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Hirnchemie: Die Wahrnehmung der Wahrnehmung

EDIT (1 Tag nach der 1. Fassung): Bei Parfumo wird immer wieder der Punkt erreicht, wo die eigene Wahrnehmung als "richtig" oder "objektiv" verteidigt wird gegen den Hinweis, dass sie subjektiv sei. Dafür bemüht werden Theorien, die diese "Richtigkeit" belegen sollen. Dadurch entsteht m. E. oft eine Vermischung von "objektiv" und "subjektiv". "Objektiv" soll die Beobachtung sein, dass im Parfum XY irgendeine Geruchsnote drin sei und sei es nicht den Ingredienzien des Parfums geschuldet, dann halt der Hautchemie, der Tatsache, dass man raucht, gerade Menstruation hat, es draußen kalt ist oder der Briefträger rote Haare hatte heute Morgen. Aber auf keinen Fall darf dieser Eindruck als "subjektiv" bezeichnet werden von anderen. Umgekehrt gilt die Subjektivität als letzer Rückzugsort: Wenn irgendwer meiner Beobachtung widerspricht, dann kann ich (alternativ zur Bemühung von Theorien) immer sagen: "Das ist subjektiv - Du kannst also GAR NIX dazu meinen. Akzeptiere es ohne jedes Wort dazu (außer Beifall)!"  Beidemale sehe ich eine grundlegend falsche Verwendung von "objektiv" und "subjektiv" zugrunde liegen und möchte mit dem folgenden Blogtext versuchen, diese beiden Begriffe, bezogen auf Geruchswahrnehmung etwas auseinanderzudröseln. Wichtig ist hierbei: Man darf auf keinen Fall "objektiv" mit "wahr" verwechseln. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Umgekehrt gilt das für "subjektiv" und "unwahr". Dieses Edit erachte ich für notwendig, weil ich (zu Recht) darauf hingewiesen wurde, dass dieser Artikel als "Rechtfertigung des Subjektiven" missverstanden werden könnte. Das ist er nicht. Vielmehr ein Versuch, das Verständnis von objektiv/subjektiv etwas zu klären und dem dauernden Missbrauch beider Worte bei Parfumo etwas entgegen zu setzen. Hoffentlich etwas Logisches und Nachvollziehbares. ENDE EDIT

Unterschiede in der Wahrnehmung: Warum individuell unterschiedliche Rezeptionsverarbeitung in den besten Familien vorkommt und was wir bei Parfumo damit anfangen können.

Im Folgenden mag ich ein paar Beispielansätze geben, warum Geruchsrezeption so unterschiedlich funktionieren kann, dass wir im ersten (oft auch zweiten) Impuls immer wieder von Veränderung des Parfums oder Unterschieden der „Hautchemie“ ausgehen wollen. Es gibt natürlich Veränderung von Parfum (z.B. wenn mein einzelner Flakon älter oder das Parfum reformuliert wird), hingegen Hautchemie gibt es nicht (oder wenn man unbedingt daran glauben mag, ist sie jedenfalls nicht die Erklärung für alles). Aber diese Veränderungen werden ganz oft als willkommene, einfache Antworten auf alle möglichen Fragen herangezogen und dabei blenden wir allzu leicht einen enorm großen und wichtigen Teil unserer Parfumerfahrung aus. Ich werde in diesem Blogtext ein paar alternative Antwortmöglichkeiten darstellen. Dabei werde ich ein paar Worte investieren in Überlegungen, warum wir uns in Duftangelegenheiten gewöhnlich so gewaltig sträuben gegen die Wahrnehmung der Wahrnehmung. Als Überschriften der drei Kapitel wähle ich häufig gelesen Einwände.

 

1. „Mein Hirn ist doch gesund!“

Ein Abwehrargument, dem man häufig begegnet ist: „Soll das heißen, mein Hirn macht da was eigenes? Dass ich bekloppt bin?  Ich bin doch ganz gesund und normal!“

Unterschiedliche Wahrnehmung eines zunächst gleichen Umweltreizes ist offenbar nicht leicht zu akzeptieren. Subjektives wird schnell abgewertet als nicht gültig, nicht der Rede wert, individuelles „Problem“ usw. Hingegen die Annahme, dass es Objektives gibt, das das unterschiedliche Riechen erklärt, wird ganz bereitwillig angenommen, denn damit haben wir die Sicherheit einer gesunden Normalität, zu der wir freilich gehören wollen. * 

Die Sehnsucht nach Objektivität der Voraussetzung und die Ablehnung der Subjektivität in der Wahrnehmung verstellt das Begreifen von Geruch... davon, wie dieser Sinn funktioniert.

