Pavlova 1976 Eau de Toilette

Serenissima
07.05.2021 - 07:40 Uhr
16
Sehr hilfreiche Rezension
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft

Tanz der Blüten und Aromen

Die Welt des klassischen Balletts duftet sicher weniger gut, als die nach ihr benannten Düfte.
Und doch ist ihr Zauber immer noch ungebrochen. Wer lässt sich nicht gern für einige Stunden durch Musik und Grazie (die der Erfolg harter Arbeit, Disziplin, Schweiß und Blut ist) in eine andere Welt, die der Träume, versetzen.
Das wusste auch die Schriftstellerin Vicki Baum. Vergibt sie doch in ihren Romanen "Menschen im Hotel" und "Die goldenen Schuhe" die Hauptrolle jeweils einer Primaballerina.
Bei ihr ersetzen Worte die Musik; aber nicht weniger eindrucks- und klangvoll, als der Tanz auf der Bühne.
Heute heißt der Zauberer des Balletts immer noch John Neumeier, aber die große Zeit des "klassischen russischen Balletts" und seiner international bekannten Stars ist leider vorbei.
Ich selbst sah 1992 die märchenhafte Inszenierung von "Dornröschen", die Rudolf Nurejew auf die Bühne der Staatsoper Unter den Linden brachte: es war eine Aufführung wie in einer Bonboniere.
Zur Premiere tanzte Nurejew die böse Fee noch selbst (Gänsehauteffekt pur!); später lag er - elegant drapiert - auf einem Diwan und ließ diese farbige Märchenwelt an sich vorüber tanzen.
Er war schon sehr krank und fragil; ein wenig schwebte bei allem Zauber doch auch ein Hauch von Wehmut über dem Schlussapplaus.
Wie viele Jahre waren vergangen, seit er 1961 nach einer Tournee nicht mehr in die Sowjetunion zurückkehrte und plötzlich nicht nur als Tänzer im Licht der Öffentlichkeit stand.
Wieder verlor das Mariinski-/Kirov-Theater einen Tänzer mit Weltformat.

Nachdem 1907 der Impressario Sergej Djagilew/Diaghilew das Ballett-Ensemble "Ballets des Russes" gründete; schlug plötzlich nach dessen ersten Auftritt 1908 das Herz des "Russischen Balletts" in Paris und nicht mehr in St. Petersburg.
Diaghilews Geliebter, der Tänzer Vaslaw Nijinsky und Anna Pavlova wurden schnell zu dessen Mittelpunkt.
Pavlovas Interpretation und Soloauftritt als "Sterbender Schwan" 1907 machte sie ebenso berühmt wie der "Bananen-Tanz" später Josephine Baker.

Wäre eine der alten Damen aus unserer Wohnanlage nicht gestorben und hätte ich deren Schwester nicht bei unseren Müll-Containern getroffen und ihr geholfen, wüsste ich gar nicht, dass das Eau de Toilette "Pavlova" existiert.
Zusammen mit anderen Düften befand es sich in einem Karton, der für den Müll bestimmt war und bei mir landete.
"Was wollen Sie denn mit dem alten Zeug?" fragte mich die alte Dame, fast peinlich berührt. "Das ist doch nur noch Abfall!"
Die Baccarat- und Lalique-Kristallflacons sowie der Hals des Schwans an Verschluss von "Pavlova" hatten wirklich den Sturz des Kartons auf dem Hof nicht überlebt, aber die anderen Schätze werden jetzt von mir so nach und nach entdeckt werden. Auch wenn hier und dort ein Stückchen vom Flacon fehlt.

Meiner Nase nach noch unverändert (also gut aufbewahrt), treffe ich einen opulenten Blumenduft, der sich ganz wunderbar als ein typisches Mitglied der Chypre-Familie auf meiner Haut entwickelt.
Mit ihrem Erscheinen 1977 war diese "Pavlova" ein Kind ihrer Zeit; das, was ich einen "Kleiderduft" nenne. Eigentlich ist es ein "Nachmittagskleider-Duft", der ein bisschen Putz sicher gern hat.
Der fruchtige Auftakt aus Schwarzen Johannisbeer-Blättern, reifen Himbeeren, frischer, wie immer etwas bitterer Grapefruitnote, Mandarinenorangen und Bergamotte wirkt sofort beschwingt.
Wie ein weiter bunter Rock, der die Beine seiner Trägerin umtanzt, erscheint das eindrucksvolle Blumenbouquet, das nun folgt.
Strahlend weiß und intensiv duftend gehören selbstverständlich Jasmin und Tuberose in diesen Strauß. Aber auch Iris und Narzisse und die majestätische Rose ordnen sich diesem Chypre-Duft unter; den Höhepunkt erreicht das Blumenherz durch eine warme, leicht vanilleartige Orchideen-Note.
Und natürlich darf auch die klassische Basis nicht fehlen: sie kommen alle und jede Duftnote hat gut durchdacht ihren Platz in dieser Duft-Choreographie.
Vetiver, grünbraun und erdig, trifft sich mit würzigem Eichenmoos; diese beiden mögen sich und harmonieren deshalb genauso gut wie Moschus und Vanille.
Mit ihrer warmen Weichheit umspielen sie die kleinen Spitzen von Würze, die Sandelholz und Zeder verbreiten.
Benzoeharz und Ambra setzen abschließend rauchig-harzige Glanzlichter.
So entwickelt sich "Pavlova" vom frisch-fruchtigen leichten Reigentanz, über wogende blumige Walzer-Schrittfolgen zu einem großen Wirbel wohlduftender Pirouetten!

Schön, wenn auch ein kleines bisschen altmodisch ist diese duftende Ballettaufführung: pompös, pudrig plüschig und doch wunderbar lebendig.
Und von einer Haltbarkeit, die ich nicht im Publikum (nicht einmal im bequemsten Sessel) absitzen möchte: "Pavlova" bietet das volle Programm auf großer Bühne.

Viel von dieser charmanten Duft-Ballerina ist im Flacon nicht mehr vorhanden; so wie es aussieht, wird sich hier nur noch wenige Male der Duft-Vorhang heben.
Aber auf diese Begegnung hätte ich doch nicht gern verzichtet.
Erstaunlich, wie sich alles manchmal fügt: im rechten Moment bei den Müll-Containern, ließ ich erneut meiner Neugier die Zügel schießen und entdeckte dadurch überraschend duftendes Neuland!
Ich möchte sogar behaupte, dass Frau Z., die ich aus der Kirchengemeinde kannte, gar nicht ärgerlich über diese Entwicklung wäre:
Konnte ihren Schätzen, die vergessen ganz hinten im Wäscheschrank standen, Besseres widerfahren?
Mir jedenfalls nicht und ich freue mich über dieses "Erbe"!

(Und so entstand wieder einmal ein Kommentar, von dem auch Meggi sagen würde:
"Natürlich können wir es kürzer, aber wir wollen nicht!")
10 Antworten