Top Rezension
Wie Duft "erzählt"
Einen Duftporträt-Versuch verkneife ich mir, nach allem, was die Vorschreiber/innen schon Treffendes formuliert haben. Nur ein paar Impressionen und Gedankensplitter zu diesem wunderbaren Duft möchte ich zur Diskussion stellen.
Ich knüpfe an Profumos Text an: Fragil? Melancholisch? – Einspruch, Euer Ehren!
Das Plädoyer beginnt mit einem Versuchsbericht.
Experiment Vergleichsriechen:
Ein grauer Tag. Regenpause. Undine, den Duft am linken Arm, flitzt in den nassen Garten. Es ist Januar, aber mild, und in Nasenmenschen-Gärten wird durchgeblüht. U. geht rund, schnüffelt – die würzige Süße der Winterblüte (Chimonanthus praecox), das Honigaroma der Fleischbeere (Sarcococca humilis) liegen in der Luft. U. schiebt den Jackenärmel hoch, schnüffelt am Arm. Schüttelt den Kopf. Schnüffelt vorm Kräuterbeet: Lavendel, Thymian, Rosmarin, Ysop, Salbei, Zistrose. Noch ein paar Schritte, noch ein Schnüff: Erde, moderndes Falllaub, feuchte Baumrinde, Gras, Farn, Moos, dürres Gezweig. U. dreht den Kopf nach links, lässt den Ärmel unten, nickt. Schüttelt den Kopf. Guckt verwirrt. Geht – es regnet wieder – zurück ins Haus.
Auswertung 1 – Fakten:
1. Unnötig, den Ärmel aufzukrempeln, der Duft entwischt mit Houdini-Tricks ins Freie. Der leise Geselle ist ganz und gar nicht "fragil", sondern erstaunlich kraftvoll, beweglich, präsent.
2. So stark die Assoziation auch ist, die der Duft weckt – "blühende Landschaft, angefeuchtet" riecht in der Realität völlig anders.
Auswertung 2 – Fragen:
1. Kein olfaktorisches Abbild des Wirklichen, nicht das kleinste geruchliche Zitat. Dennoch diese Wirkung – wie kommt das?
2. Der Duft "sagt" mir etwas, berührt mich. Aber warum? Und wie? Er beschwört aquarellige Farbeindrücke herauf, leise Klänge und Stimmen. Aber wort- und bilderlos, verweht, verwischt, seltsam ungreifbar – welche Geschichte erzählt er?
Auswertung 3 – Hypothesen:
Es dauert, bis der Groschen fällt (da ist das Pröbchen schon fast leer):
Der Duft ERZÄHLT keine Geschichte. Er IST die Geschichte.
Eine Geschichte, zu der der Name des Parfums zwar den Weg weist, die aber ausschließlich in der "Sprache", im Medium des Duftes lebt – so schwerelos und flüchtig wie dieses, unübersetzbar. Material und Ausdruck, Stoff und Gestaltung fallen zusammen, sind eins.
Der Duft stellt hellen, lieblichen (Blüten-)Aromen herbe Noten gegenüber, Dux und Comes, einander antwortend wie im musikalischen Kontrapunkt. Bittersüß. Aber der Verlauf hat ein Ziel. Und ist so kein bisschen melancholisch – weil nämlich (ich borge mir mal Turandots schöne Formulierung) "der Blütenzauber des Heliotrop für den Ausklang aufbewahrt wurde". Wer den Duft trägt, genießt neben der Freude über die aparte, fein ziselierte Duftnoten-Polyphonie zugleich Vorfreude aufs Finale: Lichter, heiterer, zärtlicher könnte es nicht sein.
Um das Plädoyer zu schließen, rufe ich die Literatur in den Zeugenstand. Ein japanisches Haiku (gefunden in dem Insel-Bändchen "Bambusregen"):
"Frühlingsregen fällt,
und alles, was da grünt, hat
plötzlich seinen Namen."
Nein, das ist nicht die Duft-Geschichte. Jedenfalls nicht die ganze. Aber es gehört unbedingt dazu.
Einspruch stattgegeben, Euer Ehren? ;-)
Ich knüpfe an Profumos Text an: Fragil? Melancholisch? – Einspruch, Euer Ehren!
Das Plädoyer beginnt mit einem Versuchsbericht.
Experiment Vergleichsriechen:
