Kommt das nur mir so vor?
Vorwort: Mit Beginn meiner Pubertät war mein Interesse an Parfum geweckt, aber ich hatte keine Möglichkeit, mich zu vertiefen - das Internet war Ende der 90er/Anfang der 00er definitiv noch auf einem anderen Level als Manipulationsquelle für die Jugend als heute, es gab halt den DM und Bipa im Ort, später dann in Wien (als ich studierte) gabs natürlich Müller und Douglas, und unten beim Gerngross war glaub ich die Parfumabteilung mit Dior und Chanel wo man noch einigermaßen in Ruhe testen konnte - aber da traute ich mich eh schon nur mehr selten rein. War für mich als Mädel zu nobel, irgendwie abstoßend, als Studentin mit rosa Haaren und kaputten Hosen. In Nischenparfumerien hätt ich mich damals nie gewagt, und auch nicht das Geld dafür gehabt. Somit geisterte ich mehrere Jahre mit gar nicht so geringem Interesse zwischen den verfügbaren Düften herum, von denen mich die meisten allerdings nicht ansprachen, weil sie zu süß, zu wiederholend waren. Dadurch neigte sich mein Interesse dem Ende zu, ich hatte irgendwann tatsächlich das Gefühl, dass eh alle Parfums gleich sind, dass ich das Zeug jetzt "kenne", und da nichts Spannendes mehr sei. So lebte ich mit meinen 5-10 vorhandenen günstigen Düften gut 15 Jahre lang glücklich und zufrieden, bis ich zufällig vergangenen Winter im Urlaub in einem kleinen Concept Store in Tallinn Parfum herumstehen sah...und zu googeln begann. Upsi - mitten hinein ins Rabbithole.
Aufgrund meiner langen Abstinenz kann ich nicht beurteilen, was in all diesen Jahren passiert ist und wie der Markt sich verändert hat. Ich kann auch schwer beurteilen, was in all den vielen Parfumjahren davor passiert ist. Man hat Parfum ja offenbar auch nicht erst mit dem Eintritt meiner Wenigkeit zur Pubertät erfunden. Dass es schon immer viel Neues gab, ist glaube ich klar. Aber kann es sein, dass man sich mit Neuerscheinungen momentan geradezu überschlägt? Und eine neue Marke nach der Anderen aus der Versenkung emporschießt? Oder emporgelobt wird? Mir kommt vor, alte und neue Marken zaubern minütlich neue Düfte hervor, wie am Fließband wird ein neuer Duft nach dem anderen released (entschuldigt, ich weiß, einige sind allergisch gegen Anglizismen. Ich finde den Begriff allerdings tatsächlich am passendsten, vor allem - es wird halt in der Sprache derjenigen, die sowas releasen, wirklich releasen oder launchen genannt. Oder auch nicht, ich bin nicht aus dem Business. Ups, schon wieder ein Anglizismus). War das früher auch schon so? Dieser brutale Overload an Neuem, sich ähnelndem, schön langsam nicht mehr Fassbarem? Nicht, dass ich "gute alte Zeiten" sentimental bin, sowas bin ich absolut nicht, meistens sogar ganz im Gegenteil, was die Menschheit früher alles für Generationen verbockt hat, geht auf keine Kuhhaut.
Aber hat das alles, was veröffentlicht wird, noch irgendeinen künstlerischen Wert (ja, eigentlich ist Parfum Kunst für mich)? Wenn gewisse Parfumeure 40 Releases für unterschiedliche Brands pro Jahr machen, mit gefühlt aber nur 2 leicht voneinander abweichenden Düften? Ich weiß nicht, meint ihr, man wird in - sagen wir 30 Jahren - überhaupt viele "Klassiker" unserer Zeit nennen, oder geht einfach alles in dem gesammelten WirrWarr der gefühlt Millionen Neuerscheinungen pro Jahr unter? Oder gabs früher eh auch schon eine schier endlose Fülle an neuen Düften pro Jahr? Kann durchaus sein, ich hab die Zeit versäumt, ich hab keine Vorstellung davon, ob ich mich total täusche. Aber dass Parfum gerade unglaublich viel Zulauf erhält, das ist gewiss.
