Kattugla

Als der Eiserne Vorhang noch hing und wir armen Brüder und Schwestern alle halbe Jahre von der Westverwandtschaft ein Konsumgüterpaket geschickt bekommen hatten (passenderweise immer zu Ostern und Weihnachten), waren neben den Feinstrumpfhosen, dem Jacobs-Kaffee (Krönung!) und den Kaugummikugeln fürs Kind (mich!) immer - wirklich immer - zwei Stücken Lux-Seife drin. Das Ganze oben und unten jeweils gedeckelt von einer "Brigitte" und einem alten Neckermann-Katalog, weil Oma für die Lausitzer Dorffrauen die Modelle aus den Heften nachschneiderte.
Oma verfrachtete dann auch prompt die Lux-Seife in ihren alten Nussbaum-Kleiderschrank - zwischen die Weisswäsche, wo die Seife dann so lange ihren Geruch an die Wäsche abgab, wie sie drin lag, danach wurde die Seife ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt.
Ich kann es also drehen und wenden, wie ich will - der Duft ist bei mir untrennbar mit meiner Oma verbunden und mit allem, was meine Aufenthalte bei ihr ausgemacht hatten.

"New Tradition" schafft bei mir genau das - den perfekten Flashback ins Jahr 1979. Kann man gut finden oder nicht - ich mag es weniger. Zumal vom Namen nur "Tradition" bleibt und viel Neues nicht dran ist.

Ich habe versucht, die sehr dominante Seife mit ein wenig Patchouly aus Etros gleicher Serie in eine weniger traditionelle Richtung zu biegen und aus der Oma wenigstens eine Crazy Old Cat Lady werden zu lassen - klappt nicht. Es wird einfach nur Lux- Seife mit Patchouly.

Ich hatte das Pröbchen mitbekommen, als ich Etros "Patchouly" (auch so ein Irrtum) gekauft hatte - ich werde den Rest wohl zwischen meine Weisswäsche verteilen. ;-)

Ein bisschen was möchte ich dann doch zur Ehrenrettung eines Duftes beitragen, der es so aus meiner Sicht nicht verdient hat, einfach als charakterlos abgebügelt zu werden. Isser nämlich nicht.

Vorweg: ich habe mir bestimmt fünfzehn oder mehr Jahre Auszeit von Parfumerien und ähnlichem gegönnt, in der Zwischenzeit mit dem Rauchen aufgehört und daher meiner Nase völlig neue Universen eröffnet. Die ich jetzt so nach und nach erkunde.
Erster Frühlingsbesuch heute - ausgestattet mit einer kurzen Wunschliste - galt dem lokalen Duftdealer. Ich hatte Parfümerien in der 90er Jahren irgendwie vielfältiger in Erinnerung, stand etwas enttäuscht zwischen den Regalen und wünschte mir von der Fachfrau vor Ort, einige Unisex-Düfte mit Weihrauch- und/oder Vetiver-Noten vorgeschlagen zu bekommen.
Sie langte mit einem leicht zweifelnden Gesichtsausdruck nach zunächst zwei Fehlversuchen ins Regal und reichte mir "Silver".

'Toll', dachte ich. 'Die sollen Autos bauen und die Finger von Sachen lassen, die damit nix zu tun haben...' Ich erwartete irgendwas zwischen Leder, Old Spice, nassem Dackel und Duftbäumchen.
Ich schnupperte vorsichtig - immernoch arg im Zweifel.

Zack - wach.
Frische Zitrusnote, den Rhabarber ahne ich auch, von der Grapefruit (die bei mir sonst sehr schnell sauer und dumpf wirkt) keine Spur. Dafür noch etwas Warmes, mag gut Bergamotte sein. Als würde ich gerade frisch geduscht aus der Kabine ins kalte Badezimmer tapsen.
Nach eine Weile wird der Duft rund und ein wenig süss, das Ambroxan arbeitet sich durch und nimmt sich den Pfeffer zur Seite.
Vetiver suche ich zunächst vergeblich. Ab und zu huscht das Moos durchs Bild und hinterlässt den von mir eigentlich befürchteten Rasierwassereindruck, der ist aber schnell wieder weg.
Jetzt, nach gut sechs Stunden, ist der Duft noch immer deutlich, aber unaufdringlich, jetzt sind Vetiver und Moschus da, weich und schmeichelnd, aber da.
Insgesamt ist das für mich ein Duft, dem ich gerne noch ein bisschen hinterherlaufe, weil er nicht ganz in sich abgeschlossen ist, sondern Raum lässt. Nichts Epochales, aber ein charaktervoller Duft, den ich an mir gerne mag, wenn ich jeden Tag nah mit anderen Menschen zu tun habe.
Ach ja - und ganz bestimmt kein reiner Männerduft. Überhaupt nicht. ;-)

Nur mit Autos krieg ich das Ganze nicht zusammen.