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Sarungals Blog
vor 9 Jahren - 19.06.2015
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Treue, Spatz und Taube

Die nachfolgenden Zeilen geben ausschließlich die Meinung des Verfassers wieder. Alle Düfte, die Erwähnung finden, sind real. Inhärente Problemstellungen sind urheberrechtlich geschützt und unterliegen dem Copyright. Wer dennoch Parallelen zum eigenen Erkenntnisstand findet, darf das Copyright behalten.

Eine These steht am Beginn meiner Überlegungen: Ich bin beziehungsfähig – glaube aber nicht an Monogamie. Im Spannungsfeld dieses Standpunkts entwickelt sich die aktuelle Beschreibung des Status Quo meiner Duftbegeisterung.

Bei Parfumo bin ich noch Frischling; Eau de Toilette & Co aber begleiten mich seit mehr als 25 Jahren. Bis vor kurzem war diese Leidenschaft recht einfach strukturiert: Ich pflegte mit großer Intensität Lebensabschnittspartnerschaften. Hascish Homme, Fahrenheit, L’eau d’Issey, Escape, Aqua di Gio, Kenzo Air (Intense) und Terre d’Hermes waren die maßgeblichen Begleiter. Daneben gab es einige Affären, die sämtliche Lebensabschnittspartnerschaften überdauerten, ohne jemals deren Intensität zu erreichen. Ein solcher Vertreter ist beispielsweise Grey Flannel.

Weil Monogamie in meinem Wertesystem offensichtlich eher nachrangig gewichtet wird, sind Seitensprünge Teil der Programmierung. Nicht wenige Namen habe ich vergessen, einige wohl auch verdrängt, allen aber ist eines gemein: Sie fanden den Weg in mein Badezimmer, um bestenfalls kurzfristig benutzt und anschließend recht bald entsorgt zu werden. Ihr Reiz beschränkte sich darauf, unerforschtes Terrain zu verheißen; meine Liebe gewannen sie nicht.

Die Vorteile dieses Beziehungsbegriffs sind rasch aufgezählt: Gelegentliche Abwechslung bei geringer Qual der Wahl, überschaubare Investitionen - und daneben eine eindeutige Signatur. Ein Schal, den ich auf dem Weg in die Kantine verlor, wurde von einem Bühnentechniker mühelos als der meine identifiziert und fand deshalb sehr rasch seinen Weg zurück zu mir. Ob ich schon im Haus war, verriet der Duftschweif im Treppenhaus - und sogar die manchmal recht leidige Geschenkfrage erfuhr dadurch Entlastung. Sich einen Duft anzueignen, ihn mit der eigenen Person zu verknüpfen, ein Markenzeichen zu haben: Das gefiel mir. Sich auf diese Weise auch olfaktorisch ins Gedächtnis Anderer einbrennen zu können ist ein Nebeneffekt, der vornehmlich meiner Eitelkeit schmeichelte…

Parfumo entdeckte ich, während die Beziehung zwischen Terre d’Hermes und mir sich abzukühlen begann. Anfangs nur mitlesend prüfte ich die Kandidaten meiner inneren Merkliste, fand darüber hinaus mehrere spannende Anregungen und wurde neugierig: Mein Interesse am unerforschten Terrain stieg. Anders ausgedrückt: Ich wollte fremdgehen.

Die Konsequenz ist am steten Wachstum meiner Sammlung während der letzten Wochen ablesbar: Rumzuhuren macht unzweifelhaft Spaß. Allein: Neben diesem hedonistisch geprägten Vorgehen gibt es in mir das starke Bedürfnis, loyal sein zu wollen. Das Fehlen jedes Markenzeichens erscheint mir als entscheidungsschwache Beliebigkeit. Wichtiger noch: Es ist mein Intellekt, der die Vielfalt weitaus mehr schätzt als mein Herz; das nämlich wünscht sich klare Verhältnisse – und beginnt bereits mit deren Organisation.

Die praktische Konsequenz: Es stehen schon jetzt Düfte in meinem Schrank, die mich interessieren, vielleicht sogar faszinieren; ihren Flakons weicht meine Hand dennoch zielsicher aus. Einer ist dafür besonders magnetisch; es erfordert Energie, nicht immer wieder ihn und nur ihn auszuwählen.

Ein Luxusproblem? Sowieso – wir sprechen hier von Parfums; ich bin durchaus in der Lage, Relationen herzustellen und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Innerhalb dieses Mikrokosmos’ allerdings ist es ein Problem, weil die phänomenale Auswahl zur Polygamie aufruft, während ein maßgeblicher Teil meines Ichs eine neue Lebenspartnerschaft etablieren möchte. Ich will meine Signatur, will morgens blind zugreifen und ein vertrautes Aroma versprühen auch auf die Gefahr hin, ihm gegenüber abzustumpfen.

Gleichzeitig bin ich gerade so reizüberflutet, so geflasht von dieser riesigen Duftwelt, dass sich ein recht unerfreulicher Gedanke manifestiert: Es könnte ja noch was Besseres geben.

Das aber sieht mir gar nicht ähnlich. Affären werden bei mir keine Signaturen, keine Lebensabschnittspartnerschaften; bis vor einigen Monaten war ich in dieser Hinsicht sogar extrem konsequent und verzichtete dankend auf jede Probe, wenn ich zielorientiert in den Laden schritt, um den Duft zu erwerben. Meine Scheuklappen nahm ich nur dann ab, wenn mir danach war. Momentan wünsche ich sie mir beinahe zurück, um diesem Optimierungsteufelchen zu entgehen.

Seien wir ehrlich: etwas Besseres gibt es möglicherweise tatsächlich! Die Suche danach aber macht uns blind für das, was wir haben, schürt Undankbarkeit und sorgt zuletzt für Unzufriedenheit. Vor allem aber ist das Bessere oft nur ausreichend andersartig.

Ob ich meine Neugier auf dieses Andersartige zukünftig etwas besser im Zaum halten kann, weiß ich nicht; schon während ich diese Zeilen schreibe, fallen mir einige Kandidaten ein, deren Testung mir nachgerade zwingend erscheinen will. Mir ist dabei völlig klar, gegen wen diese Kandidaten antreten: nicht gegen die unüberschaubare Konkurrenz auf dem Markt, sondern gegen den einen Flakon in meinem Schrank, dessen Gloriole täglich heller zu leuchten scheint. Sein Name ist bereits verblasst; stattdessen hält er mir jeden Tag erneut den Stift vor die Nase in der Hoffnung, ich möge „Signatur" auf sein Schild schreiben. Kein Wunder, dass seine Kumpels ihn nicht mehr leiden können; ich fürchte, er braucht demnächst ein eigenes Regalbrett. Oder sollte er bald ihr Schicksal teilen müssen, weil ein Anderer…?

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