12. Der Mythos der verschworenen Priesterschaft
Ich bin ganz schön am Springen in diesem Blog. Einträge, die eher in die Parfumeriegeschichte gehören wechseln mit solchen, wo es um Parfumeriesemiotik geht und solchen, die ein Rumstümpern in Biologie darstellen. Ich habe mich jetzt nicht nur damit abgefunden, sondern angefreundet. Nachdenken über die Verfasstheit und Funktion dieser Kunst, vielleicht nicht nur bei mir, bedeutet ein Hin- und Herhüppen zwischen Gedanken und Theorieansätzen, was sicher damit zu tun hat, dass das Feld der ästhetischen Theorie der Parfumerie so unbeackert ist und man bei jedem Schritt auf eine Furche, einen Maulwurfshügel, einen Mäusebau oder eine schöne Unkrautinsel stößt.
Dies wollte ich hier mal voran schicken und mich bei denen bedanken, die diese Sprünge mithüpfen.
Der heutige Schnipsel gehört wieder zur Parfumerie-Kunstgeschichte.
Wenn ich mich frage, wie es in der Kulturentwicklung nach dem magischen Geruchsritual in der Höhle weiter gegangen sein könnte, ist da sofort die Vorstellung der kultisch-religösen Nutzung von Räucherwerk im Tempel: Priesterinnen und Priester wissen exklusiv um die geheimen Duftrezepte, mit denen Göttern gehuldigt wird. Der Drogeneffekt von einigem Räucherwerk wird genauso bewusst eingesetzt, wie für den Normalmenschen unerreichbare Wohlgerüche, die helfen, eine ätherische, spirituelle Erfahrung zu inszenieren. Im Alltagsüberleben der Menschen gab es aber kein Duftkunsthandwerk. Das Wissen darum wurde im Tempel gehütet und wenn die Leute nicht gerade Anteil am Kult hatten, gab es keinen Duftluxus. Vielleicht für ein paar ganz wenige Königinnen und Könige.
Auch anderen geht es so, wenn sie über eine frühe Duftnutzung nachdenken, wie ich aus Gesprächen und von Blogantworten weiß.
Tatsächlich ist diese Vorstellung aber Quark!
In allen.. ALLEN archäologisch halbwegs erforschten vergangenen Hochkulturen gab es profanen Duftkonsum! Sogar teilweise sehr hoch kultivierten.
Wie kann man das (bei richtig alten, vorantiken Hochkulturen) nachvollziehen durch heutige Funde? Zum einen gibt es Grabbeigaben (auch in nicht adligen Gräbern!) wie Salbentiegel und Ölkännchen, die von der Gestaltung her nicht besonders religiös, dafür aber deutlich alltagsluxuriös wirken. Dann gibt es einige schriftliche Spuren, in denen geschildert wird, dass X oder Y ein gepflegter Mensch war und immer feinen Balsam benutzte. Das, was man an Handelswegen heute rekonstruieren kann, zeigt deutlich, das es Moden bestimmter Duftstoffe gab und Mengen gehandelt wurden, die nicht mit rein religiösem Einsatz zu erklären sind.
Freilich ist unsere nachträgliche Betrachtung untrennbar mit der geistigen und kultischen Welt dieser Kulturen verknüpft! Grabbeigaben sind immer auch von religiöser Bedeutung und Schriftliches gibt es nicht in Form von Tagebüchern oder Privatbriefwechsel, sondern immer in einem Zusammenhang, der Herrschaft (weltliche, gesitige oder beides) legitimiert. Die Funde, die private Normalität zeigen, sind logischerweise sehr gering, da nur für die Ewigkeit gebaut und aufbewahrt wurde, was einen Zusammenhang mit religiöser oder weltlicher Macht und Sitte hatte. Auch der Blickwinkel der klassischen Archäologie ist konzentriert auf solcherart religiöse und repräsentative Spuren. Aber einige Funde geben dermaßen deutliche Hinweise, dass es nicht möglich ist, eine bündige Idee der Duftexklusivität im Tempel zu basteln:
- Es ist klar belegt, dass in der sumerischen Epoche Mesopotamiens bereits 3500 v. Chr. Duftdestillationstechniken angewandt wurden (Extraktion und Mazeration) und Tontafeln dieser ersten Schriftkultur berichten bereits von kosmetischer Anwendung.