Wenn es um einen anderen Sinn geht, ist das alles viel einfacher:Wir stellen uns eine Farbkarte mit Grün darauf vor. Wir gucken sie an und sehen Grün. Das ist Grün. Grün ist Grün, unabhängig davon, was wir vielleicht individuell damit verbinden. Dass dem so ist, kann man naturwissenschaftlich ganz klar belegen: Grün liegt im Wellenlängenbereich von 490 – 575 Nanometern. Punkt. Wenn wir da allerdings kein Grün sehen, sondern Braun, dann ist das ein Fehler, eine Schwäche, eine Behinderung (z.B. Rot-Grün-Sehschwäche oder  Rot-Grün-Blindheit = Dyschromatopsie). Das lässt sich aber auf den Geruchssinn nicht übertragen.

Zunächst ist überhaupt nicht klar, wie die Übertragung an den Rezeptoren genau funktioniert. Wie die Zapfenzellen auf der Netzhaut auf Licht aus einem gewissen Teil des Spektrums reagieren, ist klar - aber wie Geruchrezeptorzellen ein bestimmtes Molekül erkennen und warum dann welcher Reiz ausgelöst wird, ist noch nicht befriedigend klar erforscht. Dann kommt hinzu, dass die Verteilung und Menge der verschiedenen Riechzellen (wie viele es gibt, ist übrigens auch noch nicht klar) individuell unterschiedlich ist. Und in der Biographie eines Individuums kann sich das dann auch noch verändern (z.B. Training ergibt ein Riechzellenplus, Teilanosmie ergibt ein Riechzellenminus). Bereits schon das Aufnehmen des Reizes ist also unterschiedlich von Individuum zu Individuum. Dann erst kommt die ganze Sache mit der weiteren Verarbeitung des Nervenimpulses. Der geht zunächst ins limbische System, dort in den Hypothalamus mit der dran hängenden Hypophyse (= Wirkung aufs Hormonsystem) sowie zur Amygdala und zum Hippocampus (dort wo unsere Gefühle und Erinnerungen gespeichert sind) und erst danach in den Cortex, wo überhaupt erst kognitives Wahrnehmen und Bewusstsein stattfinden können. Die Wahrnehmungs-Verarbeitung, die unbewusste oder bewusste Interpretation von Wahrgenommenem macht dann noch mehr und noch weiter reichende Unterschiede (dazu mehr im zweiten Teil, s. u.). 

Boah! So viele Faktoren! So viel Unklares einerseits und Individuelles andererseits! Ist es da überhaupt möglich, von irgendeiner Objektivität auszugehen? Riechen wir nicht alle etwas völlig unterschiedliches? Warum dann überhaupt darüber reden/schreiben? Warum dann überhaupt Parfumo?

HA! Stop!

Das genau ist der Punkt: Darüber Reden und Schreiben. Das ist nämlich der intersubjektive Abgleich, mit dem wir herausfinden, dass es eine gewisse Objektivität gibt! Bei allen Sinneseindrücken (z.B. auch der Farbe „Grün“) ist es der intersubjektive Austausch, der eine Verständigung über unseren Bezug zu einer natürlichen Objektivität  ermöglicht (superhilfreich zum Begreifen ist hier das Gleichnis vom Käfer in der Schachtel von Wittgenstein). Der intersubjektive sprachliche Austausch findet auch beim Riechen statt: Der Geruchseindruck „Grün“ kann durch bestimmte Moleküle ausgelöst werden. Ob die Individuen A, B und C ihn empfangen und ähnlich verarbeiten, können sie nur rausfinden, indem sie sich darüber austauschen.

Wahrnehmung ist immer subjektiv! Ob ich jetzt die Farbe Grün oder den Geruchseindruck Grün wahrnehme. Bei ersterem ist aber unser Abgleich mit der natürlichen Objektivität sicherer, einfacher und erfolgt klarer aufgrund bekannter biologisch-physikalisch-chemisch-medizinischer Tatsachen. Beim zweiten ist die Sicherheit der natürlichen Tatsachen nicht so weit gediehen und die relativ große Unterschiedlichkeit der individuellen Sinnesverarbeitung kommt hinzu. Zur per se subjektiven Wahrnehmung kommt also noch bei diesem Sinn eine spezifisch höhere Subjektivität hinzu.

