3. Schönheit


Ist es Aufgabe der Kunst, schön zu sein?
Kunst reizt Sinne, beantwortet (bestenfalls vorher unbekannte) Bedürfnisse unserer Sinneswahrnehnung, verschafft Genuss... klar geht das prima mit Schönem. Aber ist es Sinn, Zweck und Ziel?

Picassos "Guernica" würde ich mir nicht über´s Sofa hängen. Es ist nicht schön. Ich schließe mich aber der unumstrittenen Meinung an, dass es große Kunst ist: Wirksam, die Zeit prägend, unglaublich stark.
"Guernica" beantwortet also andere Bedürfnisse, als das nach Schönheit.

Wenn Benn in seinen Morgue-Gedichten von Leichen, Verfall und grotesker Begegnung mit dem Natürlichen schreibt, dann ist das nicht nur "nicht schön", sondern ekelerregend, furchtbar, spontanes Abwenden gewollt provozierend. Dennoch Kunst, keine Frage, und auch noch verdammt gute.

Oft stehen Menschen sehr befremdet vor Kunstwerken und sagen: "Wo ist das denn Kunst - es ist ja nicht schön." Sie beschränken den Kunstbegriff auf die Beantwortung nur des einen Bedürfnisses, dem nach Sinnesreizung durch Schönheit.
Es gibt aber noch andere Bedürfnisse, die durch Kunst beantwortet werden können und wenn man die mit rein nimmt in seine Begriffe von Qualitäten der Kunst, dann sind auch viele Kunstwerke nicht mehr fraglich (jedenfalls nicht in dieser Hinsicht).

Bei Literatur ist es ein alter Hut, dass Thema, Inhalt und Form nicht einer simplen Ästhetik des Schönen unterliegen. Bei Malerei und Skulptur hat die Kunst durch die unglaublich produktive klassische Moderne und das 20. JH hindurch endlich den großen Freiraum erkämpft, nicht mehr an Schönheit gemessen zu werden. Bei Musik sind im Zuge der Moderne ebenfalls ganz wichtige Vorstöße gemacht worden. Schönheit im akustisch Unschönen zu genießen, ist allerdings beschränkt, da wir unwillkürlich körperlich auf Misstöne reagieren. Zeitgenössische Klassik und Jazz beschreiten immer wieder dieses noch recht unerforschte, heikle Grenzgebiet.

Musik ist die Kunstform, die der Parfumerie in dieser Hinsicht am ähnlichsten ist. Auch auf Geruch reagieren wir sehr viel mehr direkt und unwillkürlich, als auf z.B. optische Reize. Die Wirkungsweise akustischer Harmonien ist vergleichbar mit der olfaktorischer Harmonien - nicht umsonst sprechen wir von Duftnoten, Duftakkorden und Duftkomposition.
Und ganz ähnlich der Musik, ist auch die Parfümerie eingeschränkt in der Wahl der Ausdrucksmittel, denn wir reagieren unvermittelt körperlich.

Hierbei ist dieses "unvermittelt" entscheidend wichtig: Die Ratio ist hier nicht Vermittlerin. Bei jeder Kunstrezeption (außer der literarischen) ist der unmittelbare Sinneseindruck das erste, was stattfindet. Aber wann sich die Ratio dazu schaltet und wie viel Einfluss sie dann hat, ist sehr unterschiedlich. Wenn das Denken früh zur Rezeption dazu kommt (oder gar notwendig ist, um überhaupt rezipieren zu können, wie bei Literatur), prägt und leitet es unsere Wahrnehmung: Es findet Vermittlung statt.
Bei Musik und Parfum ist dieses Hinzutreten der Ratio spät... sehr spät. Deutlich nach der Sinneswahrnehmung. Erst die Erfahrung, dann die Deutung und durch die Deutung eine vielleicht geänderte zweite Erfahrung.
Deshalb ist es fast unmöglich, um Ausdruck zu schaffen, Stilmittel zu verwenden, die in dieser ersten, unvermittelteten Wahrnehmung "unschön" ankommen. Unser Abwenden und Verweigern ist unausweichlich und nicht steuerbar - eben auch unvermittelt. Das begrenzt das Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten enorm.
Begrenzt auf Schönheit.
Fast tragisch, finde ich.

Allerdings ist das nur derzeit so... vielleicht verändert sich da was. Wir sind vergleichsweise so unerfahren in der Rezeption Parfums, so ungeschult und quasi-kleinkindlich. Wenn unser Repertoire an Erfahrung größer wird, werden sich auch die Grenzen des Spektrums weiten. Die natürliche Wahrnehmung ist wenig bis gar nicht beweglich, aber unser Umgang damit, zumindest ein wenig. Das, was als "schönes Parfum" wahrgenommen wird verändert sich. Vor 100 Jahren war das etwas ganz anderes als heute. Und dieser Prozess schreitet fort: "Secretetions Manifiques" oder "Revolution" z.B. sind Parfums, die heute aktuell an diesen Grenzen experimentieren.

Bewegt sich der/die Künstler/in nur im sicheren Teil des Spektrums, wie sehr nimmt er/sie Rücksicht auf den Anspruch des Gebrauchs, der Tragbarkeit? Wie sehr unterliegt das Parfum den gegebenen Schönheitsregeln und entsteht dadurch Reibungsfläche oder herrscht Harmonie im Einklang mit den Vorschriften? Wo wird wie aus dem Diktum des Schönen ausgebrochen und stellt sich dadurch eventuell eine neue, eine andere Schönheit her?

Das alles sind Fragen nach der Schönheit von Parfum, die gleichsam Befragung der Kunsttheorie, der Ästhetik von Parfum sind.

"Schön oder nicht" - jenseits, weit jenseits persönlichen Geschmacks.

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