Esprit Libre

Mörderbiene
27.08.2020 - 05:52 Uhr
15
Top Rezension
5
Sillage
8.5
Duft

Welland Canal

Mitte der Neunziger brachte Courrèges mit 'Niagara' einen Herrenduft heraus, der bereits damals etwas aus der Zeit gefallen wirkte, weckte er doch eher Reminiszenzen an das Duftgeschehen zwei Dekaden zuvor. Dieser verwöhnte die Nase mit zitrusmildem Kräutergrün und zarten Koniferennoten, und wird mittlerweile zu Mondpreisen gehandelt.
'Esprit Libre' des Handschuhmachers Antonio Visconti weiß die Nase mit Ähnlichem zu umschmeicheln.
Ich möchte indes keine absolute Gleichheit der beiden Düfte, sondern lediglich eine direkte Vergleichbarkeit unterstellen. Und als Substitut wäre der italienische Freigeist eventuell auch infrage gekommen. Doch dies verhindern allein schon seine frühe Einstellung und geringe Verbreitung.

Er beginnt mit ähnlich bittersüßen Zitrusnoten; aus dieser beschwingt grüngelben Melange läßt sich hier nur das charakteristische Zitronengras eindeutig herausriechen, das hier glücklicherweise keine Gedanken an asiatische Straßenküchen aufkommen läßt. Diese werden alsbald von Kräutern überlagert, allen voran Thymian, aber daneben gewiß weitere. Und wie auch bei Niagara, wenngleich weniger ausgeprägt, wandelt sich das lichte Mittelgrün über Koniferennadeln zu einem tief schillernden Dunkelgrün, und ganz weit hinten mischt noch eine dezente Pfefferwürze mit. Das Ganze ist gebettet auf eine Unterlage von fluffigem, weichkratzigem Moos, das durchgehend, trotz aller natürlichen Anmutung, für einen leichten Seifentouch sorgt.

Letztlich ist also der Fokus von Koniferen auf Kräuter verschoben, der Duft wirkt insgesamt etwas heller und auch naturalistischer. Und vor allem ist er ebenso tot.

Die verfrühte Einstellung empfinde ich jedenfalls, pardon my English, als Schweinerei.
Allerdings scheint die ganze Marke nicht mehr zu exisitieren, nähere Informationen finden sich nur noch im Blog von ALzD, die die Marke wohl eine Zeit lang führten.
Vielleicht (hoffentlich) kommt ja nochmal jemand auf die Idee, einen grünen Bogen von Zitrus über Kraut zu bemoostem Nadelwald zu spannen.

+++

Auf meiner nicht eben kompakten Merkliste bummelt einiges rum, bei dem ich nicht wirklich damit rechne, daß es noch den Weg unter meine Nase findet - weil eingestellt, nur unter größten Komplikationen zu beziehen oder aufgrund ähnlicher Hindernisse. Auch Visconti's Freigeist habe ich hierzu gezählt, doch ein großzügiger Spender verhalf mir zu dieser freudigen Überraschung - dafür nochmals verbindlichsten Dank, lieber Serge!
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