Es gibt Objektives. Ganz klar. Aber das subjektive Feld ist hier immens groß. 

Zurück zum Ausgangsargument: „Mein Hirn ist doch normal!“

Ja! Eben!

Wenn das Hirn normal ist, dann ist Geruchswahrnehmung trotzdem (oder gerade deswegen) zu einem gehörigen Anteil subjektiv.

  • 100 normale Augen sehen das gleiche, wenn sie eine einfache Farbkarte betrachten.
  • 100 normale Hirne verarbeiten in etwa das gleiche, wenn ihnen die Augen den Eindruck „grün“ schicken.
  • 100 normale Nasen riechen ungefähr etwas ziemlich ähnliches, wenn sie an einen Blotter mit der Geruchs“farbe“  „grün“ riechen.
  • 100 normale Hirne verarbeiten etwas Unterschiedliches mit einer großen Schnittmenge, die wir als „grün“ bezeichnen, wenn ihnen die Nasen den Eindruck „grün“ schicken.

 

Bei allen Sinneswahrnehmungen wird unterschieden zwischen der Rezeption (Aufnahme von Umweltreizen) und der Perzeption... das Perzept ist das, was am Ende unseres Wahrnehmungsvorgangs steht, das, was wir gemacht haben aus dem ursprünglichen Reiz. Ein Perzept ist immer und grundsätzlich etwas Subjektives, auch wenn wir davon ausgehen können, dass die verschiedenen Perzepte, die der gleiche Umweltreiz auslöst sehr vergleichbar und ähnlich sind. Diese grundlegende und wichtige Unterscheidung trifft bei Geruchswahrnehmung noch mehr zu, als bei anderen (Ich möchte annehmen, dass das an unterschiedlich zusammen gebauten Riechschleimhäuten und am Weg der Verabeitung über das limbische System liegt... es kann aber durchaus sein, dass dafür allein die große Sicherheit unseres Umgangs mit dem Gesichtssinn und die hohe intersubjektive Verständigung über Gesichtssinnperzepte verantwortlich sind und die Besonderheit der Geruchswahrnehmung nur eine scheinbare ist.).

Wenn wir also darauf bestehen wollen, dass unsere Nasen und Hirne „normal“ sind, dann sollten wir die naturgemäße Unterschiedlichkeit der Geruchswahrnehmung akzeptieren und sie zu unserem Austausch über Geruch hinzunehmen. 

 

2. „Was sollen denn das schon für große Unterschiede sein?“

Häufig wird abgelehnt, dass es Wahrnehmungsunterschiede gibt, weil man denkt, dass es unlogisch ist, dass die Natur eine so große Quote von Subjektivität bei einem Sinn eingerichtet haben soll. Ergo können diese nicht bedeutend sein, ergo sind sie für uns nicht interessant, wenn wir über Parfum sprechen. Aber dem ist nicht so.

Warum wird in dem einen Gehirn der Geruchseindruck „grün“ so verarbeitet und in dem anderen Gehirn so, so dass es nur eine gewisse  Schnittmenge zwischen beiden Eindrücken geben kann? Was soll das? Ich selbst bin keine Hirnforscherin, noch nicht mal Ärztin, Biochemikerin oder überhaupt Naturwissenschaftlerin. Rezeptionsforschung und Wahrnehmungspsychologie kenne ich nur als interessierte Leserin „von außen“. Deshalb kann ich hier nur ein paar Impulse weitergeben, einige Vermutungen anstellen, leider nicht befriedigend erklären. Aber allein diese Impulse und Vermutungen dürften aufzeigen, wie groß das Feld der Unterschiedlichkeiten ist und wie sinnvoll es ist, dass es sie gibt.

Unterschiede durch Selbstwahrnehmung

Das eigene Ich – unendliche Weiten.

Ich-Bildung, Ich-Wahrnehmung, Ich-Bedeutung machen ein riesiges, unglaublich weites wissenschaftliches Feld aus. Eine ganze Wissenschaftsdisziplin (Psychologie) gibt es dafür und in so ziemlich jeder Wissenschaft vom Menschen existiert dazu ein eigener Bereich. Selbstwahrnehmung (auch olfaktorische) ist eine sehr andere Sache als die Wahrnehmung an Anderen oder von Anderen.