Ein grauer Tag. Regenpause. Undine, den Duft am linken Arm, flitzt in den nassen Garten. Es ist Januar, aber mild, und in Nasenmenschen-Gärten wird durchgeblüht. U. geht rund, schnüffelt – die würzige Süße der Winterblüte (Chimonanthus praecox), das Honigaroma der Fleischbeere (Sarcococca humilis) liegen in der Luft. U. schiebt den Jackenärmel hoch, schnüffelt am Arm. Schüttelt den Kopf. Schnüffelt vorm Kräuterbeet: Lavendel, Thymian, Rosmarin, Ysop, Salbei, Zistrose. Noch ein paar Schritte, noch ein Schnüff: Erde, moderndes Falllaub, feuchte Baumrinde, Gras, Farn, Moos, dürres Gezweig. U. dreht den Kopf nach links, lässt den Ärmel unten, nickt. Schüttelt den Kopf. Guckt verwirrt. Geht – es regnet wieder – zurück ins Haus.
Auswertung 1 – Fakten:
1. Unnötig, den Ärmel aufzukrempeln, der Duft entwischt mit Houdini-Tricks ins Freie. Der leise Geselle ist ganz und gar nicht "fragil", sondern erstaunlich kraftvoll, beweglich, präsent.
2. So stark die Assoziation auch ist, die der Duft weckt – "blühende Landschaft, angefeuchtet" riecht in der Realität völlig anders.
Auswertung 2 – Fragen:
1. Kein olfaktorisches Abbild des Wirklichen, nicht das kleinste geruchliche Zitat. Dennoch diese Wirkung – wie kommt das?
2. Der Duft "sagt" mir etwas, berührt mich. Aber warum? Und wie? Er beschwört aquarellige Farbeindrücke herauf, leise Klänge und Stimmen. Aber wort- und bilderlos, verweht, verwischt, seltsam ungreifbar – welche Geschichte erzählt er?
Auswertung 3 – Hypothesen:
Es dauert, bis der Groschen fällt (da ist das Pröbchen schon fast leer):
Der Duft ERZÄHLT keine Geschichte. Er IST die Geschichte.
Eine Geschichte, zu der der Name des Parfums zwar den Weg weist, die aber ausschließlich in der "Sprache", im Medium des Duftes lebt – so schwerelos und flüchtig wie dieses, unübersetzbar. Material und Ausdruck, Stoff und Gestaltung fallen zusammen, sind eins.
Der Duft stellt hellen, lieblichen (Blüten-)Aromen herbe Noten gegenüber, Dux und Comes, einander antwortend wie im musikalischen Kontrapunkt. Bittersüß. Aber der Verlauf hat ein Ziel. Und ist so kein bisschen melancholisch – weil nämlich (ich borge mir mal Turandots schöne Formulierung) "der Blütenzauber des Heliotrop für den Ausklang aufbewahrt wurde". Wer den Duft trägt, genießt neben der Freude über die aparte, fein ziselierte Duftnoten-Polyphonie zugleich Vorfreude aufs Finale: Lichter, heiterer, zärtlicher könnte es nicht sein.
Um das Plädoyer zu schließen, rufe ich die Literatur in den Zeugenstand. Ein japanisches Haiku (gefunden in dem Insel-Bändchen "Bambusregen"):
"Frühlingsregen fällt,
und alles, was da grünt, hat
plötzlich seinen Namen."
Nein, das ist nicht die Duft-Geschichte. Jedenfalls nicht die ganze. Aber es gehört unbedingt dazu.
Einspruch stattgegeben, Euer Ehren? ;-)
5 Antworten

Was ein wunderschöner Kommi und witzig: Vor drei Tagen habe ich Haikus für mich entdeckt :-)

ja, dieser Einspruch wird gehört und will unbedingt überprüft werden. Ich bin so neugierig auf diese vielversprechenden Geschichten. Danke, Undine, du hast Interesse geweckt und dir einen Pokal verdient, hier ist er!

Après L'ondée ist für mich auch ein 100%er. Er erzählt mir jedes Mal, wenn ich ihn trage, eine andere faszinierende Geschichte. Und ich finde ihn immer perfekt. Deinen Kommentar übrigens auch.

Mal gucken, ob ich in die Abonnenten-Jury aufgenommen werde.

Schade, da ist dir was Schönes entgangen *lach*. Bei mir hält der Duft hervorragend - ein Arbeitstag ohne Nachsprühen ist locker drin.