6th Collection

Agar de Noir 2020

LaNezFine
20.04.2023 - 15:17 Uhr
7
Hilfreiche Rezension
7
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Emotionserwachen des Ouds, „Cogito ergo sum“, meine erste 10

Ich bin auf meiner nunmehr vierjährigen Reise schon ziemlich herumgekommen, mittlerweile kenne ich sie alle. Louis, Annette, Tom, Franzosen, Deutsche, Briten, Türken, Araber....
Das Erforschen der Parfumwelt und das Testen neuer Düfte bringt stets die Jagd nach Perfektion mit sich, deren Illusion in Ihrer Natur selbst beruht. Oder gibt es sie doch...?
Seit ich 16 bin, konnte mein Lechzen nach immer höherer Ekstase der Sinne mit den eben Genannten nie ausreichend gestillt werden.
Trotz dessen habe ich mich der Parfumwelt verschrieben und sie ist für mich mittlerweile der Hauptbestandteil meines Lebens geworden. Nicht nur sehe ich in Ihr meine Karriere, sondern auch im gewissen Sinne eine Heimat.
Während meiner Teenagerjahre entwickelte ich Probleme, Emotionen zu fühlen und auszudrücken. Vor allem Worte sind im Angesicht der Übermacht der Emotionen teilweise nur unvollständig deformierte, kleingewachsene, von Nihilismus triefende Hüllen, deren Inhalt in keinster Weise einem Sturm von Gefühlen auch nur ansatzweise Ausdruck verleihen vermag. Von der Ehrlichkeit selbiger einmal abgesehen.

Um gewählt meiner Gefühlswelt Ausdruck zu verleihen, benötige ich meine Sinne.
Musik. Geruch.
Für mich ist ein Duft nicht nur ein Luxusutensil oder eine Möglichkeit mich wohl zu fühlen, sondern ein Weg mir Gehör zu verschaffen.
Still. Ohne Worte.

Um den nächsten Schritt in meiner olfaktorischen Reise zu unternehmen, wagte ich mich in den Artisan Bereich und bestellte mir Musk Lave und Agar de Noir . blind - Ja ich weiß ich bin ein Vollidiot.
Ich kaufe seit meiner Anfangszeit blind und werde das auch immer so beibehalten, das Überraschungsmoment und die Flakonerfahrung geben mir einen kleinen Nervenkitzel. Bei Proben habe ich irgendwie ein abgewertetes Gefühl.
Was soll ich sagen, der Schritt war eher ein Sprung. Wie ein kleines Kind in Gummistiefeln über die Matschpfütze. *Platsch*
Areej le Doré ist anders, als alles, was ich bisher riechen konnte, das war ja auch nötig, denn schließlich erscheint die übersprungene Matschpfütze einzig in ihrer trüb-braunen Farbe.
Agar de Noir war der nächste Schritt. Die Evolution vom Parfumenthusiasten und vom Verständnis "Parfum".
Wenn man das erste Mal die Nase darüber hält, zuckt man leicht zusammen, muss sie gleich wieder vom Duftstreifen entfernen - ungläubig, im Angesicht des eben Wahrgenommenen.
Als ich den tiefbraunen Fleck das erste Mal olfaktorisch untersuchte, lächelte ich. „Wow". „Warte was?" „Wow" „Unfassbar" „Nein, was?". Hätte man mir in diesem Moment von außen zugeschaut, würde man wahrscheinlich denken, man hätte mir mitgeteilt, dass ich für Hogwarts ausgewählt wurde.
Ich war ungläubig und musste den Streifen erst einmal zur Seite legen und kurz verarbeiten. Konzentration musste her.
Nach 2 Stunden wagte ich mich wieder an das Parfum und untersuchte diesmal kritischer.

Es beginnt leicht stechend - Kardamomexplosion, Kakao, Oud, Blüten, dunkler Sirup, Aromen von Kaffee bahnen sich den Weg durch die klebrige Melasse.
Harze tropfen.
Vereinigung unter schwarzen Himmel. Brennender Rauch, Urwald, der leidet. Inferno.
Ein Veilchen im purpur Gewand. Geboren im Ascheregen.

Russian Adam hat geschafft, was nur wenige schaffen, er hat mir mit seiner Kreation Gefühle entlockt, ja ein Lächeln entrissen und es mich wie ein Omakasemenü auskosten lassen. Und das, ohne je ein Wort zu mir gesprochen zu haben. Dafür bin ich ihm sehr dankbar und ich werde seine Marke auch in Zukunft genießen.
Ob es die bereits angesprochene Perfektion ist? Sicher nicht, denn Perfektion ist wie bereits angedeutet unerreichbar für den Menschen. Es kommt ihr aber bis jetzt am nächsten, weswegen diese Erfahrung mich dazu verleitet das erste Mal in 4 Jahren einen Duft mit 10 zu bewerten.

Angemerkt sei jedoch, dass ich mit meiner Rezension unter keinen Umständen die Duftwahrnehmung, den Anspruch an ein Parfum oder deren Verwendung kritisieren möchte.
Auch ein einfacher Büro-Duft hat selbstverständlich seine Daseinsberechtigung.
Jedoch denke ich, dass genau dieses Auslösen von Emotionen und das kritische Auseinandersetzen mit dem Duft auf der emotionalen Bewusstseinsebene das Ziel eines Parfumeurs, aber auch eines „Riechenden“ sein sollten. Denn: das kreative Schaffen und Erleben und die darauf folgende emotionale Regung sind der höchste Reichtum des Geistes.
In diesem Sinne „Cogito ergo sum“
2 Antworten