Fleurs de Bulgarie 1845

Venice
14.11.2012 - 16:56 Uhr
10
Sillage
10
Haltbarkeit
2
Duft

Es war einmal...

Der Duft "Fleurs de Bulgarie" wurde von James Creed im Jahre 1845 für Königin Victoria geschaffen. Im Mittelpunkt dieses Duftes steht die Rose, die auf einer wirkungsvollen Basis aus Ambra und Moschus in Szene gesetzt wird; anno dazumal wurden noch echte, natürliche Ingredienzien, also echtes Ambra und echter Moschus, verwendet, heute sind diese Stoffe aus Umweltverträglichkeitsgründen durch synthetische Riechbausteine ersetzt worden. Der Rest ist aber authentisch aus dem 19. Jahrhundert. Kaiserin Sisi von Österreich war so begeistert von "Fleurs de Bulgarie", dass sie James creed zu ihrem Hofparfumeur ernannte. Später wurde für sie dann der Duft Fantasia de Fleurs kreiert, der heute, aller IFRA- bzw. EU-Bestimmungen zum Trotz, ebenso wie FDB noch nahezu in derselben Form wie damals erhältlich ist.

Halt! Stop! Das liest sich zwar schön, und Menschen mit einem Hang zum Historischen, zur Nostalgie - Menschen wie ich also - lesen so etwas gern. Aber es ist eben nur ein Marketingmärchen - eines von vielen. Nun wurmt es mich natürlich, dass ausgerechnet ich, der sich doch für den größten Paranoiker, wenn es um PR-Geschwurbel geht, hier auf Parfumo hält, so einem Nonsens auf den Leim gegangen bin.

Wie verhält es sich nun mit dem Hause Creed? Soviel ist wahr, es war im 19. Jahrhundert Hoflieferant sämtlicher europäischer Königshäuser - aber nicht für Parfüm, sondern für Bekleidung. James Creed begründete im 18. [sic!] Jahrhundert die Maßschneiderdynastie Creed und machte sich, wie erwähnt, in der Folgezeit einen Namen. Für Creed-Parfums gibt es keinerlei Belege. Creed trat als Parfumhaus erstmals vor rund 30 Jahren in Erscheinung mit dem Duft Green Irish Tweed aus dem Jahr 1986..

Aber nun zum Duft: Ich hatte schon einmal einen Kommentar dazu verfasst, der aber um diese ganze Story um Historizität, Queen Victoria usw. aufgebaut war. Das kann ich ja wohl nicht länger verantworten. Ich schrieb zum Duft, er sei muffig, kratzig, hart, spitz, seifig. Alles nicht besonders schmeichelhaft für einen Duft, der selbst auch keinerlei Schmeichlerqualitäten hat. Mein Fazit lautete: "Ein Duft, der nicht nur historisch ist, sondern auch so riecht". Das muss ich modifizieren: Ein auf retro getrimmter, seifig-kratzig-muffiger Rosenduft, der aus Leibeskräften dieses anscheinende Marketingmärchen vom Signaturduft Queen Victorias bezeugen will. Aber ohne diese Gloriole der Historizität, wie ist ein solcher Duft dann zu beurteilen? Ich hatte ihn für untragbar befunden, hielt ihn aber für eine interessante Erfahrung, wie Parfüm wohl damals roch. Das Parfum hatte für mich einen Geschichtlichkeitsbonus, der fällt selbstverständlich jetzt weg. Was bleibt übrig? Ein altbackscher, kalter, seelenloser Duft, der in etwa den Wert eines gefakten Museumsstücks hat. Wenn jemand ein historisches Auto nachbaut, es mit Gebrauchsspuren versieht, womöglich einen kaputten Motor einbaut und das "gute Stück" dann teuer verkauft, bietet er nichts an als eine Geschichte, zumal das Auto ja nicht zu gebrauchen ist. Mit FDB verhält es sich nicht ganz so drastisch, immerhin lässt sich der Saft aufsprühen und - theoretisch zumindest - tragen. Aber der gewollt antiquierte Charakter dieses Duftes, dessen Machart als steifer, spitziger Kratzrosenseifenduft führt dazu, dass er sich nicht so ohne weiteres mehr tragen lässt, es sei denn, jemand steht wirklich darauf.

