14. Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose

 Der folgende Blogeintrag ist kein nächster tapsiger Schritt in Sachen ästhetischer Theorie der Parfumerie, sondern ein kleiner Schlenker zur berühmten Zeile Gertrude Steins, die uns oft und auf Parfumo superoft begegnet. Er versteht sich nicht als Quasi-Lexikoneintrag, sondern als Verstehensversuch ein paar außerordentlich wirksamer Worte:

A rose is a rose is a rose

Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose

Die Gedichtzeile Gertrude Steins ist eine berühmte Floskel, wird ständig zitiert, meistens ohne einen bestimmten Grund, einfach, weil man es kennt, weil es einem in den Sinn kommt, weil es richtig und schön klingt.

So auch hier bei Parfumo. Wenn es um Rosen geht, tauchen diese Worte beinahe selbstverständlich auf, automatisch – und bei Parfumo geht es dauernd um Rosen.

Aber was bedeutet dieser Gedichtsatz? Warum ist er so berühmt, warum schwingen zwischen und hinter den Worten Wahrheit und Weisheit mit? Woher kommt dieser richtige und schöne Klang?

„A rose is a rose is a rose“ entstand zunächst als erste Zeile eines Gedichts und lautete ganz anders: „Rose is a rose is a rose“. Der unglaublich kraftvolle, wirksame Satz entstand, als Gertrude Stein etwas über einen Menschen namens Rose ausdrückte. Erst, als er auf dem Papier war und in Steins und ihrer Mitmenschen Gehirne fand, erst dann emanzipierte er sich und nahm den unbestimmten Artikel an: „A Rose“. Die Dichterin zitierte ihn fortan selbst nur noch in dieser Form. Seither zitiert ihn auch alle Welt so.

Ein mitgegebener Eigen-Sinn produzierte offenbar eigensinnig Sinn. Aber welchen? 

Wirkt der Satz auch, wenn es nicht die Rose ist? Ein Stuhl ist ein Stuhl ist ein StuhlDie Stuhl-Zeile besagt formallogisch scheinbar das gleiche. Aber der Rose sind noch mindestens zwei weitere Bedeutungsebenen mitgegeben: Zum einen schließt der Satz an den Universalienstreit an, zum anderen ist die Rose ein gefühlsaufgeladener, per se lyrischer Begriff.

Der Universalienstreit ist ein Dauerbrenner der Seinsphilosophie. Das Thema geht zurück auf Platons Ideenlehre. Ich versuche das im Folgenden so knapp, wie möglich, auf den Punkt zu bringen:

Eine Idee ist das, was in allen Dingen oder Handlungen dasselbe ist, egal, wie sehr sich diese voneinander unterscheiden mögen. Also der Allgemeinbegriff. Der Allgemeinbegriff „Stuhl“ ist die Idee vom Eigentlichen des Stuhl-haften, unabhängig davon, ob wir den einen Gegenstand (einen grünen Holzstuhl mit Armlehne) oder den anderen (das Foto eines roten Stuhls mit Sitzkissen) meinen. Dieses „Urbild“ ist nach Platon real. Urbilder (Universalien) sind unveränderlich, unterliegen nicht der Zeit, der Wahrnehmung, einer unterschiedlichen Begrifflichkeit oder kausaler Wirkung – sie sind nicht relativ zu irgendwas, sondern die konkreten Erscheinungen sind relativ zu ihnen. Das Wort ist nicht nur bloßes Zeichen, sondern der Ort, wo die Ideen als Seiendes erkannt werden können. Die Idee, aus der das Wort „gut“ entsteht, ist nach Platon daher etwas Reales, etwas Seiendes. Da die Universalien den Einzeldingen übergeordnet sind, haben sie eine höhere Wichtigkeit. Erkannt werden können Sie nicht durch Sinnenswahrnehmung (so wie die Einzeldinge in ihrer jeweiligen Erscheinungsform), sondern nur durch Vernunfterkenntnis.

Das sieht, zumal aus heutiger Sicht, nach einem komplett unnützen akademischen Theoriethema aus. Aber es hatte, vor allem im Mittelalter, immensen Einfluss auf Wirklichkeit und reales Leben, da die Definition z.B. von Dreifaltigkeit davon abhing. Die Frage, wie seiend (also von welcher realen Existenz) Universalien sind, führte zu einem mächtigen scholastischen Streit: Dem so genannten Universalienstreit.

Um das hier kurz zu halten: Die beiden äußersten Theoriepole waren der Realismus (Universalien sind real, gehen den Einzeldingen sogar in der Entstehung voraus, das Universale geht auf eine einzige identische Substanz [= Gott] zurück) und der Nominalismus (Existenz kann nur haben, was sinnlich wahrnehmbar ist, Abstraktion ist reine Logik und Logik ist eine „Wortkunst“). Der ziemlich schlaue Pierre Abaelard hat eine andere Lösung vorgeschlagen: Universalien entstehen erst durch Abstraktion und Vernunfterkenntnis, sind aber gleichwohl real. Hierfür verwendete er das Beispiel vom „Namen der Rose“: Es bleibt der Name der Rose, auch wenn sie verblüht ist (ut hoc nomen rosa, quando nulla est rosarum quibus commune sit).

