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Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 12 Monaten - 23.05.2023
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Piguets 'Cravache' zum Dritten

Piguets 'Cravache' zum Dritten

‚Cravache’, zu Deutsch: Reitgerte, kam 1963 als erster Herrenduft
des Hauses Piguet auf den Markt. Zwar blinkte der alte Cellier-Klassiker
‚Bandit’ Jahre zuvor schon Richtung Unisex, bog aber letztlich nicht komplett
auf dieses damals noch recht unbeschriebene Terrain ein. ‚Cravache’ aber
bediente nun den vergleichsweise schmalen Duftkanon, der die tradierte
maskuline Duftsprache beschrieb: frisch-herbe Agrumen, krautig-aromatischer
Lavendel, derbes Leder, mit ordentlich Eichenmoos fixiert, von einem dezenten,
unsüßen Blütenhauch durchlüftet.

Das klingt jetzt krachender und krawalliger als er
eigentlich war – immerhin wollte er eine duftende Lederpeitsche sein – aber
‚Cravache’ blieb im Habitus doch ein echter Gentleman: zurückhaltend,
unaufdringlich, der wahlweise mit ‚Fracas’, ‚Bandit’ oder ‚Baghari’ bedufteten
Dame jederzeit und überall den Vortritt lassend. Die Zeit der raumsprengenden
Duftgötter ‚Antaeus’ und ‚Kouros’, die sich dem Primat femininer Dufthoheit zu
widersetzen begannen, war da noch längst nicht angebrochen, und so reihten sich
die wenigen maskulinen Vertreter ihrer Art noch selbstverständlich hinter die
häufig großkalibrig ausufernd duftende Damenriege ein.
Heutzutage sind wir längst kräftigere und offensivere Herrendüfte
gewöhnt, von Unisex-Düften ganz zu schweigen, sodass wir einstige Vertreter
dieser Genres, heißen sie nun ‚Eau Sauvage’, ‚Habit Rouge’, ‚Monsieur de
Givenchy’ oder eben ‚Cravache’, eher als verdruckste Leisetreter wahrnehmen, in
Verkennung ihrer kavalierhaften Zurückhaltung.
Das waren eben noch Düfte mit Manieren!

Als das Haus Piguet in den 70er Jahren der
Bedeutungslosigkeit entgegendämmerte und schließlich die Parfumproduktion
einstellte, war es auch um ‚Cravache’ geschehen – es verschwand für viele
Jahre. Allein ‚Bandit’ und ‚Fracas’, den großen Schwestern, war es vorbehalten
das Piguet-Fähnlein hochzuhalten: ein US-Amerikanischer Konzern hatte die
Rechte an den alten Düften erworben und sich auf die etablierten, immer noch
zugkräftigen Schlachtrösser beschränkt.
Erst 2007, im Zuge einer Revitalisierung der Marke kam es
auch zu einer Wiedereinführung von Piguets erstem Herrenduft, jedoch in
erheblich überarbeiteter Form: die Blüten verschwanden komplett, desgleichen die
ledrigen Nuancen und auch das Agrumen-Intro wurde kräftig gerupft. Ergänzt wurde das
solcherart skelettierte Cravache-Konzept allerdings mit einer
ordentlichen Portion Muskatnuss, aromatischem Salbei und einem Bündel Süßgras.

Das neue ‚Cravache’ kam jetzt zwar mit etwas mehr Wumms daher,
verströmte mit seiner würzig-muskatnussigen Fougère-Aura nun aber eher konservative
Gediegenheit, denn lederchypriges Draufgängertum (das es vorher zwar auch nicht
besaß, aber unter der Fassade der Wohlerzogenheit zumindest andeutete).
Warum die Reitgerte, oder nach anderer Lesart: Lederpeitsche,
so völlig entledert wurde, war mir immer schleierhaft, zumal das neue
‚Cravache’ mit seiner braven Biederkeit insgesamt altmodischer duftete als sein
44 Jahre älterer Vorgänger gleichen Namens. Hatte Piguet womöglich die Traute
verlassen, die sie von den Cellier-Ikonen ‚Fracas’ und ‚Bandit’, über ‚Futur’
bis hin zu ‚Oud’ (fast) immer besaßen?

