Égoïste 1990 Eau de Toilette

EauSavage
07.09.2021 - 16:32 Uhr
37
Top Rezension
9
Flakon
8
Haltbarkeit
10
Duft

Égoïste. Excentrique. Humaniste.

1990. Nach den epochalen Klassikern Pour Monsieur von 1955 und Antaeus von 1981 erst das 3. Parfüm für Männer aus dem Hause Chanel. Und der erste Männerduft mit Sandelholz als dominanter Note. Und wieder ein Meilenstein.

Ich persönlich finde Égoïste gar nicht bemerkenswert egoistisch, dieses Attribut schreibe ich viel mehr meinem geliebten Antaeus als ihm zu. Vielleicht ist 'Kompromisslosigkeit' ein passenderes Wort für die Haltung, die ich hier meine. Ich würde Égoïste stattdessen Excentrique nennen, aber dann wäre er unter Garantie nicht so ein Erfolg geworden.

Mir ist nicht bekannt, ob die folgenden Motive zur Namensgebung beigetragen haben, aber im historischen Kontext war Égoïste - der Name wie der Duft - eine echte Ansage. Es waren damals schlimme, neue Zeiten für unser Geschlecht, denn gleich zwei große Wellen drohten, uns unter ihnen zu begraben: Die 3. Welle der Frauenbewegung brandete mit beißender Gischt mächtig an unser Ufer und stellte unser Geschlecht gleich mal ganz in Frage. Und zwei Jahre zuvor hatte mit Cool Water der aquatische Tsunami seinen Ursprung gefunden, wir Männer rochen nicht mehr nicht, weil wir uns geduscht hatten, nein, wir sollten jetzt qua Parfum dokumentieren, dass wir es wirklich getan hatten. Und das Hemd sollte jetzt auch nicht mehr soweit aufgeknöpft werden, wozu auch, so wie der moderne, aquatische 'Mann' duftete, war die Grundannahme ohnehin, dass er sich das Brusthaar bereits vorsorglich konform abrasiert hatte.

Was sollte das alles, wie hat es überhaupt so weit kommen können und wohin sollte das bloß noch alles führen? Vielleicht hat sich Jacques Polge, der zuvor Antaeus erschaffen hatte, dies auch alles gefragt.
Nun, wie auch immer, 'Égoïste' sprach jedenfalls mit seiner grandiosen Werbung ganz bestimmte Grundbedürfnisse an. Ich jedenfalls muss noch den Geschlechtsgenossen kennenlernen, der nicht am nächsten Morgen von sage und schreibe 35 Balkonen von wunderschönen Drama-Queens als Egoist verdammt werden möchte.
Der Égoïste-Mann, lediglich an seinem behaarten (!) Arm erkennbar, öffnet die Lamellentüren nur einen Spalt und stellt inmitten des ganzen Theaters einfach ganz cool den Flakon auf die Balustrade. Mehr gibt es schließlich dazu auch nicht zu sagen.
Und so wie der Egoist sein Ding macht, so war Égoïste jedenfalls einmal wieder der Beweis, dass Chanel unbeirrt seinen eigenen Weg geht.

Égoïste beginnt mit Holz und endet mit Holz. Der exzentrische Paukenschlag beginnt mit Rosenholz, das nur deswegen nicht zu stechend duftet, weil es von Mahagoni beflankt gemildert, von Mandarine erfrischt und von Koriander gewürzt wird. Die letzten drei Noten nehme ich einzeln kaum bis gar nicht isoliert war, sie dienen dem Gesamtklang. Und fast schon unmittelbar ist das Sandelholz in der Umlaufbahn und wir sind dem Herzen schon ganz nah.
Nun wandelt Égoïste sich und auf Sandelholzsplittern wächst eine dunkle, wunderschöne Rose. Und nein, es riecht nicht rosig. Wer die leicht trüffelige, schwarze Rose aus Dior Homme Parfum kennt, der weiß, wovon ich spreche. Aber hier ist sie ganz fein bestäubt mit Zimt, ganz weich und dennoch tief. So wunderschön. Und schon bald legen sich auch noch ganz zart hauchdünne Tabakblättchen auf unsere Rose und machen sie würziger und dunkel und der Zimtstaub wächst auf Flockengröße und nun entspannen wir uns göttlich in der Basis:
Der Zimt bleibt, noch mehr Tabak blüht und dann wächst aus den Fugen des massiven Sandelholzfundamentes noch ambriertes, warmes Leder und wenn wir auf das Leder klopfen, steigen Federwölkchen aus Vanille empor.

Égoïste hat einen unfassbaren Drydown. Ab hier könnte Égoïste nicht mehr Excentrique, sondern durchaus Humaniste heißen.
Mir wird es wohl für immer ein Rätsel bleiben, dass manche hier süße Backwaren assoziieren oder gar vorweihnachtliche Gefühle entwickeln. Vielleicht reicht allein die Nennung 'Zimt' dafür, ähnlich wie Zitrik gleich - allzu häufig - Klosteinanalogien gebiert. "Unfug!" rufe ich so laut wie die 35 Damen "Égoïste" schreien. Der Zimt hier ist immer trocken, die Vanille immer dunkel, beides nie klebrig oder süß, dennoch wärmestiftend. Es sind mal Kontrastmittel, mal Additive. Und was diese Melange in der Basis da an markanter, eleganter Freundlichkeit transportiert, das hat so was von Charakter, da können Laytonistas und andere Liebe-Onkel-Düftchen aus Marlyland und ähnlich milden Gefilden nur von träumen, wenn ich das auch noch anmerken darf. So!

Égoïste hat Phasen ja, Sätze wie eine Sinfonie und Tempi und Laustärke wechseln. Aber da ist dieses eine Thema, das sich von Anfang bis Ende durchzieht, das sprichwörtliche Ganze, das mehr ist als die Summe seiner Teile, der "Duft Égoïste" als Gesamtklang. Wie es sich für ein Meisterwerk gehört.

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Anmerkung: Ich bitte, mir alle potentiell politischen Unkorrektheiten zu verzeihen. Ich war heute einfach mal ... egoistisch.
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