Seit Abaelard den Namen der Rose benutzt hat, um die Beziehung zwischen Akzidenz und Idee, Ding und Wort daran zu verdeutlichen, ist „der Name der Rose“ ein geflügelter Begriff und eine Positionierung im Universalienstreit, bzw. eine Aussage über Zeichen. Wenn also im 20. Jahrhundert ein Satz über Worte, Dinge, Sinn und Zeichen am Beispiel von „Rose“ formuliert wird, ist das ein Anknüpfen an diesen „Namen der Rose“.

Die andere Bedeutungsebene, die bei Getrude Steins Zeile mitschwingt, ist auch ohne halbes Philosophiestudium zu verstehen: Die Rose ist aufs Höchste lyrisch aufgeladen. Die Königin der Blumen, das Zeichen für Liebe und Huld, Vollkommenheit mit Dornen, bereichert mit einer großen christliche Rosensymbolik und verwendet in tausenden Gedichten und Liedern. „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“ transportiert natürlich Wagenladungen voller Gefühl, Assoziation und Bedeutungsecho mit, da kann der Stuhl nicht mithalten.

Aber was sagt die Zeile an sich? Dass sie ungeheuer viel bedeutet, ist inzwischen klar, aber was sagt sie?

Zunächst mal sind alle Worte dieser Zeile eben Worte. Also Zeichen. Da ist nirgends eine Rose.. nur der Name der Rose. In unmittelbarer Rede ist allerdings der Zeichencharakter nicht Thema, es geht schon um die Rose als konkretes Ding. Zuerst… spätestens wenn die zweite „Rose“ genannt wird, wird klar, dass das Ding hier eigentlich das Wort oder der Name ist. In dritter Instanz wird das wiederholt und eine unendliche Schleife aufgemacht: Das Ding ist der Name des Dings und wenn wir den Namen benennen, dann mit dem selben Name, der auch das Ding nennt, usw.

Der viel zitierte Gedichtsatz von Gertrude Stein vollführt, was er sagt: Der Name eines Dings und das Ding rücken so nah, das sie zu Einem werden. Das Zeichen ist das Bezeichnete und das Bezeichnete das Zeichen. Sprachlich und künstlerisch ist das eine sehr reizvolle Aufgabe: Die Vermessung des Abstands zwischen Wort und Ding.

Und mit dem Wissen um die philosophische Tragweite stellt sich sofort die Frage: Ist Existenz eine andere, wenn ihr ein dreidimensionales Ding zugrunde liegt und ist die abstrakt wesenhafte Existenz, die „nur“ ein Wort als Ausgangspunkt hat, nicht die „wahrere“? Welche Annäherung gibt es zwischen dem konkret Seienden und dem abstrakt Seienden – und ist literarische Kunst wesenhaft eine Art Annäherung zwischen Wort und Ding? Genau das war die Mission der Dichterin Stein: Per se im Bereich der Worte, Zeichen und Namen agierend und mit dem Wissen um den Unterschied zwischen Ding und Wort ging sie der unmöglichen Sehnsucht nach dem Einen, dem Wahren nach. Sehnsucht nach dem Absolue, das durch Destillation entsteht, nach einer unmöglichen Essenz. Nur im Wissen um das Zeichen kann das Ding für kurze Zeit deckungsgleich damit werden. Ganz bewusst, wollend und bejahend begab sich Gertrude Stein in die Endlosschleife. Nur in dieser Endlosschleife ist ein kurzes Beides-Sein möglich. 

Wenn wir uns allerdings olfaktorisch der Rose nähern, scheint zunächst diese Einheit und Absolutheit der Rose zu zerfallen in eine Pluralität, die nicht mehr unter ein Zeichen zu bändigen ist. Wer den Unterschied kennt, wird eine bulgarische Rose und eine Damaszenerrose nie mehr deckungsgleich wahrnehmen und benennen können. Der Name der Rose reicht nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr ganz… zurückkommen wird man doch immer wieder auf den Namen „Rose“. Der erste, allen Unterscheidungen voran gehende Generalbegriff, ganz im Sinne Platons.

Das endgültige Absolue, die eine Essenz, der „wahre“ Rosenduft ist unmöglich. Das wissen wir. Trotzdem suchen wir ihn. Trotzdem haben wir eine Idee davon. Ein Gral. Was wir finden sind viele Rosendüfte. Die wahre, eigentliche Rose gibt es nicht. Den wahren, einzigen Rosenduft gibt es nicht. Aber sehr wohl die Sehnsucht danach.

Eine Rose ist eine Rose, ist eine Rose. Sie ist immer nur Wort, Name oder Duft, wenn auch in Wort, Name und Duft die Sehnsucht nach der Rose steckt.

Meine eigene Rosenduftsehnsucht hält sich in Grenzen. Aber die persönliche Gralssuche, die niemals einen Gral finden wird, dafür aber viele, viele Düfte, an der nehme ich auch teil.

1 Antwort
EternityEternity vor 14 Jahren
Juliet:
"What's in a name? That which we call a rose
By any other name would smell as sweet."
Romeo and Juliet (II, ii, 1-2)

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