Kayliz
07.09.2016 - 11:11 Uhr
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Top Rezension

Uncle Bob Is Not Amused

Mein Großonkel lebte schon seit über fünfzig Jahren in der Psychiatrie, als ich ihn in der Kindheit mit meiner Mutter besuchte. Als Mitbringsel wünschte er sich immer Bananen und Condensed Milk.

Manchmal zu meiner großen Freude löffelte dieser sanfte, dünne alte Mann mit den Einsteinhaaren die Condensed Milk in unserer Anwesenheit direkt aus der Dose, da vor uns am Tisch, bis die Dose leer war. Sonst war er oft zerstreut, leicht abwesend, manchmal nervös wie ein misstrauischer Gartenvogel, der weiß, die Katze ist nie weit weg. Bei der Condensed Milk war er aber anwesend, völlig bei sich und bei uns, er war einfach wieder da. Es war wie Magie.

Condensed Milk, fällt mir gerade ein, sollte man nicht mit deutscher Kondensmilch verwechseln. Das nennt man auf Englisch evaporated milk. Condensed milk ist sehr viel dicker und fast unvorstellbar süß. Als Kind fand ich die Condensed Milk-Momente von Uncle Bob zum Teil deswegen so faszinierend, weil das etwas Verbotenes war, was er da tat. Condensed Milk direkt aus der Dose! Unerhört unartig war das. Und trotzdem hatten diese Momente etwas Heiliges an sich. Eine heilige Transgression.

Ich schweife ab... Demeter aber auch, denn das hier ist keine Condensed Milk. Es ist süß, es ist leicht karamellig, aber es hat leider auch einen großen Anteil Plastik. Das gehört zur Condensed Milk nicht dazu. Einen leichten Metallgeschmack hätte ich eher in Kauf genommen -- condensed milk findet man fast nur als Dosenkonserve --, meinetwegen auch den flüchtigen Feuchtgeruch einer Speise, die einen Tick zu lang im Kühlschrank aufbewahrt wurde. Denn es gibt nur wenige Menschen, die eine ganze Dose Kondensmilch auf einmal essen können.
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