Bois Datchaï 2018

Jingle
19.10.2023 - 04:53 Uhr
6
7.5
Duft

Ein Bein im Nest, eins auf dem Ast

Auf Bois Datchaï war ich neugierig, weil ich eine neue Liebe zu Frucht an mir entdeckt habe; zur Jahreszeit passend teste ich herbstliche Früchte. Holz geht eh immer, dazu meine Quest, die schönste schwarze Johannisbeere zu finden, im Parfüm natürlich. Ebenso wieder mal Lust auf schwarzen Tee, aber nicht zu pur. Und als Parfüm natürlich. Let's go!
Kopfnote: Campino-Bonbons, die dunklen, ihr wisst welche – die als erstes aus der Tüte weg sind. Und die sind unsüß im Aroma, also keine Angst vor klebrigen Assoziationen. Viel Grün kommt mit vom Strauch. Wie oft bei Johannisbeere kann ich mich einer kleinen Saure-Gurken-Assoziation nicht erwehren (Meine Macke? Saure Gurken und Johannisbeermarmelade stehen im Keller ja auch nebeneinander). Bisschen Pickles stören hier aber nicht weiter. Zimt gibt auch direkt wunderschön Wärme, aber ganz unweihnachtlich.
Deutlich rauchig, nach Art des gelöschten Kerzensdochts. Gemütlich wie Nachmittage als Teenager alleine im Kinderzimmer, das Taschengeld reichte für eine Duftkerze, und das ist in diesem Alter eine Besonderheit, wie alles besonders und einzigartig scheint: die Isoliertheit, das Unverstandensein, die ersten Skills damit umzugehen, die man in dem Alter entwickelt (ätherische Öle, lookin' at you).
Der Duft ist tröstlich; Johannisbeere ist sicher nicht nur für mich eine familiär-häusliche Note. Viele haben sie im Garten, die Oma immer noch ein Glas in der Speisekammer, auf die Pfannkuchen als Kind gibt’s einen dicken dunklen Klecks – wem das geborgene Gefühle macht, der möge den Duft mal testen.
Das mit dem Teenageralter oft einhergehende Gefühl, eigentlich keinerlei Termine in der Zukunft zu haben, die Klassenarbeiten sind rum, die kommenden Monate leer und man hat Zeit, so viel Zeit. Eine der ersten CDs, The Cranberries, „No Need to Argue“ schnurrt im Kompakt-CD-Player, um gleich „Ode to My Family“ zum Besten zu geben, cheesy Romane aus der kleinstädtischen Buchhandlung geben so gar keine Preview aufs echte Leben, ums Handgelenk geknotete Lederschnüre, die irgendetwas Wichtiges bedeuten sollen, ein Tagebuch mit kleinem Schloss. Hier bin ich in der Kopfnote des Dufts; lasst euch nicht verwirren, der Duft ist nicht aus den 90ern, aber jedem seine Teeniezeit, nicht wahr? Nachträgliches Süßfinden, nachträgliches In-den-Arm-nehmen-wollen – diese Vibes gibt mir Bois Datchaï. Ein scheues „Hi …“ an den inneren Teenager, natürlich ohne Blickkontakt.
Ich wollte schreiben, dass das Patchouli verhalten erscheint, aber ich rieche eine Note, die mich an Keller erinnert, das wird es sein. Auch hier: stört nicht, bräuchte ich aber auch so nicht. Vielleicht ist das für etwas Tiefgang nötig – zum Glück bleibt’s nicht im Keller. Jugendzimmer, wie gesagt. Der schwarze Tee erinnert mich hier nicht an den Geruch von Vaseline, er ist recht dezent, dezenter noch das Leder – für mich nicht wirklich auszumachen.
Ich würde Bois Datchaï in einem Zuhause ansiedeln, genauer, in einem Zimmer, um ihn alleine zu riechen. Er ist auch nicht besonders stark und ein eher kurzes Vergnügen. Bois Datchaï eignet sich dazu, um sich in einen Wald zu fantasieren wie Max im Wolfskostüm in „Wo die wilden Kerle wohnen“, vielleicht so, wie ich es mit „Enchanted Forest“ getan habe, mit dem er Johannisbeere, Zeder, etwas Patchouli teilt (aber letztgenannter ist viel dunkler, winterlicher, märchenhafter). In einem fernen Wald bin ich hier nicht, nicht wirklich.
Wäre der Duft eine Körperhaltung, dann Sitzen mit angezogenen Beinen. Im Sitzen in die Kerzenflamme starren. Ein Noch-nicht-Wissen-wohin, mit einem Fuß in Vogelnest, mit dem anderen auf dem Ast stehend – wie schön es ist, wenn man nicht fort muss und den Übergang fühlen darf ohne Angst. Und Übergang auch = Herbst, um wenig elegant den Bogen zu schlagen.
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