Sandrine 1970 Parfum

Palonera
19.10.2018 - 13:14 Uhr
35
Top Rezension
6
Sillage
6
Haltbarkeit
8
Duft

auf dem Dorf

In einer Zeit vor dieser Zeit, als es Parfumo (für mich) noch nicht gab, hätte ich es mir nicht träumen lassen.
Niemalsnicht hätte ich geglaubt, daß es Menschen gäbe wie die, die sich hier finden, die hierher gezogen werden wie von unsichtbaren Fäden, von Magneten nachgerade, menschlichen Magneten, die einander anziehen, mitziehen, mitreißen in eine Leidenschaft, die größer wird und größer, tiefer und reicher, je länger wir hier sind, je mehr wir entdecken, erfahren und lernen über Düfte, die wir noch nicht kannten, von denen wir noch nicht gehört, nicht gelesen, oft nicht einmal geglaubt hätten, daß es sie gäbe.
Nicht in dieser Zeit, nicht in dieser Welt.

Jene Menschen sind es, die mich hierher führten, hierher zogen, die schon länger leben, länger lieben, länger ihre Passion für Düfte pflegen, die mit Herzblut geschaffen wurden, mit Hingabe und Leidenschaft und ohne Blick auf Absatzmärkte, auf schnelles, leichtes Geld.
Jene Nasen, die schon alles kennen, was es zu kennen gibt, was man zu kennen meint, die auf der Suche nach dem Mehr sind, dem olfaktorischen Meer der Schätze, die verschollen sind, gesunken, vergessen auf irgendeinem Grund, in irgendeinem Dachgeschoß, in einem dunklen Keller.
Nasen wie Florblanca, die manchen alten Schatz schon hob, vom Staub der Zeit befreite, mit uns teilte – Schätze wie "Sandrine".

Als ich "Sandrine" zum ersten Mal begegnete, mochte ich nicht glauben, daß der Duft jünger sei als ich – zwei Jahre jünger nur, aber eben doch.
So sehr erwachsen wirkt er, so klassisch, ernsthaft, reif, daß ich ihn nicht verorten kann am Beginn der Siebziger, die laut waren, bunt, ein wenig schrill.
Die Schwaden von Patchouli trugen und dunklen Moschus, reichlich Tabak und noch mehr "Irisch Moos".
"Sandrine" erschien mir wie gefallen aus einer Zeit, die weit zurück lag, ein Jahrhundert fast – eine Zeit, in der sie noch ein junges Mädchen war, meine Großmutter, die lange schon gegangen ist, die Düfte wie "Sandrine" nie getragen hat, weil sie sie zu fein fand, zu edel, elegant für ein Dorf wie ihres im Hochsauerland, in dem man praktisch war, bescheiden, mit beiden Beinen auf dem Boden stand.
In dem man nach Seife roch, nach feuchter Erde, nach der Arbeit in den Gärten, den grünen, krautigen, nach den Wäldern ringsumher mit ihrem Holz und Harz, dem weichen, dunklen Moos, den kleinen Blumen und ein paar Pilzen hier und dort.
So roch man auf dem Dorf, so riecht es dort auch heute noch.

Und ein wenig riecht so auch "Sandrine", die so grün ist und so waldig, so holzig und chyprig auf meiner Haut, deren Blumen nicht blümeln in der klaren Frische aldehydiger Morgen, bevor die Sonne an Wärme gewinnt und auf die Menschen scheint, die auf den Feldern arbeiten, in den Wäldern und Gärten, die Heu machen und noch saftige Zweige schreddern, die Rücken gebeugt und die Haut ein wenig feucht und sauber noch von der Seife am Morgen.
Irgendwo steht ein Strauß Gartenblumen auf einem dunklen, rauhen Tisch, grob gezimmert, doch stabil und grau gebleicht von Wind und wildem Wetter.
Ein kühler Wind weht von den Hügeln herab, bringt den Duft der Wälder mit sich, der Nadeln und Moose, des weichen Grün und Braun, in dem der Fuß versinkt und auch der Kopf, der so schwer ist oft und dort so leicht wird.
Leicht ist auch "Sandrine", leicht und leise, licht und luftig, frei von jeder Süße, unangestrengt und nicht die Spur banal.
Oma hätte sie gestanden.
Und Opa, da bin ich sicher, auch.

PS: Florblanca - für so vieles: Danke!
19 Antworten