Kunst und Ökonomie: Gegenseitiges Bedingen und Bedingungen des Marktes
Ökonomie ist die Lehre, wie man etwas erreicht mit minimal wenigem Verbrauch und Investition, meist mit vorgegeben beschränkten Mitteln.
Das heißt, Ökonomie ist immer an dieses „Etwas“ gebunden, hat immer einen Zweck und ist nicht Selbstzweck. Also Geld verdienen um des Geld Verdienens Willen ist nicht Ökonomie. Diese Kapitalismus-Stilblüte ist exakt der Grund für Finanzkrisen, Weltwirtschaftswackeln und Bankenkritik.
Geld verdienen oder sparen um etwas Gewünschtes sozial, ökologisch, für kommende Generationen oder hinsichtlich privater Konsumfähigkeit (und damit einen Teil Lebensqualität) zu erreichen, ist das, worum es in ökonomischer Theorie geht und was das Ziel diverser Strategien und Methoden ist. Casino-Mentalität bedient sich dieser Methoden quasi zweckfrei, befolgt aber nicht das Eigentliche ökonomischer Theorie (so erklären mir das zumindest Leute mit Ahnung).
Hinsichtlich der Parfumerie kann man, denke ich, von 2 Märkten sprechen.
- Zunächst ist da der große Markt mit Mainstream, gut vertretenen Marken und Produktion und Vertrieb in sehr, sehr großen Zahlen. Die wirtschaftlichen Strategien des Geld Verdienens auf diesem Marktsegment sind andere, als beim kleinen. Künstlerische Arbeit der Parfumerie ist sehr viel näher an den direkten Marktbedingungen ausgerichtet, muss mit engerem Ressourcenpool arbeiten: Ein Duft darf nur eine gewisse Produktionszeit haben, kann nur auf leichter erhältliche und vergleichsweise günstige Rohstoffe zurück greifen, muss in Massen herstellbar sein und darf dabei eine vertretbare Herstellungszeit nicht überschreiten, muss ganz nah an Mode und aktuellem Konsuminteresse ausgerichtet sein und benötigt aufwendige Begleitung durch Werbung und Marketing, um sich auf dem großen Markt zu etablieren.
- Der kleine Markt (ökonomisch inzwischen vielleicht nicht mehr wirklich „Nische“ zu nennen), verkauft andere Produkte in anderen Größenordnungen bei anderer Werbung zu sehr anderen Preisen. Dieser kleine Markt öffnet den Raum künstlerischer Arbeit ein ganzes Stück weiter für die Parfumeurinnen und Parfumeure. Das heißt nicht platt „Nische ist per se Kunst.“, sondern zunächst einfach nur, dass Labels, deren Produkte in dieser Manier vertreten werden, einen Gewinn dadurch haben, das Künstlerische (oder auch nur vermeintlich Künstlerische) stark zu betonen und nach außen zu kehren. Um die Qualität „Luxus“ und damit die entsprechende Preispolitik beanspruchen zu können, muss die Qualität „Künstlerisch“ ein Teil des Produktes sein. Das schafft gute Vorraussetzungen, dass tatsächlich Kunst stattfinden kann.
Diese beiden Märkte haben natürlich Schnittmengen und Grauzonen. Die Regeln sind nicht immer klar auf jedes Produkt anwendbar und begegnen uns des Öfteren auch vollkommen umgedreht oder völlig anders geartet.
Spannende Fragen schließen sich an:
- Bei welchen Produkten ist eine bewusste künstlerische Auseinandersetzung mit den Bedingungen des großen Marktes der Grund für ihr Werden und Bestehen?
- Bei welchen werden die Bedingungen des kleinen Marktes scheinbar erfüllt, um ökonomischen Interessen des großen zu dienen?
- Welche Produkte des großen Marktes setzen sich über dessen Bedingungen hinaus künstlerisch durch, werden durch Zeitgeist, Mode oder weil sie kunstwirksam einen Nerv treffen, auch im künstlerischen Duft-Diskurs zu einem Faktor?
- Welche Künstler/innen versuchen sich von den Bedingungen des Marktes zu befreien? Wie? Welche Kompromisse werden gemacht? Wo wird der Markt trotz künstlerischer Prämisse bejaht und genutzt?
Weiterhin gibt es die Frage nach der „Mikro-Ökonomie“ im einzelnen Duft. Wenn Ökonomie die Lehre ist, wie man etwas erreicht mit minimaler Investition, kann und sollte auch geschaut werden, ob ein ökonomisch schlaues Prinzip bei der Duftkomposition Anwendung findet. Was ist der Zweck, wie wird er erreicht, wird ein Haushalten angewandt und wie sehr ist es im Duft implizites Charaktermerkmal oder gar explizit bemerkbar? Jean-Claude Ellenas Parfums bieten sich für eine solche Fragestellung nicht nur an, sondern schreien gewissermaßen danach.
Das alles sind Fragen zu deren Beantwortung ich mich, mangels Sachverstand, null berufen fühle. Ich wollte sie mal hier aufschreiben, um andere anzuregen, sich mit ihnen auseinander zu setzten (oder mit ganz anderen, viel sinnvolleren, auf die ich gar nicht kommen kann).
Nerée, der mehrfach durch meine Blog-Einträge angeregt war, auf die viel versprechende ökonomische Seite hinzuweisen, hat den Impuls zu diesem Artikel gegeben… es wäre jetzt gemein, den Ball wieder zu ihm zu spielen und ihn direkt zum Weiterschreiben aufzufordern.
Aber ich bin gemein.
Nerée… was fällt Dir dazu ein?
Ich selbst bleibe bei meinen Leisten.