Blue Invasion - Blue Encens 2013

Fegefeuer
20.06.2022 - 16:16 Uhr
3
7
Preis
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
7.5
Duft

Ein Parfüm aus Lovecrafts Feder

Die Sonne nähert sich dem Horizont und ich blicke ungeduldig auf die Uhr. Es ist Zeit, gleich ist er da. Wir treffen uns immer außerhalb der Stadt, weil er leider nicht so gern gesehen ist. Tesfaye winkt mir aus der Ferne zu und ich rufe erkennend seinen Namen. Ich bin der Einzige hier der sich die Mühe macht, seinen Namen nicht mit unserem texanischen Akzent zu schänden.

Er legt seinen knochenfarbenen Rucksack auf der Schotterstraße ab und holte kurz Luft, bevor er anfing wild in seiner gewachsten Tasche zu wühlen. „Muss toll sein, jeden Tag die Meeresluft zu atmen.“ Das Leben hier ist mein Ruf, gewählt habe ich es so aber nicht. „Wenn da nur nicht die Eimer voll Fisch am Hafen wären.“, erwiderte ich mit einem müden Lächeln. Er lacht in sich hinein und verschluckt sich fast an seinen Worten. „Lehre einen Hungernden das Fischen und du ernährst ihn für sein Leben, oder?“
Er reicht mir wie jede Woche 22 Pfund Weihrauchharz aus Eritrea in einem amerikanischen Jutesack, der mal für Kartoffeln bestimmt war, im Austausch für 10 $ aus meinen Spenden und in Zeitungspapier gewickelten geräucherten Fisch, den er so gerne mag. „Ein bisschen Meeresluft für dich.“ Er schnuppert kurz an den Headlines letzter Woche und schluckt, damit ihm der Speichel nicht aus dem Mund läuft. Er geht zügig in die Hocke und gräbt einen kleinen Beutel aus seinem Ranzen. „Versuch das nächste Mal etwas hiervon. Den hab ich von einem Freund aus Madagaskar bekommen.“ Ich öffne den Beutel und das scharfe Aroma springt mir ins Gesicht. „Das ist nicht das gängige Zeug, was ihr sonst benutzt. Dieser Pfeffer wird in manchen Ländern als Medizin benutzt. Jetzt stell dir vor, was das mit deinem Fisch macht!“, preist er an. Dankend strecke ich meine Arme für eine Umarmung aus, als hinter mir jemand wütend meinen Namen ruft: „Ey, Bartholomew!“ Unsere Arme senken sich, Tesfayes Mundwinkel werden schwer. „Gott hat für solche Menschen einen Platz in der Hölle reserviert. Es tut mir Leid. Hab Dank und pass auf dich auf.“, verabschiede ich mich tröstend. Er schwingt seinen Rucksack um die Schulter und geht landeinwärts.

Mit meinem Sack voll Weihrauch und einem Beutel schwarzem Pfeffer in meiner Hosentasche, gehe ich Richtung blauem Horizont, wo die Sonne bereits den Ozean küsst. „Dein geräucherter Fisch ist zu gut, als dass du ihn so verschwendest.“, sagt Elijah Tabak schmatzend als ich ihn passiere. „Das selbe kann man von Gottes Vergebung behaupten, aber die schmeißt du mit deinem Verhalten direkt in die Tonne, Elijah. Grüß deine Mutter von mir und God bless.“ Ich höre hinter mir seine schleimige Spucke, die den Schotter trifft und gehe Richtung Hafen. Ich muss dort sein, bevor die Sonne im Meer untergeht, weil meine Albträume mich dazu peinigen. Ich möchte glauben, dass es Gott ist, der mich warnen will, aber es ist diese verdammte Stadt. Es gab schon immer einen Heidenrespekt vor dem Meer unter den Dorfbewohnern. Nur die Dümmsten trauen sich tatsächlich mit ihren Booten raus, versorgen damit aber das ganze Dorf. Außer Fisch haben wir nämlich nichts anzubieten und sind von Mooren umgeben, weswegen wir nichts anbauen können. Handwerklich begabt ist hier auch keiner und die filigranste Arbeit, die die Leute hier gemeistert haben, ist das Beladen der Trommel eines Revolvers.

