Der große Evolutionsvorteil: Eine Nase, die Jicky riechen kann

Vor gut 40.000 Jahren riecht eine Homo sapiens-Frau an einer essbaren Wurzel.

Was riecht sie?

Mehr oder weniger oder anders als wir heute?

Ganz sicher mehr und anders als ihr nur wenige Kilometer entfernt lebender Nachbar, ein Neandertaler. Sein Geruchsvermögen unterscheidet sich von dem der Nachbarin.

Wahrscheinlich gibt es viele einzelne Qualitäten, die als Gründe daran mitwirkten, dass die Homo sapiens-Frau unsere Ur-ur-ur-usw-Oma wurde und dass ihr Nachbar es nicht in unsere Ahnengalerie schaffte:  Zum Beispiel hatte unser Vorfahr, der anatomisch moderne Mensch, ein viel größeres Talent zur Sprache. Es wurden zwar Zungenbeine in Neandertal-Knochenfunden identifiziert und das für Sprache offenbar grundlegend wichtige Sprach-Gen FOXP2  in Neandertaler-DNA sequenziert, aber es ist ziemlich sicher, dass die Sprache der Neandertaler nicht besonders komplex war und dass hingegen das große Homo sapiens-Talent zur Entwicklung einer außerordentlich differenzierten Sprachverständigung einer der Faktoren war, die einen entscheidenden Vorteil ausmachten. Ein anderer war wohl, dass sich die Homo sapiens-Menschen fröhlich und eifrig fortpflanzten, während ihre seit über zweihunderttausend Jahren entfremdeten Verwandten nicht so erfolgreiche Reproduzenten waren und ihre Kinder auch noch ein ganzes Jahr länger an Mutters Brust genährt werden mussten. Der Homo sapiens baute und benutzte kompliziertere Werkzeuge, ersann trickreichere Jagdtaktiken und hatte insgesamt einfach originellere, schlauere Ideen. Im Vergleich dazu war dann die größere körperliche Robustheit des Neandertalers kein entscheidender Vorteil.

Bis vor rund 45.000 Jahren war der Homo neanderthalensis die dominierende Menschenart in Europa. Dann wanderte der anatomisch und genetisch modernere Homo sapiens aus Afrika ein, der mit dem Homo neanderthalensis gemeinsame Vorfahren hatte, sich aber eigenständig und anders entwickelt hatte als die ersten Europa-Auswanderer, aus denen der Neandertaler wurde. Wenige Jahrtausende nach dem Einwandern der Newcomer starb der Neandertaler aus. Warum genau das passierte, ist nicht klar. Krieg oder Eiszeit waren nicht die Gründe… angenommen wird  ein Potpourri aus einzelnen Fähigkeiten und angelegten Entwicklungen, die den Homo sapiens ungeheuer fit und im Vergleich viel fitter machten.

Ein weiteres Teilstück dieses Potpourris – und wie es aussieht ein ziemlich wichtiges – wurde kürzlich von Paläoanthropologen gefunden:

Der Homo sapiens konnte viel besser riechen als der Neandertaler!

Zu diesem Ergebnis kommt die Studie einer internationalen Forschergruppe in einem Ende 2011 veröffentlichten Bericht über die vergleichende Analyse der Gehirnformen von beiden Arten. Mit dreidimensionaler Computerrekonstruktion (3D-Morphometrie) wurden die inneren Strukturen fossiler menschlicher Schädel dargestellt, wodurch anhand der anatomischen Form der Schädelbasen auch die Gehirnformen rückschließend erkannt werden konnten. Es zeigte sich, dass nicht nur die für Sprache, Gedächtnis und soziale Fähigkeiten wichtigen Schläfenlappen, sondern ebenso auch die Riechlappen mit dem Riechkolben (Bulbus olfactorius), beim Homo sapiens größer waren als bei Neandertalern. “Die Gehirnstrukturen, die Geruchsinformationen empfangen, sind bei Homo sapiens ungefähr 12 Prozent größer als bei Neandertalern“ ¹ wird in der Arbeit festgestellt.

