Comme des Garçons 2 1999

Louce
18.02.2015 - 10:08 Uhr
10
Flakon
10
Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft

Differenzessenz

Extrasynthetisch, ultramodern, metallisch, urban und arty. Dabei gleichsam auf eine widersinnige Art natürlich.
Völlig und komplett unisex und dabei völlig und komplett sexy, irgendwie eher männlich, dabei gleichsam irgendwie eher weiblich.
Widersprüchlich.
Widerspruch, der sich nicht hermeneutisch auflösen lässt und keine dialektische nächste Stufe hervorbringt, also keiner, der am Ende dann doch wieder in Frieden und Sinn endet. Aber trotzdem eine Art Sinn im Widersinn, trotzdem Struktur und System… nur halt nicht auflösbar, nicht reduzierbar auf einzeilige Antworten.
Der Un-Sinn dieses Duftes ist programmatisch und passt 1:1 zur Jahrtausendwenden-Mode von Comme des Garçons. Er passt auch 1:1 zu Mark Buxton, der diesem Weg weiter folgte, als das Modelabel nur noch so grob und ungefähr in die Richtung tapste, die es einmal wies (und als die CdG-Parfumlinien sich verzettelten).
Buxton ist inspiriert, mutig, witzig und duft-abenteuerlustig, gleichzeitig aber so profund handwerklich sicher als Parfumeur, dass seine manchmal schwindelig machenden Gimmicks immer ausgewogen integrierter Teil von reifen, durchdachten Kompositionen sind. Dabei zeigt sein Oeuvre eine Linie, wie mir scheint. Wenn ich z.B. Buxtons „Devil in Disguise“ von 2012 rieche, erkenne ich eine Verbindung zu CdG2, so als hätte sich die Duftidee verpuppt und wäre nach einer Metamorphose in der Gegenwart in ausgebildeter Form wieder geschlüpft. Noch konsequenter widersprüchlich (und damit für viele Nasen zu schräg). Vielleicht rieche ich diese Zeitlinie aber auch nur, weil die Idee so schön ist und weil ich Buxtons Magnolieneinsatz unwiderstehlich finde. Magnolie hat nämlich eine ziemlich wichtige Rolle bei beiden.

Magnolie ist in sich bereits widersprüchlich. Intensiv. Sehr, sehr intensiv ultra-blumen-süß, saftig mit dicker Cremigkeit und einer hellen Honigkomponente. Dabei ist aber auch ein dünner, zitrischer, frischer, frühlingshaft anmutender Aspekt und eine darunter liegende leichte Würzigkeit. In der Natur meide ich Magnoliengeruch, finde ihn zu fett, pastös zu dicht, zu dröhnend, zu süß… zu viel einfach. In Parfums meide ich ihn auch… außer Mark Buxton setzt ihn ein. Er hat nämlich ein Händchen oder besser Näschen für die vielen Andockstellen, die die Magnoliennote bietet: Man kann sie zu etwas Frischem, Saurem, Bitterem, Alkoholischem oder Trockenem setzen und bekommt so eine Zuspitzung, eine Auffälligkeit, eine sehr reizvolle Pointierung. Und genau das (und zwar alles) passiert in CdG2.
Die Turboblumenblüte Magnolie wird konterkariert mit lauter Widersprüchen. Sie ist im Herzen des Duftes eingebettet, nein, vielmehr umstellt von Antagonisten, die ihr olfaktorisch entgegentreten. Das Gegensätzliche wird durch Kontrast zum Klingen gebracht.
Metallisch, so dass es scheppert.
Synthetisch, so dass es knistert.
Kühl, luftig und klar, so dass es zischt.
Jedoch sind da auch, verhalten, aber erkennbar, das Blumige, das Süße, das Weiche und das Warme. Der Duft wird dabei nie chaotisch. Denn die Noten sind viel zu feinfühlig komponiert und unter einer so selbstbewussten Regie in Ordnung gebracht, dass sich all dieser Reiz entfalten kann, ohne dass Wirrnis entstünde. So viele einander widersprechende Aspekte auszubalancieren, ist solides Handwerk. Sie überhaupt zu einander stellen und reagieren lassen zu wollen, ist Kunst.
Die metallische Linie rieche ich bruchlos von Kopf über Herz bis in die Basis; ich vermute, von der Aldehydnote, dem Wacholder, der Tintennote und der silbrig-kalten Weihrauchnote gebildet, dabei wieder und wieder reflektiert von Grünem, Blumigem und Holzigem, das auch metallische Seitenaspekte haben kann, wie sie hier herauskomponiert wurden (in der Pyramide: Blätter, Angelika und Zeder). Die quasiwürzige, trockene und dennoch blumige Angelika korrespondiert wunderschön mit dem Metallischen, aber genauso mit dem cremig-saftig Blumigen der Magnolie, die wiederum abgestoßen und gleichzeitig festgehalten ist vom Metallkonstrukt, das ihre vorhandenen Andockstellen besetzt.
Obwohl in CdG2 so viel passiert, ist der Duft ruhig. Er lässt sich in seinen Entfaltungskapiteln Zeit. All diese Duftaction und doch behält der Duft über den ganzen (langen) Verlauf bemerkenswerte Geradlinigkeit, und wirkt bei allem was animiert und anreizt eher gut gelaunt ausgleichend auf Trägerin oder Träger… und auf alle drumherum, denn die Sillage ist gehörig.

Ein Parfum, das Brüche zeigt und diese nicht wieder verschließt. Kalt und warm, männlich und weiblich, glatt und rau, künstlich und natürlich, trocken und saftig, frischsauerbitter und süß, luftdurchlässig und dicht, komplex und simpel…
… bleiben kalt und warm, männlich und weiblich, glatt und rau, künstlich und natürlich, trocken und saftig, frischsauerbitter und süß, luftdurchlässig und dicht, komplex und simpel.
Keine Auflösung, Synthese, Vereinigung.
Dafür schwingen, klingen, vibrieren die Räume, die sich zwischen den Kanten der Brüche aufgetan haben.
Eine enorme Schönheit, die sonst verborgen bliebe, wird so sichtbar oder viel mehr ruchbar.
14 Antworten