Azzaro pour Homme - Ein Meilenstein

Wollte man einen Herren-Duft nennen, der einen vergleichbaren Status genießt wie Chanels ‚No 5’, müsste man vermutlich ‚Azzaro pour Homme’ nennen. Er wird gleichermaßen gehasst wie geliebt, verhöhnt wie vergöttert, und wie die einen Chanels berühmte Legende snobistisch als ‚Putzfrauenparfum’ verunglimpfen, ist manchen Azzaros ‚Für den Mann, den Frauen zuliebe’ gewidmetes Werk der Inbegriff des tumben Machotums. Mitunter wird auch naserümpfend darauf hingewiesen, dass er nur knapp oberhalb der Drogerie-Markenwaren anzusiedeln sei, und daher meilenweit von der wirklichen ‚Haute Parfumerie’ entfernt.

Wieder andere sehen in ihm aber eines der größten Meisterwerke der Parfumgeschichte und zählen ‚Azzaro pour Homme’ zu den wenigen wirklich großen Herrendüften, gemeinsam mit Größen wie ‚Habit Rouge’, ‚Eau Sauvage’, ‚Knize Ten’ und Chanels ‚Pour Monsieur’. Unbestreitbar aber ist sein immenser Erfolg und enormer Einfluss.

Zunächst – ich gestehe – gehörte ich zu jenen, die ihn nicht mochten, die ihn billig fanden, wenn nicht gar vulgär. Vermutlich hatte das aber vor allem mit dessen unfassbarer Verbreitung zu tun: fast jeder in meiner Jugend, der zwei oder drei Jahre älter war als ich trug diesen Duft. Es war unglaublich: egal ob man in einer Disco war, oder auf einer Party, die Jungs benutzten diesen Duft weit häufiger - und vor allem selbstverständlicher - als ein Deo (allem ‚mein Bac, dein Bac...’ zum Trotz). So kam es, das ich diesen Duft jahrelang mit Achselschweiß assoziierte, und noch heute habe ich Mühe diese Melange aus virilen Ausdünstungen und ‚Azzaro pour Homme’ aus meinem olfaktorischen Gedächtnis zu bannen.

Als ich wenig später selbst Interesse an Parfums entwickelte war glücklicherweise schon Chanels ‚Antaeus’ auf dem Markt, und so blieb mir eine ‚Azzaro pour Homme’-Phase erspart. Aber warum ‚erspart’?

Tja, vermutlich kann ich mich noch nicht so ganz von meinen Assoziationen und Ressentiments lösen, denn immer wenn ich heute an diesem Duft schnuppere – ich habe mir irgendwann einen kleinen 30ml Flakon zugelegt - muss ich zugeben: er ist gut, sehr gut sogar, und noch mehr: er ist genial! Ich kann ihn nur nicht tragen. Vielleicht noch nicht, wer weiß, aber hin und wieder sprühe ich mir etwas auf den Handrücken, und denke: super! Genau so muss ein Herrenduft riechen: aromatisch, verführerisch, verwegen und ein bisschen verboten.

Und da haben wir ihn wieder, den südländischen Macho: gut aussehend und gebräunt, etwas viel Gel in den Haaren, munter dahin gockelnd und immer nur das eine im Sinn. Ja, das ist ‚Azzaro pour Homme’, aber ich bin das nicht.

Überhaupt habe ich festgestellt, dass ich mit der Gattung der Fougère-Parfums an sich so meine Probleme habe, die aber vielleicht daher rühren, dass ich noch nie – mit Ausnahme von ‚Jicky’ - einem Vertreter dieser Duft-Familie wirklich mit Haut und Haaren verfallen bin. Immer waren es Chypre- oder orientalische Düfte die mich begeisterten. Fougère-Düften konnte ich dagegen nur Achtung entgegenbringen, mehr nicht. Mit einer Ausnahme, wie gesagt: nämlich Guerlains ‚Jicky’ (auch ‚Mouchoir de Monsieur’ ist großartig, aber ‚Jicky’ liebe ich!).

Und seltsamerweise haben ‚Jicky’ und ‚Azzaro pour Homme’ auch etwas gemein, was über ihren recht losen familiären Zusammenhalt (‚Jicky’ tendiert ins orientalische Genre und ‚Azzaro pour Homme’ definiert beinahe exemplarisch den Begriff des ‚aromatischen Fougères) hinausgeht, etwas, das ich einen prekären Moment, oder eine prekäre Seite nennen würde, denn man kann beide auch durchaus als Gestank erleben, ohne besondere Böswilligkeit mitbringen zu müssen. Beide integrieren nämlich eine gehörige Dosis animalischer Substanzen, die mancher schon als Überdosis und eben nicht mehr wohlriechend wahrnimmt. Für mich beginnt aber genau hier die Delikatesse, die beiden Parfums zu Eigen ist.