Dass sich sowohl Marketingstrategien und die Zielgruppen verschoben haben, ist mir klar. Statt klassischer Werbung kommen vermehrt - bzw fast ausschließlich - Influencer zum Zug. Nicht, dass ich nichts von ihnen halte, da ist durchaus produktiver, unterhaltsamer Content dabei. Ich hab schon vor vielen Jahren vom Fernsehen zu Youtube und co gewechselt. Arbeit machen Influencer sich viel, also "easy" ist deren Job nicht. Aber - es ist halt schon ein wenig auffällig, wie sie alle dieselben XJ´s in den Himmel hochloben, also seid mir nicht Böse, aber als Influencer muss man ja auch von was leben xD. Eventuell davon. Die Zielgruppe für Parfummarketing sind mittlerweile ja offenbar sehr junge Männer, indem man ihnen suggeriert, Frauenherzen erobern zu können mit dem richtigen Duft. Oder superindividuell zu sein - so wie alle anderen auch. Ist wie in der Mode - jeder ist einzigartig, wenn er zur selben Zeit dasselbe wie alle anderen anzieht. Diese Logik hab ich noch nie verstanden, selbst in meiner Jugend nicht (aber ich wollt auch nie so sein wie die anderen, vielleicht deshalb), aber es scheint grad bei Jüngeren super zu funktionieren.
In letzter Zeit gabs ein paar nette Youtube Videos von diversen Sendern, wo es um Parfum ging. Ist ja generell grad super trendig, Parfum. Jedenfalls sind die Marketing und Sales-Menschen der Überzeugung, dass der Markt noch lange nicht gesättigt ist, und es noch viel mehr werden wird, bevor dieser Trend wieder rückläufig ist. Aber wie? Wohin des Weges? Ich bin ja jetzt schon total erschlagen von dem, was eigentlich alles zum Testen wäre, was neu ist, hier, da dort, jenes, welches, jede Marke, jeder Konzern hat seine Oudfraktion, seine Blümchen, seine Ambers, seine Zitretten, alles drei/vier/fünfmal für jede Gelegenheit, alles zwischen 2020 und 2024 veröffentlicht, Tendenz steigend? Wie viele Parfums braucht die Welt und der Markt noch? Und vor allem - ich bin ja jetzt erst wieder seit einem Jahr aktiv dabei, und mir geht es jetzt schon wieder voll auf den A. Ich liebe Düfte wirklich, sie sind eine Bereicherung im Leben. Aber es ist nur anstrengend, und ich kann so nicht mehr. Ich fang an, am liebsten Klassiker zu riechen, Naturdüfte, seltene Düfte, ich hab aufgehört, bei den ganzen Sharings mitzumachen (edit: ich bin haltnur neugierig. Ich will so gern alles testen und ausprobieren, und dachte anfangs wirklich, das geht 😂). Weil das alles keinen Sinn mehr macht, man rennt einem Ziel hinterher, welches man nie erreichen kann. Unmöglich. Es ist eine unendliche, sich wiederholende Geschichte, dieselben Düfte wieder und wieder und wieder, ohne Liebe, hingepfeffert, um den Markt zu bedienen. Ist das nicht schade? Muss das so? Sind wir wirklich so eine "verbrauchende, aufsaugende" Gesellschaft, in der es kein Genug gibt? Irgendwie gruselts mich da.