Ich kann an dieser Stelle nicht auf die tausend Felder eingehen, die berührt werden. Aber ich vertraue mal darauf, dass das unter „Binsenweisheit“ läuft und dass es ganz klar und verständlich ist, dass ich ein Parfum an mir selbst naturgemäß anders wahrnehme, als an einem anderen Menschen. Nicht unbedingt so unterschiedlich, dass das auf bewusster Ebene zwei völlig abgegrenzt unterschiedliche Gerüche ausmacht, aber zumindest so unterschiedlich, dass damit viele Eindrücke zu einem Teil erklärbar sind, die wir bei Parfum haben.

Bei der Selbstwahrnehmung kommt in einem noch viel höheren Maße die Verknüpfung mit Emotionen, Erinnerungen und Stimmungen dazu, als es das ohnehin beim Riechen der Fall ist. Weiterhin konstruiert der Mensch jeweils eine eigene, absolut kongruent empfundene, Weltwahrnehmung. Das heißt, das Weltbild des einen Menschen mit einer Teilanosmie ist für ihn genauso kongruent wie das Weltbild eines anderen ohne Anosmie für diesen. Anosmie ist hier nur ein Beispiel für irgendeinen objektiven Unterschied. Die subjektiven Weltbilder sind jeweils kongruent für das Ich, auch wenn die objektiven Ausgangsbefunde dafür unterschiedlich sind. Entsprechend passt sich die individuelle Wahrnehmung an das individuell kongruent Geltende an.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Eine Art der unterschiedlichen Wahrnehmung ist sehr leicht nachzuvollziehen, nämlich geschlechterbedingt: Die Natur hat immense Energie in den Bereich Partnerwahl gesteckt. Logisch, es gibt hinsichtlich der Fortpflanzung „richtige“ und „falsche“ Partnerwahl, rein genetisch gesehen. Frauen und Männer sind genetisch unterschiedlich gebaut in ihrer Wahrnehmung von Sinneseindrücken (generell und in signifikantem Maße bei olfaktorischen) .**

Bei optischen Reizen ist es wichtig, die halbbewusste oder bewusste Wahrnehmung mit dem Ziel der „richtigen“ Partnerwahl möglichst fit zu gestalten. Bei olfaktorischen Reizen hingegen ist es wichtig, die unbewusste Wahrnehmung geschlechtermäßig unterschiedlich zu schärfen. Informationen wie „paarungsbereit“, „fruchtbar“, „mit vielen männlichen/weiblichen Hormonen“, „gesund/krank“, „zu meinem Immunsystem ergänzend passend“, usw., werden auf biochemischem Weg transportiert und es liegt kein evolutionärer Vorteil darin, sie bewusst interpretieren zu können, denn sie sind zu einem großen Teil gar nicht interpretierbar. Demnach muss diese Wahrnehmung nicht bewusst laufen. Dass die Unterschiede im männlichen und weiblichen Riechen nicht allein natürlich, sondern zu einem SEHR großen Teil auch kultürlich sind und dass dieser kultürliche Anteil veränderbar ist, werde ich hier nicht ausführen. In einem Blogtext habe ich mich ganz dieser Frage gewidmet (http://www.parfumo.de/Benutzer/Louce/Blog/Eintrag/13_Geschlechterstereotype_bilder_entwrfe).

Wichtig ist hier erstmal nur die Feststellung: Klar ist Geruchs-Wahrnehmung geschlechterunterschiedlich. Es gibt eindeutige natürliche Ursachen. Hinzu kommen ganz viele kultürliche Ursachen (und die sind, bzw. deren Veränderung ist ungemein spannend, aber hier nicht von Belang). Ein Parfum auf der Haut eines Mannes nehme ich anders wahr, bzw. interpretiere ich die Wahrnehmung unbewusst anders, als dasselbe Parfum auf der Haut einer Frau.

Unterschiede durch Bindung/sozialen Nähe

Ein weiterer Faktor, der Wahrnehmung beeinflusst, ist das unterschiedliche geruchliche Erkennen von Familienmitgliedern. Damit ist nicht nur die biologische Familie gemeint, sondern auch Menschen in der unmittelbaren Nähe, Menschen die für das eigene Überleben wichtig sind (jetzt mal evolutionär gesehen). Der eigene Partner, das eigene Kind, die Mutter, der enge Freund,… deren Geruchsprofile sind in unserem Hirn abgespeichert und bei jeder Begegnung findet ein Abgleich statt.*** Das gilt sogar außerhalb der unmittelbaren, direkten Nähe. Geruchlich unterscheidbar sind auch weniger superenge Freunde/Freundinnen im Vergleich zu vollkommen fremden Menschen. Dass es einen evolutionären Vorteil bedeutet, die eigene Sippe besser zu erkennen und zu unterscheiden, ist logisch.