Ich träume ständig von etwas am Boden des Meeres und ich habe aufgehört, meine Bettwäsche täglich wegen dem kalten Schweiß zu waschen. Es hat Flügel aus schuppiger Haut, Tentakel die aus dem Gesicht sprießen, es umhüllen und so viele purpurfarbene Augen, die scheinbar zu jeder Zeit in jede Richtung blicken. Weder Mensch noch Tier und auch keiner biblischen Beschreibung gleich. Algen umranken seine grotesken Gliedmaßen, Seepocken verschlingen seine pulsierende Haut und Fische kreisen um es herum, wie Geier um Aß. Doch ich weiß, dass es auf etwas wartet und wenn es aus dem Schlund emporsteigt, unser Dorf verschlingen würde. Je öfter die Albträume mich aus dem Schlaf rissen, desto weniger Angst hatte ich und habe mich an das Gefühl gewöhnt. Nach und nach konnte ich es besser aushalten, die Bilder in der Nacht genauer studieren. Es war ein Ungetüm, dass meine Fantasie nicht erfinden konnte. So wurde mir klar, dass es keine normalen Träume sein können. Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet ich gewählt worden bin diese furchteinflößenden Visionen zu haben.

Ich gehe den Steg entlang. Die fischige Meeresbrise, die Tesfaye so liebt, weht salzig durch den Wind. Die algenbedeckten Holzpfähle die mühsam den Steg unter meinen Füßen tragen, sind schon lange überfällig. Ich muss zwischendurch am Pfeffer aus Madagaskar riechen, damit mir von der Gischt nicht all zu übel wird. Am Ende der Anlegestelle liegt eine Metallschale, die ich seit Beginn meiner Träume aufgestellt habe. Ich leere den Jutesack mit dem Harz hinein und zünde es mit meinen Streichhölzern an. Tesfaye hat mir nicht immer Weihrauch gebracht. Eigentlich kenne ich ihn für seinen exzellenten Kardamom, den ich als Gewürz für meinen geräucherten Fisch benutze. Dass er auch Harze besorgen kann, war gottgewollt.
In der Ferne geht eine Lampe an und spiegelt sich in den sanften Wellen. Es ist eines der Fischerboote und eine raue Stimme, die nur von Jonah stammen kann, ruft aus der Ferne: „Hey Priester, sollen wir den Gottesdienst nicht einfach zum Hafen verlegen?“ Dreckiges Gelächter schallt aus dem grellen Scheinwerferlicht. Jonah beichtete mir mal, dass er seine Aggressionen nur schwer unter Kontrolle hat. Es ist nicht selten, dass seine Frau Dolores Sonntags mit blauem Auge in meiner kleinen Kapelle sitzt.
Während ich dem glimmernden Harz zugucke, schmeißt mir jemand ein Seil zu Füßen. „Knote das Mal fest, Padre.“, sagte Gideon. Seine gelbe Schürze ist mit Blut und Fischinnereien bedeckt, weil er den ganzen Tag die Fischköpfe mit seiner Keule zu Brei zerschlägt. Wenn er nicht wäre, könnten wir die Fische viel besser verkaufen. Die beiden springen aus dem Boot, dass sie Tempest getauft haben und Jonah trägt die Wanne voll totem Fisch an mir vorbei. Gideon bleibt kurz neben mir stehen, seine Hand am Revolver im Holster. Sein Atem stinkt nach selbstgebrannten Moonshine und er wie ein verschwitztes Tier. „Ich hasse Weihrauch. Du hast Glück, dass Gott dich schützt. Bis Sonntag, Bartholomew.“, sagte er und ging weiter, noch bevor er fertig gesprochen hat. „Bald, bald“, flüstere ich mir zu.

Der kalte Weihrauch verdrängt die Seeluft und gibt mir ein Gefühl der Geborgenheit, während ich sehnsüchtig in die Ferne blicke. Der dunkle Himmel verschmilzt mit dem Meer und ich sehe nur noch Mitternachtsblau. Es macht keinen Unterschied mehr, wenn ich meine Augen schließe. Irgendwo schläft er und wartet, dass er dieses Dorf endlich erlösen kann. In seinem Haus in R'lyeh wartet träumend der tote Cthulhu.
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