Und damit zur Ausgangsfrage - kommt es nur mir so vor dass sich das Parfumrad grad unglaublich schnell dreht, und es irgendwo einfach schon lächerlich ist, dass jeder den zwölfdreißigsten Himbeer-Leder- Oudduft auf den Markt haut? Was das früher auch schon so, in den 80ern, 90ern, 00ern, 10ern? Wann hat das angefangen? War es wirklich Jeremy, der den ganzen Hype begonnen hat? Ich hab den Typen damals schon mitgekriegt als Randfigur der Youtubewelt, aber schnell beschlossen, dass der einen gehörigen Dachschaden hat (und eventuell zu viel durch die Nase konsumiert), also der war doch nicht ernst zu nehmen. Wenn ich heute auf die Neuerscheinungen auf Parfumo blicke, dann sind da so viele neue Parfums so vieler neuer Randmarken, dass es generell nur mehr für jeden zehnten Duft ein Bild gibt. Ich mag ja die Randerscheinungen, bin selber eine - aber ist das neu, oder war das schon immer so und kommt mir nur so vor?
Ich mach diesen ganzen Zirkus gar nicht mit, hatte bis vor ein paar Monaten noch nie Oud gerochen.
Chanel hat kein Oud in Düften, soweit ich weiß. 😌
Ich hab kein TikTok und folge nur zwei oder drei Leuten, die sich mit Parfum beschäftigen.
Meine Sammlung ist zu groß, aber sie passt gerade noch auf einen Schrank.
Und zu Deiner Frage - ich glaube, das war früher nicht so.
Diese Flankerflut … ich denke, es geht dabei oft weniger um Kunst und mehr darum, den Markt zu „melken“.
Liebe Grüße. 🌸
Werbung spricht mich persönlich wenig an, und das wiederum is halt bei mir die beste Werbung - keine zu machen. So hatma marketingtechnisch eh auch seine Zielgruppe definiert ☺️
Ich frage mich nur: Wo ist das Problem? Warum hat man den Ansporn, alles Neue ausprobieren zu müssen? Ich fahre doch auch nicht jedes neue Automodell zur Probe - und Gott sei Dank gibt es nicht nur einen Hersteller. Wäre es besser, wenn nur 5 Dufthäuser jährlich ein Release veröffentlichen würden? Was, wenn mir die nicht gefallen, oder preislich absurd sind? Auf nächstes Jahr warten?
Das ganze "Problem" läuft doch darauf hinaus, einen Überblick über (alle) Düfte anzustreben. Einfach mal 10 Releases eines Hauses ignorieren - und gut ist, oder?
Würde ich mich sehr für Autos interessieren, dann ja, hätte ich Freude daran, sie probezufahren. Und würde auch probefahren wollen. Und zwar gerne Viele, um mir ein Bild zu machen. Und würde dann vermutlich auch bald die Feststellung machen, dass eh das Meiste alles derselbe Sch** ist, in unterschiedlichen Farben, von unterschiedlichen Marken. Oft mit demselben Motor drin (nur werden Autos zumindest nocht als Kunst verkauft). Genau das is die Aussage.
Solange das weiterhin unterstützt wird & der Parfum-Hype weiterhin so stark boomt, wird das wohl fürs Erste kein Ende nehmen. Die richtigen Perlen muss man deswegen mit scharfen Augen finden & greifen, oder mit bereits vorhandenen glücklich sein. :)
Mich gruselt's auch vor den Dimensionen, die mein Sammel-Hobby mittlerweile erreicht hat. Früher war es übersichtlicher und wir waren mit wenigen Flakons zufrieden. Heute kickt uns die FOMO in den Allerwertesten. 🤣😵
Schöner Blog, in dem du viele Punkte aufgreifst, die ich genauso sehe. Und auch ich bin an dem Punkt, wo die Luft ein bisschen raus ist, nicht einen noch weiteren Duft testen zu wollen. Wie in so vielen Bereichen gibt es auch bei den Düften, einfach zu viel Angebot. Ich denke der größte Unterschied ist tatsächlich der Nischenbereich, der noch nie so im Mainstream war, siehe Xerjoff. Und auch die Zielgruppe, wie von Dir beschrieben, meist männliche Heranwachsende.
Ich lasse die Sache ruhiger angehen, muss nicht jedes neues Release sofort testen, wenn mir die Duftpyramide zusagt, sondern bin zufrieden mit dem was ich habe.