- Herodot berichtet von Babylonien, dass wohlhabende Frauen und Männer "ihren ganzen Körper salbten" - wegen des Dufts und zum Schutz vor Sonne und Insekten.
- Ein absoluter Verkaufshit (quasi der Super-Mainstreamduft *g*) Babylons war die "Nardensalbe". Darin war die Hauptduftnote ein aus Indien stammendes ätherisches Öl einer Baldrianart... heute übrigens noch bekannt als "Speick". Nardensalbe war ein privater Konsumartikel und wurde nicht kultisch eingesetzt.
- Es gab den babylonischen Beruf des "muraqqui"... eine frühe Art Parfumeur! Ein murraqqui mischte Salben und Öle nach kosmetischen Rezepten zusammen und verkaufte dann die Produkte.
- Der Körperkult und auch die Vorstellung sinnlicher Schönheit im alten Ägypten waren unentwirrbar verwoben mit Religiösem. Aber ganz klar gab es Lippenstift, Puder, Kajal und Rouge nicht unbedingt nur für den Tempelbesuch, sondern für die Gestaltung seines Gesichts im Leben jenseits heiliger Säulen. Genauso gab es reichlich profanen Duftgebrauch. In Ägypten gab es unendlich viele Cremes und Salben, die mit Duftölen verfeinert wurden. Und kleine, private Artefakte, die über Raffinesse staunen lassen: Im 2. JH v. Chr. waren z. B. Ohrringe in Mode, die ein schalenförmiges Reservoir für Parfum hatten und darin ein kleines Loch, aus dem hin und wieder ein Tropfen auf die Schultern fiel.
- In ein paar altägyptischen Alabaster- und Onyxgefäßen sind Mixturen über Jahrtausende erhalten geblieben und duften heute noch! Man untersucht ihre Zusammensetzung und kann Rückschlüsse ziehen auf ein enormes Duftwissen, das Grundlage der Rezepturen gewesen sein muss.
- Für andere präantike Hochkulturen gibt es auch viele erhaltene Zeugen profaner Duftkultur und spätestens in der europäischen Antike, im alten Griechenland und dann später in Rom wird der/die archäologisch Suchende fast erschlagen von der Masse an Dokumenten und Funden.
Die Leute, die sich auskennen mit Archäologie, mögen mir bitte diese platt zusammen gestellte populärwissenschaftliche Liste verzeihen... es ging hier nur darum, eine Skizze zu zeichnen, die zeigt, wie bunt und reich das Portfolio profaner Parfumerie in alter Geschichte gewesen sein muss.
Unsere heutige Idee ist verzerrt von der Einseitigkeit der Fundmöglichkeiten und der Ausrichtung der tatsächlich noch ziemlich jungen Wissenschaft Archäologie, die lange Zeit nur einseitig suchte. Dazu kommen unsere Vorstellungen durch Kostümfilme und Religionsunterricht. *g* Aber wenn man genauer hinschaut, wird sehr schnell klar: Duftkonsum, Duftkunsthandwerk und Duftwissen waren nicht einer verschworenen Priesterschaft vorbehalten!
Logisch, dass besondere Düfte exklusiv nur besonderen Zwecken vorbehalten waren und dass das Wissen darum nicht die Tempel- oder Palastmauern verließ... aber das ist in der neuzeitlichen Parfumeriegeschichte, bis zur Befreiungsexplosion der Moderne, nicht anders.
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Notiz: Ich bin noch am engagiert Forschen, wie der Duft reifer Bananen mit Vanille bei karibischen Indianerkulturen für hocherotische Rituale verwendet wurde... aber das werde ich nur NEC erzählen. *g*