Giorgio for Men 1984 Eau de Toilette

Unruh
02.08.2021 - 15:52 Uhr
32
Hilfreiche Rezension
9
Preis
6
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
8.5
Duft

"Damals...

...war Vieles besser - und aus Holz!" hörte ich meine Altvorderen oft sagen, mit einem ironischen Augenzwinkern beim zweiten Satzteil.
Denn ja, früher war nicht alles besser. Manches war besser, Vieles war einfacher, manches war auch sehr schlimm.
Doch hinsichtlich der Düfte ist für meine Nase fast alles damalige besser als heutiges.

Ich bekenne mich frank und frei zu einer gewissen Nostalgie hinsichtlich meines Kindheitsjahrzehnts. Schulterpolster, übergroße Blazer, Jogginganzüge in sehr schlimmen Farben, Bands wie The Cure, Duran Duran, Erasure, New Order, Depeche Mode legten Grundsteine für die Schwarze Szene, wir schickten Pakete an die Verwandtschaft "drüben", im Fernsehen Rick Simon, Michael Knight, Thomas Magnum - Männer mit genug Brusthaar, um den Bochumer Hauptbahnhof damit auszulegen und soviel Testosteron, ein mittleres Hirschrudel in die Brünftigkeit zu treiben, es gab den guten Ami und den bösen Russen, in den Sommerurlaub fuhr man nach Italien, Spanien oder Griechenland (mit dem Auto!), für die Hausaufgabenrecherche ging es in die Stadtbibliothek, statt Netflix fuhren wir Freitagabend in die Videothek, Filme rein nach dem Cover und der Beschreibung aussuchend, die Gendermerkwürdigkeiten waren in weiter Ferne und der Klimawandel noch eine theoretische Randnotiz weniger Forscher.
Rückblickend herrschte, trotz erster Aufbruchsversuche, ein fürchterlich starrer Wertekonservatismus, der viele gesellschaftliche und politische Entwicklungen bremste, und doch damals ein vermeintliches Gefühl der Stabilität und Sicherheit vermittelte.

Und genau hier befinde ich mich jetzt mit Giorgio. Klingt italienisch, riecht aber für mich amerikanisch, wie der Zusatz "Beverly Hills" unterstreichen mag. Mit Italien verbinde ich eine Leichtigkeit des Seins, zarte Zitrusnoten auf einem Bett aus moosiger Würze. Giorgio dagegen drückt dir den vollen Garten in den Riechkolben, alles was da wächst, Rosen, Nelken, Orangen, mit Strunk und Stiel, mit Blatt, Blüte und Wurzel, dazu diverse Hölzer, ein Bienenstock wurde ebenso geplündert.
Stilbildend ist für mich hier vor allem der Dreiklang aus Aldehyden im Kopf, Patchouli im Herzen und Eichenmoos in der Basis. Der findet sich in vielen Düften dieses Genres.

Ein maskuliner Duft durch und durch, herb, kantig, komplex. Vielseitig, manchmal etwas zu laut. Nix mit Unisex, hier ist ein Mann ein Mann, kein Macho, aber selbstbewusst und bodenständig.
Diese Dreifaltigkeit mit dem vielfältigen, aromatischen, herb-grün-würzigem Potpourri kriecht mir in die Nase, legt sich um mein Hirn und dreht die Zeit zurück. Ich sitze neben B.A. Baracus im GMC-Van, jage mit ALF die Katze oder entdecke mit Peter Lustig die Welt. Damals, als Vieles noch einfacher war, die Guten immer gewonnen haben und meine größte Sorge war, dass Mama nicht zu doll wegen des Lochs in der Hose schimpft.

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