Die an der Uni Tübingen lehrende Prof. Dr. Katerina Harvati war Teil dieses Teams und erklärte gegenüber Archäologie online: "Im Gegensatz zu anderen Säugetierarten wurde das Geruchsvermögen bei Primaten und Menschen bisher als ein relativ unbedeutender Wahrnehmungssinn angesehen. Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Bedeutung des Geruchssinnsinn der Entwicklung unserer eigenen Art, vor allem hinsichtlich der sozialen Evolution, neu beurteilt werden muss."²

Der Geruchssinn ist, wie wir wissen, der einzige, der seine Infomationen erst in das limbische System und danach in den Cortex liefert. Alle anderen Sinne landen ohne Umweg im kortikalen Bereich, wo Kognition stattfindet. Geruchsinformation wird erst verwertet in Hypothalamus, Hypophyse, Amygdala und Hippocampus… und hat damit einen Einfluss auf Hormone, Gefühle, Erinnerungen und Laune. Dass dadurch ganz viele unbewusste Sachen passieren (also solche, die mir auch nicht bewusst werden, wenn ich darum weiß… wirklich und grundlegend unbewusste) und dass damit Funktionen erfüllt werden, die über Geruchswahrnehmung steuer- oder beeinflussbar sind, auch ohne dass der Mensch irgendwas davon mitbekommt, ist schon an mehreren Stellen der Beschäftigung mit dem Riechen bei Parfumo Thema gewesen. Die Neurowissenschaft verwendet den Begriff „höhere olfaktorische Funktionen“ für die Gehirnfunktionen, die das menschliche Denkvermögen (Gedächtnis, Intuition, Wahrnehmung, Urteilsvermögen) und den Geruchssinn kombinieren.

Dass ein Riechen, das zu diesen „höheren olfaktorischen Funktionen“ besser oder überhaupt befähigt,  den Homo sapiens in distinktem Maße auszeichnet und ein tatsächlich wichtiger Grund für seine evolutionäre Star-Rolle ist, konnte durch die vergleichende Studie von Prof. Dr. Harvati und ihren Kollegen/Kolleginnen sichtbar werden.

Die Vorteile dieser zwölf Prozent besseren Riechens waren ungeheuer wichtig: Das, was dem Homo sapiens möglich wurde, war nicht einfach nur, dass er eine essbare Wurzel besser erkennen konnte… vielmehr wurde ihm eine enorme Bandbreite an Emotion, Erinnerung, Motivation, Neugier, Angst und Freude möglich.

Sein Riechen war Teil seiner ungeheuren sozialen Kompetenz. Sie wurde durch das große Riechvermögen entscheidend unterstützt. Diese olfaktorische Unterstütztung wirkt bei Partnerwahl, familiärer und anderer sozialer Bindung, sozialem Einfühlen und Verstehen. Ob das mit Pheromonen stattfindet, wie z.B. bei Insekten, ist zweifelhaft und bislang konnte kein menschliches Pheromon identifiziert werden. Dass aber pheromonartig wirkende geruchliche Botenstoffe den Menschen ungemein stark beeinflussen, ist unumstritten.

Diese Fähigkeit zu größerem, besserem Riechvermögen und damit zu einer komplexeren Interaktion mit der Umwelt, vor allem der sozialen und zu olfaktorischer Kommunikation mit ihr ist ein Merkmal, dass den Homo sapiens von seinem Neandertaler-Nachbarn unterschied.

Der eine starb aus…

… der andere komponierte einige Zeit später Jicky.

 

¹http://idw-online.de/de/news455744

²http://www.archaeologie-online.de/magazin/nachrichten/homo-sapiens-verfuegt-ueber-besseren-geruchssinn-als-der-neandertaler-19515/

Literatur:

Bastir  M. , Rosas A., Gunz P., Pena-Melian A., Manzi G. , Harvati K., Kruszynski R., Stringer C., Hublin J.-J. 2011. Evolution of the base of the brain in highly encephalized human species. Nature Communications 2:588

Harvati K. 2012. Der Geruchssinn. In: Von Sinnen: Wahrnehmung in der zeitgenössischen Kunst. Kunsthalle zu Kiel, Kerber Art, S.72-73.

Bild: Mit freundlicher Genehmigung des Neanderthal-Museums in Mettmann http://www.neanderthal.de/ 

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