Neuron

Neuron

Rezensionen
Neuron vor 3 Jahren 9 5
8
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
10
Duft
Ein Glücksfall und ein Meisterwerk
Ein Glücksfall!

Ein Jahr lang war unbeschwertes Reisen nicht möglich. Nun aber, August 2021, sollte es endlich wieder soweit sein. Wir reisten nach Italien. An den entspannenden Strandurlaub in Forte die Marmi schloss sich ein mehrtätiger Aufenthalt in Florenz an. Und Florenz war wie immer fantastisch. Wir ließen uns durch die Straßen der Altstadt treiben. Und so querten wir auch die kleine Via della Vigna Nuova, nicht weit von der Ponte Vecchio entfernt. Eine kleine Gasse, die im Schatten der hohen, sie umgebenden Häuser vor sich hindöst.

Ein kleiner Laden weckte sofort mein Interesse. Es waren ein paar Flakons in der winzigen Auslage, die Tür geschlossen. Wir schauten in die Geschäftsräume. Die Ladenfläche zeigte sich aufgeräumt: an der einen Seite konnte man ein Regal mit Flakons entdecken, die alle zu einem Label gehören, auf der Gegenseite waren hunderte von kleinen, silbernen Flaschen um einen Arbeitsplatz verteilt, einer Duftorgel nicht unähnlich. Das Türschild wies den Ort als „Amaranthvs Herbis“ aus. Das Interesse war geweckt.

Am Abend im Hotel dann die Recherche: „Amaranthvs Herbis“ ist ein Florentiner Parfümlabel, bei Parfumo fanden sich allerdings nur wenige Einträge, wenn auch sehr vielversprechend. Laut Google sollten allerdings keine Öffnungszeiten mehr existieren, der kleine, gerade entdeckte Laden schien dauerhaft geschlossen sein.

Es war so enttäuschend – da haben wir so einen kleinen, vielversprechenden Laden durch Zufall gefunden und nun war er zu. Aber einen Versuch wollte ich noch unternehmen, im Google-Eintrag ist eine Telefonnummer angegeben. Gedacht, gewählt: und tatsächlich, es nahm jemand ab. Wir unterhielten uns kurz auf Englisch und verabredeten uns für den nächsten frühen Abend in dem kleinen Laden.

Was für ein Glücksfall: im Laden wartete Vincent Gambino, Nase, Gründer und Kopf von „Amaranthvs Herbis“. Er musste das Geschäft aufgrund persönlicher Umstände temporär pausieren. Wir unterhielten uns über Parfüm, die Idee zum Gründen eines eigenen Labels, über die Webseite (die übrigens komplett durch ihn gestaltet wird, einschließlich der kleinen Videos, etc.), über das Leben, die Zukunftspläne des Labels und so weiter und so fort. Und dabei gab er immer wieder Proben seiner Düfte und erklärte seine Intention und Herangehensweise. Es war im Himmel.
Nun wieder in heimischen Gefilden und nach und nach werden die olfaktorischen Schätze geschnuppert, geträumt und analysiert…

Ein Meisterwerk!

„Grimm Rose“ gehört der dionysischen Reihe von „Amaranthvs Herbis“ an. Nun könnte man hier vortrefflich über das apollinische und das dionysische Prinzip Nietzsches schreiben, die Rauschhaftigkeit des Daseins besingen (auch als Teil der Parfümleidenschaft), über den Versuch der Vereinigung des Gegensätzlichen philosophieren – nur, was hat dieses mit dem Duft zu tun?

„Grimm Rose“ ist durch die Grimmschen Märchen-Sammlung inspiriert. Durch das Schöne, ja auch das Leichte, was diese Märchen durchzieht, aber immer vor einem melancholischen, einem drohend-vergänglichen Hintergrund. Aber auch das Wortspiel, welches sich aus der englischen Schreibeweise ergibt (die finstere, die grimmige Rose), reflektiert sich im Duft.

Die Kopfnote startet mit einem hellen, transparenten Rosenduft, welcher durch eine angedeutete Tee-Note unterstützt wird. Diese Tee-Rosen-Kombination wird bereits von Beginn an zudem von einer leicht metallischen Note (dieses soll wohl der Blutakkord darstellen) begleitet.

Ein komplexer, narkotischer Beginn, in dessen Verlauf die Rose schrittweise schwerer und schwerer wird. Ein Rumton schwingt auf einmal ebenfalls mit, das ätherisch-alkoholische drückt weiter zusehends auf die Leichtigkeit.

In der Herznote dann: die Himbeere. War sie anfangs (zumindest für mich) kaum oder gar nicht erfahrbar, so wird sie nach einiger Zeit immer präsenter. Nun ist der Einsatz von Himbeere im Parfüm sehr diffizil. Sie kann, wie im Tom Ford kuratierten Duft „Tuscan leather“ quasi als fruchtiger Kontrapunkt zum schweren Leder eingesetzt werden, sie kann aber auch, wie im vorliegenden Fall, genutzt werden, einem floren Duft aufgrund ihrer Fruchtigkeit eine physische Präsenz, ja, ich möchte schon sagen: eine Fleischigkeit, zu geben.

In Basisnote verharrt der Duft in einer seltsamen Diskrepanz aus Leichtigkeit und Wuchtigkeit. Eine animalische Note schleicht sich ein, aber nur eines Flüsterns gleich. Die Rose ist sicherlich melancholisch und dunkel, aber niemals dreckig.

Ich halte den Duft für ein Meisterwerk. Es ist ein konzeptueller, aber dennoch sehr tragbarer Duft. Im besten Sinne zeigt sich hier die Stärke eines kleinen Nischenlabels: kreativ, fesselnd und neuartig.
Die Aufmachung, also sowohl die schöne Verpackung, als auch der handschmeichelnde Flakon tragen ihrerseits zum soliden Bild bei, wenn auch nicht die Meisterhaftigkeit erreicht wird, welche der Duft versprüht.


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