Mörderbiene

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Mörderbiene vor 5 Jahren 21 12
10
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
10
Duft
Das Paradoxon der Kallistik
Zunächst einmal ein herzliches Hallo.
Ich habe nach langer stiller Teilhaberschaft beschlossen, diese zugunsten einer etwas weniger stillen zu beenden. Ein Beweggrund ist das dringende Verlangen, mich auch im kommentieren zu versuchen. Ein anderer auch, die schwäbische Parfumo-Fraktion zu stärken:)
Ich habe mich bewusst dafür entschieden, meinen ersten Kommi Penhaligon´s Elixir zu widmen. Das Warum sollte sich in den weiteren Zeilen erschließen. Ich bin weiß Gott kein Profi was das erschnüffeln einzelner Ingredienzen angeht unnd bin insofern ganz froh, dass bereits äußerst informative Kommis zu diesem Duft vorliegen.

Einleiten möchte ich mit einer kurzen Begriffsabgrenzung. Die Lehre der Ästhetik (altgriechisch aisthesis "Wahrnehmung") befasst sich im wissenschaftlichen Sinn mit allem durch die menschlichen Sinne wahrnehmbaren. Optik, Akustik, Gustatorik, Haptik und natürlich Olfaktorik. Die Wertung spielt dabei entgegen der umgangssprachlichen Verwendung keine Rolle, Ästhetik entscheidet nicht zwischen "schön" und "unschön". Mit dieser Wertung befasst sich ein Teilgebiet der Ästhetik. Die Kallistik (altgriechisch kallista "sehr schön") behandelt im Gebiet der Ästhetik das Schöne, das sich laut Lehre durch Gesetzmäßigkeiten und Harmonie auszeichnet.
Doch sind Ebenmaß, Symmetrie, Harmonie wirklich gleichzusetzen mit Schönheit?
Tagtäglich nehmen wir doch unbewusst so viele Dinge wahr, die uns bewusst gar nicht auffallen, weil sie so normal und gewöhnlich, ja fast langweilig sind. Erst wenn etwas aus der Reihe fällt, nehmen wir es bewusst war. Anfänglich stören wir uns daran, analysieren zunächst grob und gewinnen dadurch aber die Zeit, uns darauf einzulassen.

Elixir vereint mit dem kühlen Weihrauch und der warmen Rose zwei ungleiche Partner, die gemeinsam eine faszinierende Symbiose eingehen.
Der Kontrast zieht sich durch den gesamten Duftverlauf. Der frische, aber dezente Eukalyptus und der Kardamom übergeben über das Herz an den Weihrauch, während die Orangenblüte recht bald die Rose (dunkles Purpur) einleitet, die später leicht vanillig ausklingt. Dieser auch in der Sillage langsam pulsierende Tanz von Heiß und Kalt findet statt auf einer Bühne aus dezentem, dunklem Holz und dauert über einen ganzen Tag an.

Gerade von dem Ungewöhnlichen geht doch eine unheimliche Faszination aus, die Andersartigkeit macht die Besonderheit aus.
Wie wunderschön kann eine kleine Narbe auf perfekter weiblicher Haut sein, wie fesselnd zwei verschiedenfarbige Augen. Wie interessant können Spuren der jahrzehntelangen Benutzung auf einem alten Fischgrätparkett sein, wie gelungen eine orchestrale Interpretation von Saufliedern (vgl. Orffs Carmina Burana), wie erfrischend die Kombination aus scharfem Senf und süßen Feigen.
Und ja, wie betörend kann ein Duft aus Weihrauch und Rosen sein.
Das Unharmonische kann ja auch deshalb so schön sein, weil es viel eher im Gedächtnis bleibt, weil Assoziationen hergestellt und Erinnerungen verknüpft werden. Auf unserem Boden haben unwahrscheinliche kindliche Urkräfte Legosteine zum Zerschellen gebracht, die tiefe Furchen und Dellen hinterlassen haben, doch es würde mir nicht im Traum einfallen, diesen abschleifen zu lassen. Und - tja, diese kleine Narbe, ich liebe sie jedesmal aufs neue.

Dieser Duft war ein Geschenk einer guten Freundin, die meinte, er würde perfekt zu mir passen, da auch ich zwei Seiten hätte. Nach außen hin immer etwas kühl, distanziert, betont höflich und sachlich, aber eben auch romantisch und leidenschaftlich.
Das mag eine schwäbische Eigenart sein, nach außen etwas verschlossen zu sein, aber auch ich habe Elixir absolut für mich entdeckt, und er ist zu meinem -möglicherweise etwas ungewöhnlichen- Signaturduft geworden.

Auch wenn ich den Duft spontan in den kälteren und dunkleren Jahreszeiten verorten würde, hindert mich das nicht daran, ihn auch sommers zu genießen. Zudem sehe ich Elixir auch authentisch bei fast jedem Anlass.
Der Flakon ist ja bis aufs Etikett von anderen Penhaligons bekannt, mir aber ehrlich gesagt herzlich egal. Penhaligons könnte Elixir auch im Cognacfass oder im Milcheimer ausliefern (dann hätte ich auch mehr davon), und es würde der Qualität des Duftes nichts abtun.

Die Erfahrung lehrt, Schönheit liegt überall verborgen, mal mehr, mal weniger; mal offensichtlicher, mal weniger offensichtlich.
Daher befasst sich entgegen der wissenschaftlichen Auffassung paradoxerweise eigentlich doch die Ästhetik in ihrem Allumfang der Betrachtung mit dem "Schönen" und lässt damit die Kallistik, die den Begriff des Schönen so fehldefiniert, überflüssig zurück.


Grüßle, euer

Mörderbiene
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