16 Jahre später ersetzt nun ein neues ‚Cravache’ den so
völlig leder- und blütenlosen Nachfahren des originalen ‚Cravache’ – diesmal in
EdP-Konzentration und mit erneut gravierend veränderter Rezeptur.
Zunächst: das Leder ist zurück! Und ja, sogar ein paar
Blüten. Doch wer jetzt denkt, das gute alte Chypre mit der prägnant
zitrusfruchtigen Eröffnung, dem würzigen, aber eben auch floralen Herzen und
der holzig-ledrigen, feucht-moosigen Basis sei wieder auferstanden, der sei
gewarnt: dem ist nicht so.
Zumindest nicht im Sinne einer detailgenauen Rekonstruktion.
Das originale Duftkonzept diente offenbar lediglich als Vorlage für eine neue,
ziemlich freie, den Vorlieben der modernen Parfümerie verpflichtete
Interpretation. So wird der ledrige Effekt zeittypisch im Zusammenspiel mit
erdigen Iris-Rhizomen und Safran kreiert, während die trocken-floralen Facetten
der Schwertlilie, mit einem Hauch Jasmin kombiniert das Blüten-Bouquet neu
definieren. Keinen Eingang in die aktuelle Rezeptur fand hingegen die dunkle
Rose des originalen ‚Cravache’.
Die Agrumen-Eröffnung wurde dagegen wieder etwas kräftiger
akzentuiert, allerdings weniger im Stile einer hell aufstrahlenden Zitrus-Frische,
als vielmehr von den komplexen bitterschaligen bis grünen Nuancen der
Bergamotte und des Petitgrain geprägt, ergänzt durch fruchtige Anklänge von
Bitter-Orange und Mandarine.
Geblieben ist der zentrale, den Duft charakterisierende
krautige Lavendel-Akkord, von einer guten Dosis Salbei und einer Prise
Muskatnuss aromatisiert, die im Gegensatz zur Ausgabe von 2007 allerdings keine
tragende Rolle mehr spielt.
In der Basis schließlich ist der Chypre-Charkter des
Orignial-Duftes nunmehr beinahe völlig verschwunden, nachdem er 2007 schon eher
in die pudrig-moosige Fougère-Richtung driftete. Dort ist er nun vollends
angekommen, bzw. schon wieder ein Stück darüber hinaus auf ein süß-würziges,
holzig-ambriertes, beinahe orientalisches Terrain gelangt.

Im Grunde verhält es sich mit dem neuen ‚Cravache’ ein wenig
wie mit dem Parfum von ‚Eau Sauvage’: der Spirit des Originalduftes ist zwar
irgendwie noch da, aber derart paraphrasiert, dass er kaum noch erkennbar ist.
Die einstmals schlanken Chypre-Strukturen, denen in beiden Fällen eine gute
Portion Eichenmoos als Fixativ diente, wurden Jahrzehnte später mächtig mit
Cashmeran gepimpt und woody-ambrig  aufgeplustert,
sodass sie zur Basis hin ein vanilleartig-süß-holziges Volumen entfalten, das –
zumindest im Falle von ‚Eau Sauvage Parfum’ – vor allem bei jüngeren
Generationen zuverlässig Begeisterung entfacht.
Mal schauen, ob das bei ‚Cravache Eau de Parfum’ auch
funktionieren wird, die Anlagen sind jedenfalls da.
Einen kleinen, aber nicht ganz unerheblichen Unterschied zu
‚Eau Sauvage Parfum’ gibt es aber doch: das neue ‚Cravache’ ist immer noch
erkennbar ‚Cravache’, nur eben in modischerem Outfit und gänzlich anderen
Proportionen: voluminöser, androgyner, synthetischer, ja und in gewisser Weise
digitaler. Denn obwohl ich die beherzte zentrale Lavendel-Note noch rieche, die
schon die beiden Vorgänger-Cravaches auszeichnete, habe ich das Gefühl in der
neuesten Ausgabe die digitalisierte Fassung serviert zu bekommen.
Schlecht ist das nicht, nein, es ist nur anders und ich muss
mich erst noch daran gewöhnen.

Eines aber weiß ich jetzt schon: ich werde das neue
‚Cravache’ mit Sicherheit häufiger tragen als die vorherige Version des Duftes,
die mir schlichtweg zu konservativ war, zu sehr Börsenparkett, und dem die
sehnige lederchyprige Maskulinität des Originalduftes abging. Dem Neuen fehlt
sie zwar ebenso, ersetzt durch eine digitalisierte und genderfluide Modernität,
mit der ich mich aber interessanterweise ganz gut anfreunden kann.

Aktualisiert am 23.05.2023 - 17:45 Uhr
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