Noble Néroli
Grand Neroli

Axiomatic
13.05.2023 - 16:42 Uhr
41
Top Rezension
10
Preis
9
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft

Denn Dunkelheit für immer gibt es nicht

Wieso verfasst man eine Rezension im Urlaub?
Eigentlich sollte man der Grübelei für ein paar Tage den Laufpass geben und sich den schönen Dingen des Lebens widmen.
Doch es kam anders.

Fernab der Heimat konnte ich meiner Duft-Neugier nicht widerstehen.

Warum?

Nun, am Strand erzählten Freunde Trauriges und zeigten anhand von Bildern mir ihre zerstörte Heimat in Lyon. Nach den Krawallen am 1. Mai blieb keine funktionierende Infrastruktur in ihrem Viertel übrig, U-Bahneingänge, Bushaltestellen, parkende Autos, alles brannte lichterloh. Bankfilialen, Apotheken und Geschäfte wurden verwüstet.
Der Tag am Strand trübte sich etwas. Dazu noch ein kräftiger Mistral-Wind zum Bibbern.

Mit mulmigen Gefühl fuhren wir, Axios bessere Hälfte blieb standhaft, nach Montpellier rein. Das Wetter verhieß nichts Gutes. Schließlich galt es dennoch, die Stimmung aufzuhellen.
Hier hielten sich die Verwüstungen in Grenzen. Was aber merklich sichtbar war, die große Anzahl an leerstehenden Geschäften und kaum einkaufsfreudige Kundschaft.
Im Galeries Lafayette bot sich eine renovierte Inneneinrichtung in grellem Weiß, wir steuerten zielstrebig die Duftabteilung an. Denn wenn mich etwas aufatmen lässt, dann gute Düfte!

Die nächste Ernüchterung schlug mir entgegen, generisch präsentierte Dutzendware mit den üblichen Empfehlungen der netten Verkäuferinnen. Gesalzene Preise, eingestellte Klassiker.
Beim großen Konkurrenten Marionnaud sah es nicht wesentlich besser aus.

Schon waren wir dabei, das große Einkaufszentrum zu verlassen, da packte mich die Neugier und ich zerrte meinen treuen Mitschnüfler mit ins versteckte Monoprix.
Dort, ganz unscheinbar in einer hinteren Ecke dann der kleine Lichtstrahl.
Ein schlichter Flakon wartete stoisch und selbstbewußt auf Mutige.

Zisch!

Ach komm, wer schuf hier einen köstlichen Neroli Aufheller?
Comptoir Cologne schweigt über den oder die Schaffenden.

Eine sehr warme Orangenblüte reicht mir fruchtige, sonnenverwöhnte Zitronen.
Ein sehr schönes Gelb umringt mich, die Nähe zu Spanien ist nicht von der Hand zu weisen.

Und schon gesellen sich würzige und holzige Eindrücke, färben leicht mit Ocker.
Thymian? Rosmarin?
Wenn, dann sehr fein dosiert und unterstreichend. Ein Hauch Salziges macht das Ganze noch netter.
Prächtig!

Ähnlich zurückhaltend, aber nicht minder gekonnt, federn die gelisteten Holznoten. Doch im weiteren Verlauf klopft das Holz stärker an, der Duft schimmert wie warmer Sand.

Was aber dem Duft noch eine gewisse freche Note verpasst, das ist der Moschus. Leicht blumig, etwas sauber und dennoch sexy, aber nur ein bisschen.

Typisch kölnisch verfliegt die Duftaura recht schnell. Nach etwa einer Dreiviertelstunde zieht sich die Duftwolke zurück, bleibt aber hautnah über ein paar Stunden erhalten.

Alles in allem ein ehrliches Neroli, welches hier sogar von Comptoir Cologne geadelt wird. Soweit würde ich nicht gehen, aber einen republikanischen Orden erhält es von mir auf jeden Fall.

Für diejenigen Skeptiker noch einen Hinweis.
Ja, es ist ein Zitrusduft.
Und hier kann man in ihrem Fall die vermeintliche putziwutzi Assoziation recht leicht erstellen, wenn man möchte, aber nur in den ersten Augenblicken nach dem Aufsprühen.

Doch für Kölnisch-Überzeugten ist diese Erfrischung recht schön gemacht, insbesondere die Würze überzeugt mich.
Nach etwa zwei Stunden ergeben alle Dufteindrücke eine sehr stimmige und warme Umarmung.
Es ist einer dieser netten Düfte, welche nicht protzen oder durch komplizierte Zusammensetzung sich abheben wollen. Nein, dieses Neroli ist die Orangenblüte von nebenan, mit der man Pferde stehlen kann. Ein warmes Lächeln, das einem diese gewisse Zuversicht einhaucht.
Bloß nicht den Kopf hängen lassen!

Der Flakon ist erstaunlich schön geraten, auch qualitativ einwandfrei. Das Etikett ist sogar geriffelt und sehr klassisch gehalten.
Hält man die Pulle in der Hand, spürt man, dass sie gut wiegt.
Kappe und Sprühkopf sind aus schwarzem Plastik aber prima verarbeitet.

Über den Preis kann ich nur staunen.
Als Vergleich: eine gute und große Tarte au Citron (die mit den ach so überflüssigen Medaillons aus dunkler Schokolade als Garnitur) kostet etwa genau so viel.
(Ein Tipp von mir, beide harmonieren bestens!)

Dieses Neroli wird mich brav nach Hause begleiten, so viel steht fest.

Und nun zum Titel dieser Rezension.
Jenseits aller gesellschaftlichen Umstürze schafften wir am Strand anschließend uns über die Bande deutsch-französischer Freundschaft wieder das Lachen unter der Sonne zu zaubern.
Jeder sollte in der jeweiligen Fremdsprache ein Lied singen, welches noch im Gedächtnis geblieben war.
Auf deutscher Seite punktete Françoise Hardy mit „Tous les garçons et les filles“.
Tja, und Udo Jürgens scheint jenseits des Rheins immer noch in so manchem Erinnerungskästchen es sich gut gehen zu lassen.

So, noch ein paar Sprüher und dann weiter mit dem Meeresrauschen!

Salut à tous und bis bald!
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