Bois Noir 1987

Mediocre
14.02.2013 - 07:00 Uhr
43
Top Rezension
7.5
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft

Das Parfum des Dorian Gray

Bois Noir ist schon im letzten Jahrhundert verschollen. Wenn der Duft mal auftaucht, erzielt er exorbitante Preise. Selbst Leerflakons sind schier unbezahlbar. Die Chance, Bois Noir zu begegnen ist verschwindend gering, denn er war nur für kurze Zeit exklusiv bei Chanel erhältlich. Daher kann ein Kommentar nur theoretisch interessant sein und nicht als Ratgeber für einen Kauf gelten. Hier ist meine persönliche Geschichte zu diesem Duft-Yeti: Bois Noir begegnete mir 1989 im Bad meiner damaligen Pariser Wochenendbeziehung. Da ich schon zu dieser Zeit ein Faible für Chanel hatte, wurde mir der Flakon heimlich beim Abschied ins „Beauty-Case“ gelegt. Es war das letzte Weekend mit diesem charmanten Herrn, und somit ein Souvenir einer schönen, aber kurzen Zeit. Leider ist auch von diesem Souvenir nur die Erinnerung geblieben, denn der leere Flakon ist bei einem meiner Umzüge abhanden gekommen. Nun würde es keinen Sinn machen, einen Kommentar zu schreiben über einen Dufteindruck, der solange zurückliegt. Zumal Bois Noir in meiner Erinnerung als ein Duft dicht verwobener Komponenten abgespeichert ist, der aufgrund seiner Komplexität & Opulenz die Identifikation einzelner Duftstoffe sehr schwierig gestaltet. Die obengenannte, schmale Duftpyramide zählt mit absoluter Sicherheit nicht sämtliche Ingredienzen auf, aus denen Bois Noir, der sagenumwobene Vorgänger von Égoiste entstanden ist. Dank eines lieben Freundes aus London - der mir großzügig ein paar Tropfen dieser seltenen Essenz überließ -ist es mir möglich einen Kommentar zu wagen. Und nun mutig und ohne Respekt angesichts der Unwiederbringlichkeit dieser Essenz rasch die Phiole entstöpselt und auf das Handgelenk geträufelt – bevor ich es mir noch anders überlege! Zu meinem Entsetzen ist der Auftakt getrübt, offenbar hat der Zahn der Zeit die Kopfnote angefressen. Die einstige grüne Frische, die mit der Holznote des Palisanders daherkam, mit Bergamotte & Mandarine abgerundet war, ist im Laufe der Jahrzehnte auf der Strecke geblieben. Ohne Zitrusfrüchte bleibt eine kräuterige Muffigkeit, die seltsam und fremd anmutet. Mich droht schon die Verzweiflung zu packen, als der schimmelartige Muff entschwindet und vertraute Noten zum Vorschein kommen. Jetzt erinnert mich der Duft an Schottischen Früchtekuchen den ich gerne in der Weihnachtszeit backe, allerdings mit deutlicher Trockenpflaume. Dazu gibt es Gewürze zu riechen, vornehmlich Zimt und Koriander. Die damit einhergehende gourmandige Süße wird wunderbar von Blumen eingebunden, die von vielen als verstörend empfundene Geranie kann sich nicht durchsetzen, sie rundet lediglich die prägnante Rose etwas ab, ohne sie abzutöten. Dieser Gourmand-Cocktail beansprucht die Nase so sehr, daß erst im Laufe der nächsten Stunde langsam eine Duftentwicklung von mir wahrgenommen werden kann. Der Früchtekuchen wird nun von vanilliertem Tabak, einer diffusen Rauchnote, die an Lapsang Souchong erinnert und den Resten des Rosenholzes und ordentlich Sandelholz in die Mitte genommen. Das ist der Moment wo in meiner duften Gedankenwelt Mr. Dorian Gray ins Spiel kommt: vor meinem geistigen Auge entwickelt sich das Bild eines opulenten, viktorianischen Interieurs. Ein abgedunkelter, hoher Raum mit dunkelroter Tapete, durch die passenden, schweren Samtvorhänge dringt nur wenig Licht des frühen Mittags ein, um schemenhaft kostbare Möbel aus Palisander und Rosenholz mit vergoldeten Beschlägen und exotische Pflanzen in blauweißen Ming-Gefäßen aus der Dunkelheit zu heben. Auf dem Kaminsims stehen Rosenduft ausströmende Potpourri-Vasen aus antikem Sèvres-Porzellan. Ein goldenes Etui mit türkischen Zigaretten liegt auf einem zierlichen Tisch, daneben eine