Le Baiser du Dragon 2003 Eau de Parfum

Jingle
04.03.2021 - 10:38 Uhr
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Duft

I kissed a dragon and I liked it.

Als Dreingabe zu einem Pröbchen kam ein kleiner Rest Le Baiser du Dragon in meinen Briefkasten geflattert, putzte sich höflich die Krallen auf dem Fußabtreter und nahm auf meinem Unterarm Platz.

Niemals hätte ich gedacht, dass dieser Duft etwas für mich sein könnte: dieser grenzkitschige Fantasyname (auf Deutsch käme er mit poetischem~ (not!) Genitiv daher), der zwar durchaus formschöne, aber irgendwie westlich hinfantasierte, „chinesische“ Flakon, der einem ähnlichen Impuls zu entspringen scheint wie die modische Eskapade einer, in diesem Fall von mir fantasierten kartoffelblonden Huber Anna, die ihren germanischen Körper speziell für die Betriebsfeier in ein Qipao aus Satin gepresst hat. -- Wobei der Vergleich hinkt, denn hier ist der Inhalt himmlisch, das Drumherum dafür etwas unglücklich. Mei, was Marketing halt so will -

(Exkurs: Was hätte ich denn erwartet bei einem chinesisch inspirierten Drachenparfüm? Rauch von den Nüstern, Oolong, Weihrauch aus dem Tempel oder den Duft des einzigen authentisch chinesischen Pflegeprodukts, das ich jemals besaß, einer überaus intensiv riechenden Tuberosenhandcreme? Oder der Drache, ein roter, glücksbringender Drache voller Stärke, der vielleicht nach Pfeffer riecht oder nach verbranntem Holz? Nichts in dieser Richtung bringt Le Baiser du Dragon mit sich.)

Beim Recherchieren hätte ich das Parfum auch niemals auf meine Merkliste gesetzt: eine Duftpyramide, die für meinen Geschmack nicht nur gefährlich süß-gourmandig aussieht, sondern auch, als wären zu viele, vor allem zu viele essbare Komponenten drin. Ein deutliches Patchouli brauche ich auch nicht immer. Dann der aktuell grassierende Wunsch nach besonders süßem Parfüm hier kombiniert mit Karamell und Schokolade in der Basisnote – shrieeek, no thank you!

Es ist so schön, Überraschungen zu erleben! Was hätte ich verpasst, wäre mir dieses Zufallspröbchen nicht in die Finger geraten.
Meiner Vorrednerin Minigolf muss ich zustimmen, dass der Duft vertraut riecht, im Sinne eines Nachhausekommens, eines angenehmen Erinnerns. Auch ich kann aber nicht sagen, woran das liegt, dass ich mich sofort wohlfühle. Erkläransatz No. 1: der gute alte Moschus-Amber-Trick. No. 2: dezent untergebrachte Leckeraspekte. Und No. 3: gerade genug Vetiver, dass man sich fühlt wie an den Merinopullover des Liebespartners geschmiegt. Einzelnen Noten oder Akkorden nachzuschnuppern wird diesem wunderbar runden Duft aber nicht gerecht, er wirkt als Ganzes. Und warum ein Mysterium lüften anstelle es einfach zu genießen wie einen kleinen Zauber?

An mir, auf meiner Haut und für meine Nase wirkt der Duft im Ganzen so, wie ich mir das wünsche: weich, warm und golden, kein Tröste- und leise heulender Alleine-Einschlaf-Duft, aber eben auch kein brünstiger Lustropfen fürs wogende Dekolleté. Er ist für mich vielmehr alltags- und tagsübergeeignet, eine Umarmung, in die ich (und auch SO, tiens, tiens) gerne wollen, um die Augen zuzumachen. Durchaus mit einer feinen Süße und schön viel Harz, aber nicht komplett dunkel – da sind ja auch noch die frischen Blumen, Vetiver – und mit diesen angenehm hyggeligen Vibes, die auch Theorema so schön machen. Gemütlich genug für Mußezeit drinnen, frisch genug für Aktionen draußen in der Natur.
Leidenschaft, heiße Küsse und so etwas nehme ich in diesem Duft nicht wahr, eher Sympathie, Vertrauen, eine mellow Mood. Metaphorisch gesprochen: mit einem Fantasyschmöker, geliehen von der besten Freundin, zuhause auf der Couch. Dann kommt Bae, drückt einem einen Kuss auf die Stirn. Fantasy seit der Jugend nicht gelesen, aber es macht ein gutes Gefühl. Erinnerung an eine Zeit, in der Wochen über Wochen ohne Deadlines und Stress machende Termine vor einem lagen und die Freundschaften sehr eng waren; Erkenntnis, dass man es sich auch einmal leicht machen darf. Wahnsinnige Lust, gut beduftet zur Tat zu schreiten und den wirklich wichtigen Dingen nachzugehen: Spazieren, Umarmen, Lesen, Reden.
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