Bvlgari Man Wood Neroli 2019

Morgenduft
28.06.2021 - 15:15 Uhr
8
Wenig hilfreiche Rezension
4
Preis
3
Flakon
6
Sillage
4
Haltbarkeit
6.5
Duft

Überdurchschnittlicher Industrieduft. Zu teuer.

In einem Anfall von Wahnsinn (womöglich ein Sonnenstich) verirrte ich mich letztens bei über 30 Grad in die Filiale eines großen Industrieduft-Dealers. Dort wurde ich sogleich von einer freundlichen Dame verfolgt, becirct und mit Wölkchen vorgeblich hochwertigen Ursprungs traktiert. Meiner Sinne kaum noch Herr suchte ich einen Ausweg und deutete tränenden Auges auf den grünlichen Ursprung der einzigen olfaktorischen Explosion, die mir ansatzweise sympathisch erschien.
Sekunden später war ich stolze 80 Euronen ärmer, man ließ von mir ab und ich floh ins Freie.
Nachdem ich wieder zu Bewusstsein kam, fand ich heraus, dass ich 30 Euro mehr als nötig für das Wässerchen einer Marke bezahlt hatte, deren typische Klientel meiner Wahrnehmung nach meist charakterliche oder sonstige Defizite mit reichlich Bling zu kompensieren sucht.

Jedoch wollte zu meiner Überraschung auch nach einigen Stunden meine Nase den gefassten Vorurteilen gegen die überteuerte Proletenplörre nicht vollständig folgen: Es roch eigentlich recht angenehm und auch aus dem sozialen Umfeld kam mehr positive als negative Rückmeldung zu dem Duft. Daher hier mein Verdikt:

Kann man benutzen.
Wenn man gerne viel Geld für mäßige Leistung zahlt und/oder im Industrieduft-Einheitsbrei eine etwas ungewöhnliche Komposition sucht.

Der Flakon ist ein einziges Desaster. Von allem zu viel. Zu viel Protz, zu viel Glas, zu viele Ecken, zu viel Plastik, zu schwer zum Mitnehmen. Der hakelige Designer-Sprühkopf ist schwer zu dosieren. Und dank eines ungewöhnlich dünnen Durchmessers am Pumpenkopf-Röhrchen kann ich das Zeug noch nicht mal ohne heftige Schankverluste in eines meiner geliebten Jackett-Taschen-Sprühflakons mit Adapteröffnung umfüllen, die sonst noch beinahe jeden Sprühkopf erfolgreich gemolken haben.
Vom Öffnen der Flasche ganz zu schweigen, das ist natürlich nahezu unmöglich... Muss ich mich eigentlich alt fühlen, wenn ich mich zurücksehne nach Zeiten, in denen man so einen Sprühkopf einfach vom Glas schrauben konnte?

Wood Neroli beginnt auf einer etwas (sehr/zu) spitzen, intensiven Zitrusnote mit Bergamotte, etwas grünem Gras und luftigem Sandelholz. Definitiv nichts, was man reichlich auftragen sollte. Der Zitrus reduziert sich jedoch nach 1-2 Stunden zu einer Andeutung und gibt in den darauf folgenden Stunden einer zunehmend holzigen, moschusgeschwängerten Basis Raum. Auch hier ein Tick zu viel Moschus für meinen Geschmack, aber dank moosiger Akzente und dem Rest holziger Noten recht sympathisch.

Ich könnte mir den Duft durchaus auch an einer selbstbewussten Frau vorstellen.

Für ein EDT dieser Preisklasse viel zu früh - schon nach 4-6 Stunden - ist das Spektakel praktisch komplett vorbei und der Duft eigentlich nur noch mit Nase auf Haut zu erspüren. Ich mag Düfte, die lang anhalten und deren Sillage mich trotzdem nicht in 3-4 Metern Entfernung umweht. Aus dieser Warte betrachtet ist Wood Neroli mir anfangs etwas zu heftig, dann für einige Zeit sehr angenehm und nach Hinten 'raus viel zu schnell vorbei. Und weil der klobige Flakon in keine Tasche passt, hat man auch eher selten Nachschub dabei.

Wood Neroli erinnert vom Charakter insgesamt an eine luxus - Escort Dame. Teuer, optisch exquisit aber mit wenig praktischem und innerem Wert, für kurze Zeit sehr angenehm und viel zu schnell wieder fort.

Ich werde den Duft auftragen und versuchen, die Schande meines schwachen Moments in den wenigen Stunden angenehm frischlich-holziger Schwüle zu vergessen, die er mir zu schenken bereit ist.
Aber noch einmal falle ich wahrscheinlich nicht darauf herein :-)
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