Tulipe Noire 2019

RaniJuli
24.10.2022 - 03:07 Uhr
8
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Von schwarzen Tulpen & Malefiz, der Eigensinnigen

Ich schließe mich meinem Vorredner an: Für diesen Duft lohnt es sich, eine Lanze zu brechen.

Um im Bild zu bleiben:
Tulipe Noire ist nicht der Duft der Dame, die im pastellfarbenen Kleid auf der Tribüne sitzt, geziert in die Menge lächelt, mit dem Fächer wedelt und bei jedem Zusammenstoß der Ritter auf dem Platz in gespieltem Entsetzen ihr spitzenbesetztes Taschentuch vor die Augen drückt.

Tulipe Noire gehört zu Malefiz, der dunklen Fee, die das Turnier von ihrem Turm aus durch die schimmernde Kristallkugel beobachtet. Entgegen der Legende ist sie nicht rasend vor Eifersucht, dass sie nicht mehr zu den Festen am Hof des Königs geladen ist - sie hat sich selbst dazu entschieden, diesen albernen Zirkus nicht mehr mitzumachen. Ihr Blick fällt auf besagte Dame im pastellfarbenen Kleid und sie schüttelt - teils mitleidig, teils amüsiert - den Kopf.

All die Regeln, die man in dieser Gesellschaft befolgen muss...
Als Frau schwarz tragen? Unmöglich!
Statt einem Hauch Rouge, der permanentes verschämtes Erröten simuliert, lieber dunkel umrandete Augen und tiefroten Lippenstift? Skandalös!
Statt eines zarten Schleiers einen Kopfschmuck mit Stoff-Drappierungen, die an Hörner erinnern?
Hinfort!

Lächelnd streicht Malefiz über ihr dunkles Seidenkleid. Auf die Entfernung wirkt es schwarz - bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es tief violett schimmert. Die Kristallkugel wirft das Bild eines schmalen, entschlossenen Gesichts mit lebendig funkelnden Augen zurück.

Ja, "hinfort" - in ein eigenes Schloss, umgeben von wunderschönen Gärten voll dunkler Blüten.
Sie liebte schon immer den Duft von Jasmin und Tuberose, konnte sich aber nicht mit ihrer unschuldig-weißen Farbe anfreunden. Nun, wozu hat man schließlich magische Kräfte?
Summend tritt Malefiz vor ihren bodentiefen Spiegel, betrachtet den mit kunstvollen Intarsien verzierten Rahmen und atmet den schwachen Duft von Sandel- und Zedernholz ein.
Ihr letztes magisches Kunststück - das Heraufbeschwören eines üppigen Straußes schwarzer Tulpen - hat einen kräftigen Rauchgeruch in der Luft zurückgelassen. Er mischt sich nun mit dem Duft der verzauberten Weißblüher im Garten, der kostbaren Hölzer im Raum und dem subtilen Moschusduft, den die sinnliche Malefiz selbst verströmt.

Auf deren Gesicht hat sich mittlerweile wieder ein Lächeln geschlichen. Durch das offene Fenster dringt das Geräusch von Hufgetrappel. Ein Pferd jagt den gewundenen Weg zum Turm hinauf...

Welcher Ritter will schon blasse Hofdamen küssen, wenn er die schöne Magierin in die Arme schließen und ihren verführerischen Duft einatmen kann?

- Der Duft -

Tulipe Noire ist ein Duft, der mir - genau wie den Rittern beim Anblick der schönen Malefiz - auf Anhieb den Kopf verdreht hat. Und das, obwohl die einzelnen Komponenten für sich genommen nicht unbedingt zu meinen Favoriten gehören.
Jasmin, Tuberose & Ambroxan werden mir schnell zu viel, wirken drückend auf mich.
Aber bekanntlich macht fast immer die Dosis das Gift - und im Falle von Tulipe Noire sind die Bestandteile so fein austariert, dass sie auf meiner Haut eine magische Wirkung entfalten.

Ich nehme von Anfang an eine wunderschöne Jasmin-Note wahr - tatsächlich eine der schönsten, die ich bislang an mir gerochen habe. Koriander & Bergamotte könnte ich nicht bewusst identifizieren - allenfalls eine leicht krautige Frische, die der Jasmin-Note ihre schwebende Leichtigkeit verleiht. Die eigentliche Magie entsteht aber durch das Zusammenspiel mit der einzigen wirklichen Gegenkomponente zu den fragilen Weißblühern: einer dichten dunklen Rauch-Note. Nicht die von gemütlichem Holzfeuer oder von glimmendem Tabak, sondern von gerade abgefeuertem Schießpulver.
Das klingt nicht sehr angenehm, ich weiß. Aber das changierende Wechselspiel aus hell und dunkel, zart und kräftig, natürlich und künstlich, fasziniert mich wie mich schon lange kein Duft mehr fasziniert hat.

Besagte Faszination wächst noch durch die Tatsache, dass ich insgesamt eine stark "synthetische" Komponente in Tulipe Noire wahrnehme - und ich bislang immer dachte, dass mir ein solcher Eindruck das Gesamtbild eines Dufts verderben würde. In diesem Falle trägt sie aber entscheidend zum Zauber des Dufts bei. Ganz entfernt erinnert diese Form der Synthetik - in Kombination mit Jasmin - an Baccarat Rouge. Allerdings finde ich Tulipe Noire in seiner Gesamtkomposition sehr viel angenehmer.

Diese schwarze Tulpe ist eine faszinierende Kunst-Blume.
Keine billige Plastik-Imitation, sondern ein wirkliches Kunstwerk. Auch nach mehrfachem Hinschauen und sogar vorsichtigen Berührungen wäre man noch unsicher, ob sie nun echt ist - oder eine perfekte Illusion.

Tulipe Noire wird mich sicher an einigen Wintertagen begleiten und der Dunkelheit durch sein olfaktorisches Glitzern ein wenig Alltags-Magie verleihen.

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