscht. Fantastisch, diese Natürlichkeit. Dazu kommt, quasi als Topping: ein frisch gepflücktes Minzblatt. Ich bin hin und weg. Dieses Opening ist meiner Ansicht nach absolut einzigartig und bis heute schafft es kein Duft, mich so in seinen Bann zu ziehen.

Nach etwa 30 Minuten wird der Duft, ich kann es nicht anders sagen, krautiger. Lavendel ist für mich die dominante Note, wenn man es denn so sagen kann. Der Duft ist nämlich alles andere als aufdringlich. Die Frucht geht etwas in den Hintergrund, die Minze nimmt den Platz zum Großteil ein und erklärt für mich das Kraut-ähnliche, würzige. Allerdings auf eine weiche und sehr angenehme Art.

Nach 1,5-2h kommt ein angenehmes Holz dazu. Hölzer, wenn man nach den offiziellen Noten gehen möchte, aber bei meiner Expertise belasse ich es jetzt mal bei einem sanften Holz.

Die Gesamtkomposition hält auf meiner Haut ca. 6-8h. Beachtlich für einen Sommerduft. Das Schöne daran ist, dass das eine dem anderen nie den Platz nimmt. Frisches Citrus, sanft-würziger Lavendel und feinfühliges Holz treten in seiner Symbiose auf.

Zum Flakon kann ich nicht mehr sagen als: perfekt. Die prollige Ferrari-Assoziation von damals ist Geschichte, ich könnte mir dieses elegante blau/grau den ganzen Tag ansehen. Auch der Sprüher ist wahnsinn. Ich könnte minütlich wie ein kleines Kind darauf herumdrücken.

Fazit: dieser Duft ist für mich Perfektion. So einfach, so schlicht, aber doch so reich und einzigartig. Das Warten hat ein Ende.

Um einen von mir geschätzten Wissenschaftler zu zitieren: „der Sommer wird gut.“

Vielen Dank.

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