Ja, dieser Rosenduft ist nicht kühl, sondern kalt. Die Rosennote ist ähnlich der in Rose Barbare, allerdings bringt der Guerlain-Duft eine gewisse Cremigkeit, eine sinnliche Komplexität mit, bei aller Retroanklänge. FDB hat dagegen eine statische, stählerne Haptik, ein eisiges oder eisernes Ungetüm, das nicht im geringsten mit der Haut verschmilzt, es fühlt sich eher an, als kleide man sich in eine Rüstung. Im Grunde sagt das Attribut "seifig" noch nichts über die Starre und Strenge dieses Duftes aus, es impliziert einen Sauber-Aspekt, den der Duft nicht unbedingt bietet. Quel Amour von Annick Goutal riecht nach Rosenseife, und das kann ja ganz angenehm sein. FDB riecht nicht eigentlich nach Seife. Es geht über Sauberkeit und Reinheit im hygienischen Sinn hinaus, vielmehr lässt der Duft an Pensionsvorsteherinnen aus viktorianischer Zeit denken. Oder an Fräulein Rottenmeyer aus "Heidi". Es scheint, dass man sich bei Creed der negativen Vorstellungen der viktorianischen Zeit bedient hat.

Mein aktuelles Fazit: Der Duft ist ganz auf die Geschichte ausgerichtet, mit der er verkauft wird. Sein Wert steigt und fällt mit dieser Geschichte. Stellt sie sich als Lüge heraus - und als das hat sie sich herausgestellt - kann man diese Kreation als seelenloses, auf alt getrimmtes Machwerk verwerfen. "Seelenlos" war bisher übrigens für mich das stichwort zu den Creed-Düften, die ich bis dato getestet hatte; aber zur sonstigen Creed-Parfümerie maße ich mir kein abschließendes Urteil an, da ich die anscheinenden Parfumlegenden dieses Hauses - Bois de Portugal, Himalaya, das oben genannte Green Irish Tweed - nicht unter der Nase hatte.

Und ein weiteres, persönliches Fazit kann ich aus dieser Geschichte um eine Geschichte für mich ziehen: Man - in diesem speziellen Fall also ich - ist anfällig für PR-Poesie, wenn sie einem erzählt, was man gerne hört. Man glaubt, was man glauben will. Ich persönlich war nun immer, lange vor Parfumo, neugierig auf historische Parfumkunst, fragte mich, wie Düfte damals wohl gerochen haben. Da traf ein derart mit Geschichte aufgeladenes Parfum natürlich ins Schwarze. Lügen ist ja an sich etwas Schlechtes, aber es gibt moralische Motive, mit denen es sich rechtfertigen lässt. Vielleicht war das Haus creed in einer Krise und brauchte das Geld, was weiß ich. Am Duft ändert das freilich nichts, der hat sich als historisches Kostüm für einen Werbelauf herausgestellt, als antiquiertes Ungetüm, das in der Zeit, aus der es zu sein vorgibt, so oder so ähnlich vielleicht nie existiert hat. Aber noch einmal wage ich mich nicht mit historischen Diagnosen vor...

PS: Danke an Jifat für die großzügige Probeabfüllung.

PPS: Mit der Bewertung gehe ich nach reiflicher Überlegung und da der angesprochene Bonus wegfällt runter auf 20 %.

Und noch ein Postskriptum: Den letzten Absatz vor dem Fazit habe ich später hinzugefügt, die Duftbeschreibung kam bei meiner empörung über Creed zu kurz;-).
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