‚Jicky’ kombiniert seine typischen Fougère-Anteile Lavendel und Coumarin (moosige Noten fehlen, daher ist ‚Jicky’ auch nur bedingt dieser Familie zuzurechnen) mit einem ordentlichen Schuss ‚Zibet’, während ‚Azzaro pour Homme’ die seinigen (ein grundsolides Fougère-Gerüst) mit der aromatischen Komponente Anis anreichert, vor allem aber mit soviel grauer Ambra, dass manchem fast schlecht wird.


Der eigentliche Vorläufer von ‚Azzaro pour Homme’ aber ist nicht ‚Jicky’, sondern ein anderer Duft, einer, der die Unterfamilie der sogenannten ‚aromatischen Fougères’ erst begründet hat: ‚Paco Rabanne pour Homme’. Dieser so erfolgreiche Duft hauchte dem schon ermattet danieder liegenden Genre der ‚Fougère-Düfte’ neues Leben ein, indem er einen neuen Weg wies, der auch prompt und äußerst zahlreich beschritten wurde.

Das Besondere der Komposition von ‚Paco Rabanne pour Homme’ bestand darin, dem pudrig-krautigen Fougère-Akkord durch Beigabe einer Vielzahl mediterraner Aromen (Rosmarin, Thymian, Estragon u.a.) sowie einer Spur herbem Honig eine ausdruckstarke aromatische Komponente zu verleihen. Die Kompositeure von ‚Azzaro pour Homme’ versuchten sich nun an einer Sublimierung dieses Effektes mithilfe der facettenreichen, mal süßlich bis Likör-artig, mal scharfkantig bis krautig duftenden Aromen der Anis-Samen (dieses besondere, häufig in Gebäcken und alkoholischen Getränken anzutreffende Gewürz ist aus der mediterranen Aromenwelt ja kaum wegzudenken, und steht quasi stellvertretend für südländischen Flair und Lebensart).

Und wirklich, der Effekt gelingt großartig, besonders im Zusammenklang mit dem für ein Fougère-Parfum unverzichtbaren Lavendel, dessen Karamell-ähnliche Untertöne wunderbar mit den Lakritznoten des Anis harmonieren. Andere, weniger im Vordergrund stehende Akzente wie etwas Salbei, Wacholderbeere und Basilikum ergänzen das aromatische Bouquet des Duftes. Dominierend aber bleibt das Zusammenspiel von Lavendel und Anis, getragen von einer ledrig-moosigen Basis. Dieser Fond wiederum enthüllt zeittypische Beigaben wie Patchouli, ledrige und holzige Noten, etwas Vetiver und ‚last but not least’: die in diesem Duft allgegenwärtige grauer Ambra (sicherlich eine synthetisierte Variante des Pottwal-Sekretes), kombiniert mit einem guten Schuss Moschus.

Bei aller Reichhaltigkeit - ‚Azzaro pour Homme’ soll aus über 300 (genauer: 320) verschieden Ingredienzien bestehen - behält der Duft doch eine gewisse Transparenz und Leichtigkeit, entwickelt im Duftverlauf aber eine enorme Potenz und deutliche Projektion.

Falls es wirklich stimmen sollte, dass ‚Azzaro pour Homme’ derart viele Inhaltstoffe in sich vereint, so müssen diese extrem gut kalibriert sein, denn eine solche Fülle kann nur dann als nicht überbordend empfunden werden, wenn alles auf ein Minimum reduziert und einem Uhrwerk gleich auf das Feinste miteinander verzahnt wird – kein Rädchen im Getriebe darf ein über Gebühr großes Rad schlagen. Das Resultat ist ein gewichtiger, aber nicht formlos ausufernder Duft, der im Gegensatz zu den schweren und weit ausgreifenden Werken der achtziger Jahre etwas Filigranes und eine gewisse Konzentriertheit bewahrt.

Kein Wunder also, dass gleich drei Parfumeure Anspruch auf die Autorenschaft eines derart kunstvoll ausgeklügelten Werkes erheben: Gérard Anthony, Martin Heiddenreich & Richard Wirtz.

Wer aber auch immer welchen Anteil am Entstehen dieses Duftes hatte, er belegt auf jeden Fall, dass nicht immer und unbedingt mehrere Köche den Brei verderben müssen – dieser gelang vorzüglich, wurde äußerst erfolgreich und immens einflussreich. Und auch wenn er in den 90er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrtausends etwas aus dem Fokus geriet, so war er spätestens mit der Einführung des von Tom Ford initiierten ‚Rive Gauche pour Homme’ von Yves-Saint Laurent wieder da. Mit Aufkommen dieses recht geglückten und erfolgreichen Nachfolgers erwies es sich einmal mehr, dass, wer auch immer sich heute an einem aromatischen Fougère versucht, an ‚Azzaro pour Homme’ kein Vorbeikommen ist. Der Duft ist und bleibt der Kulminationspunkt dieses Genres, dessen Höhepunkt.

Ohne Zweifel ein Meisterwerk, und vielleicht wird der Tag auch noch kommen, an dem ich es tragen kann.

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