Diese Unterscheidung ist mit ganz viel emotionaler und hormoneller Interaktion verbunden. Ein Mensch, den ich liebe, löst bei mir durch seinen Geruch unbewusst ganz viel aus. Klar, dass ich ein Parfum auf seiner Haut anders wahrnehme, als dasselbe Parfum auf der Haut eines Fremden. Es verändert sich nicht das Parfum.. es verändert sich meine Interpretation des Geruchseindrucks – und zwar auf weitestgehend unbewusste Weise.

Die Beispiele „An meiner Mutter riecht das ganz anders.“, „An meinem Mann riecht das ganz anders“, „An meiner Schwester riecht das ganz anders.“, usw. können vielleicht nicht ausschließlich mit dieser geänderten Wahrnehmung aufgrund von Bindung erklärt werden… aber auf jeden Fall ein ganzes Stück weit.

Unterschiede in der Sensibilisierung

Eine Sensibilisierung findet nicht nur auf der Nasenschleimhaut statt (Wie viele Rezeptoren der Sorte X sind beim Menschen Y vorhanden?), sondern auch im Gehirn. Durch das Sinnesorgan empfangene Geruchsmuster werden abgeglichen mit im Hirn gespeicherten. So läuft Erkennung. Jetzt hat der eine Mensch Erfahrung im Riechen von Geruchsmuster X und der andere nicht. Das bedeutet erstmal einen Unterschied in der Erkennung. Der erste erkennt das Muster klar und eindeutig, der zweite dagegen nur ungefähr und weniger eindeutig. Mit dem Erkennen ist aber auch die Deutlichkeit in der Wahrnehmung verbunden. Der erste Mensch erkennt diesen Geruch, der zweite „überriecht“ ihn vielleicht komplett. Beiden Wahrnehmungen lag derselbe Reizauslöser zugrunde. Aber der wahrgenommene (von der Wahrnehmung interpretierte Geruch) ist ein anderer. Das kennen wir alle. Wenn ein bestimmter Geruchsakkord gut gespeichert ist, erkennen wir ihn in einem neuen Parfum früher und deutlicher, als andere Akkorde. Durch meine Erfahrung mit tausenden Geruchsmustern puzzelt sich also der Eindruck vom einzelnen Parfum zusammen. Wenn der andere Mensch andere Erfahrungen hat (und die hat er), dann puzzelt sich für ihn das Parfum anders zusammen.

Dazu kommt jetzt noch, wie diese Erfahrung gespeichert wird im Hirn. Es ist nämlich eine Erinnerung und Erinnerungsspeicherung ist ein hochaktuelles Feld der Gehirnforschung. Es ist noch nicht besonders weit erhellt, aber klar ist unzweifelhaft jetzt schon, dass Erinnerung ganz viel mit emotionaler Verknüpfung zu tun hat. Und mit dem Zeitpunkt, bzw. Alter, in dem die Verknüpfung stattfindet. Welche Verknüpfungen wie gebildet werden und wodurch ihre Abrufbarkeit beeinflusst wird, ist beispielsweise auch Thema der Lerntheorie.

Für uns hier bei Parfumo ist aber erstmal nur wichtig: Die unterschiedlichen Sensibilisierungen ergeben unterschiedliche Wahrnehmungen.

 

Es gibt viele weitere Ursachen für unterschiedliche Wahrnehmung. Ich habe hier im Text nur ein paar angerissen.

Das Ziel war, zu verdeutlichen, dass Wahrnehmungsunterschiede logisch und erklärbar sind.

Und dass sie naturgemäß existieren.

 

3. "Es geht am Ende doch nur um mich und meine Empfindungen - ganz egal, warum genau sie jetzt individuell sind! "

Wo ist bei aller Unterschiedlichkeit das Gemeinsame? Es gibt Unterschiede der Sinneswahrnehmung, einerseits begründet in der individuellen Physiologie, anderseits in der individuellen Psychologie… sollten wir also auf die Maxime „Ist ja alles total individuell!“ verfallen und hier bei Parfumo ausschließlich unsere nicht vergleichbaren individuellen Darstellungen austauschen, quasi Traumtagebücher verfassen und ins Netz stellen, aber nicht versuchen, etwas Objektives zu formulieren?

Nö.