hauchdünne, exotisch bemalte Teetasse mit Räuchertee, auf deren Untertasse die Überreste eines achtlos zerkrümelten Früchtekuchens liegen. Auf der Chaiselongue vor dem erloschenen Kamin sitzt ein schöner Mann, der seine Nacktheit dürftig mit einem seidenen Morgenmantel bedeckt hat. Er blickt gnadenlos und unverwandt auf das Bett mit seinem schwülstigen Schnitzwerk und lauert auf den regelmäßigen Atem einer darauf schlafenden nackten Schönen, deren unschuldige Gesichtszüge - wie von einem präraffaelitischen Meister erträumt – noch nichts von dem Verderben ahnen, daß ihr droht .In der Basis wird der Duft - ganz ohne Kitsch - dann kuschelig: Vanille und Tonka vereinen sich mit dem Sandelholz, um in einer blumig-harzigen Tiefe aufzugehen, die mit einem kleinen Fetzen Leder gewürzt ist. Soviel zum Dufterlebnis, nun zu der Dufthistorie und den Histörchen. Es ranken sich viele Gerüchte und Geschichten um Bois Noir und Égoiste. Was sind die Unterschiede in der Komposition & dem Duftverlauf, sofern es sie denn überhaupt gibt? Im Vergleich zu seinem Nachfolger Égoiste stelle ich fest, daß Bois Noir in der Komposition dichter und intensiver ist. Es verhält sich im Vergleich ungefähr so, als würde man von einem Duft das EdT und das EdP miteinander vergleichen. Die Holznoten und die etwas klebrige Süße, welche uns von Égoiste vertraut sind, kommen bei Bois Noir wesentlich stärker zum Tragen. Auch wenn die 80er als das Jahrzehnt hemmungslosen Hedonismus und der Powerhouse-Wummser in die Geschichte eingegangen sind, kann ich gut nachvollziehen, daß Bois Noir seinerzeit „gefloppt“ ist: ich selbst hatte Mühe, Gelegenheiten zu finden, an denen ich riechen wollte, wie Mr. Dorian Gray. Zudem denke ich, daß die Mehrzahl der Herren, die damals den Weg in eine Chanelboutique gefunden haben, dem konservativen und zu allen Gelegenheiten tragbaren „Pour Monsieur“ den Vorzug gegeben haben. Wie kam man da bei Chanel auf die Idee, einen Herrenduft wie Bois Noir lancieren zu wollen? Jacques Polge hat in einem Interview erklärt, man habe damals bei Chanel vorgehabt, eine Männerkollektion bei Chanel zu realisieren, zeitgleich wollte man einen neuen Herrenduft lancieren. Das hätte einen Synergie-Effekt gehabt, der beiden Vorhaben genutzt hätte: mit einem „jungen“ Chanelduft für Männer hätte man modeinteressierte Herren für Menswear von Chanel begeistern können - und die Herrenmode hätte als PR den Umsatz bei den Männerdüften beflügelt. Also entwickelte Monsieur Polge, inspiriert von Bois des Îles, dessen opulentes Sandelholz ihn faszinierte, den Herrenduft Bois Noir. Die Idee einer Herrenkollektion wurde verworfen, Polge aber durfte seinen Duft in die Produktion geben. Angeblich soll Bois Noir so ein Renner gewesen sein, daß man auf die Idee kam, das breite Publikum damit zu beglücken – was ich persönlich für ein Märchen halte. Aus Marketinggründen wurde Bois Noir in Égoiste umbenannt. Doch es wurde nie ein großer Verkaufsschlager aus Égoiste. Zu den vorgenommenen Veränderungen sagt J. Polge nichts. Aber es ist mehr als wahrscheinlich, daß man bei der Gelegenheit die Zusammensetzung massenkompatibel abgedämpft hat – ganz so wie es mir auch meine Nase bestätigt hat. Warum auch nicht? Schließlich hatte die breite Masse der Konsumenten nie eine Ahnung, wie Bois Noir gerochen hat – die wußte ja noch nicht einmal von seiner Existenz. Ich selbst habe es lediglich glücklichen Umständen zu verdanken, daß ich Bois Noir begegnet bin. Nun bin ich am Ende meines Kommentars angelangt, der ein wenig versuchen sollte das Mysterium von Bois Noir zu beleuchten. Bei Kommentaren zu seltenen, aus der Produktion genommenen Düften schwingt ja gerne etwas Trauer und Fassungslosigkeit mit.Hier jedoch gibt es die Option auf ein Happy End, einfach J. Polges Lieblings-Chanel kaufen: ÉGOISTE
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