Die Unterschiede gibt es – das Gemeinsame auch.

Weiter oben im Text schrieb ich von der absoluten Notwendigkeit des intersubjektiven Austauschs. Dass man nur so die Schnittmengen finden kann.

Also... zurück zu Grün:

„Grün“ wird von der einen Person so gerochen. Und von der anderen Person so. Jetzt tauschen sich die beiden aus und sie verständigen sich auf etwas Gemeinsames, auf eine Schnittmenge. „Grün“ ist nämlich bei beiden recht ähnlich. Ihre Wahrnehmungen sind nicht die absolut gleichen… aber durchaus ähnlich, da sie (objektiv) von einem bestimmten Molekülmuster ausgelöst werden und die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch, dass derselbe Auslöser vergleichbare (subjektive) Wahrnehmungseindrücke erbringt. Wenn das jetzt nicht zwei, sondern hundert oder gar tausend Personen tun, dann wird diese Schnittmenge gut fass- und beschreibbar.

Es gibt den individuellen Unterschied und die gemeinsame Schnittmenge. Wenn dann noch eine Kenntnis der objektiven Fakten, die zum Eindruck „grün“ gehören, hinzukommt (Chemisches, Medizinisches,..), dann können wir schon ganz schön viel über „Grün“ sagen.

Bei „Grün“ haben auch nicht so viele Leute Schwierigkeiten mit diesem Verfahren. Sie verständigen sich auch meist ganz gut über Differenzierungen (Vetivergrün, Grasgrün, Blumenstengelgrün oder Kräutergrün - so wie man z.B. bei der Farbe zwischen Hellgrün, Tannengrün, Flaschengrün und Smaragdgrün differenziert). Aber dann, wenn es nicht um den einen Eindruck „grün“, sondern ein ganzes  Parfum geht, wird es auf einmal weniger leicht. Die Leute erklären sich die (in diesem Fall logischerweise viel größeren) Unterschiede nicht durch die individuelle und naturgemäß unterschiedliche Wahrnehmung, sondern durch andere Theorien, die ihnen objektiver vorkommen. Das ist aber nicht förderlich, im Gegenteil, es ist sogar sinnverstellend. Warum sollte in diesem Text nachvollziehbar geworden sein.

Das Subjektive und das Objektive stehen bei der Beschäftigung mit Parfum nicht gegeneinander.

„Entweder – Oder“ gibt es hier nicht.

Das heißt jetzt nicht, dass alles Texten ohne Unterschied gleichermaßen hilfreich ist, weil ja alles Individuelle irgendwie dazu beitragen kann, das Außerindividuelle, diese Schnittmenge zu fassen. Das heißt aber schon, dass das eine das andere braucht. Und es heißt, dass Wahrnehmungsunterschiede bemerkt, genauer betrachtet und hinterfragt werden sollten und der Ausganspunkt für Abstraktion und die Frage nach dem möglichen Gemeinsamen sind.

Die gegenseitige Bedingung und der gegenseitige Bedarf von subjektiver Wahrnehmung und objektivem Interesse der Kommunikation kann keinesfalls als Alibi für ein Verharren bei der eigenen Subjektivität genommen werden.

Wir sollten die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung nicht abstreiten oder versuchen, sie zu objektivieren. Nur in ihrer Wahrnehmung (sic!) und Anerkennung können wir erfolgreich Schnittmengen bilden und uns dem Objektiven annähern. So erfahren wir ganz viel über uns selbst, über die anderen Nasen, über Geruch und über Parfum.

 

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* Wenn wir uns dieser Objektivität und unserer Zugehörigkeit versichert haben, dann gibt es manchmal auf dieser Basis auch ein Anerkennen des Subjektiven: Es wird überhöht zur einzigartigen persönlichen Erfahrung, die besonders mitteilenswert ist, weil man sich mit ihr eben persönlich mitteilen kann. Aber zunächst wird auch hier eine grundlegende Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung geleugnet, nur die Unterschiedlichkeit in der individuellen weiteren Assoziation bejaht.

** Das ganze kann prima ohne Pheromone, bzw. die Frage nach der Existenz menschlicher Pheromonwahrnehmung, betrachtet werden, denn dass es Geruchbotenstoffe und geruchliche Kommunikation darüber gibt, ist klar.

*** Das trifft sogar auf nichtmenschliche Wesen zu. Hundebesitzer/innen werden das sicher bestätigen: Man kann den eigenen Wuffzi aus 100 fremden heraus riechen. 

 

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