L'Heure Bleue 1912 Eau de Toilette

Aventurin
07.11.2018 - 16:22 Uhr
41
Top Rezension
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft

Die Schönen und Verdammten

Einige Bücher lese ich in unregelmäßigen Abständen immer wieder, dazu gehört der wunderbare autobiographische Roman „Die Schönen und Verdammten“ von Francis Scott Fitzgerald.

Im Mittelpunkt dieser bewegenden Geschichte stehen Gloria Gilbert und Anthony Patch. Zwei schillernde Figuren, eigenwillig und begabt, Wanderer zwischen Leid und Lust, Leere und Lebensdurst, Abstürzen und Hoffnung. Sie lieben den stürmischen Herzschlag der Metropole und die prächtigbunte Palette der Schönheit, versinken im Traum von Reichtum und Freiheit und den wilden, nicht enden wollenden Nächten der glamourösen Zwanzigerjahre. Sie sind das strahlende Sternenpaar jeder Party, sie leben und feiern dekadent und freizügig.
Da beide dem gewöhnlichen Alltag und einer konventionellen Beschäftigung wenig abgewinnen können und überhaupt kaum Freude am Arbeiten, dafür umso mehr am Konsumieren haben, stagniert der Fluss des großen Geldes, stattdessen fließen reichlich Tränen und reichlich Alkohol.

L’Heure Bleue ist ein Duft, der zu dieser extravaganten Welt passt - nicht, weil er das lärmende Flackern ungezähmter Tanzschritte auf schwarzglänzendem Parkett einfängt, sondern weil in ihm der ganze Rausch von Eskapismus und Realität, Licht und Schatten wirbelt.
Er enthüllt veilchenblaue Traumlandschaften, untermalt herbe Tragik,
leuchtet blasskupfrig und weißgold, ist bitter und trocken, blumig und pudrig, komplex und zärtlich-geheimnisvoll verwoben.
Er ist ein besonderer, ein einprägsamer Duft, dessen opulente Nelkennostalgie sicher nicht jedem behagt, er ist kein Duft für nüchterne Askese, er ist einer, den man geduldig ergründen muss, um seinen Zauber zu erfassen.
Er läutet das Ende eines Tages und den Anfang des nächsten ein, sommerwarme Nachtmagie und herbstliche Morgenmelancholie, wenn die Stunden der Reue und die des Nachdenkens anbrechen, wenn die Gläser geleert und die Füße wundgetanzt sind.
Wenn die blasse Sonne durch graue Wolkenstreifen gebrochenen Glanz und versehrte Herzen entschleiert, aber die Dämmerung zurück in die blaue Weite führt, Hand in Hand, jeden Tag aufs Neue, erhellt von Kronleuchtern, Kerzenschein und hungrig lauernden Seelen.
Ein Duft so speziell und faszinierend wie Gloria und Anthony und ihr ganzer farbig-abgründiger Kosmos.

Und wenn Gloria Guerlains Schicksal lenkte, gäbe es diesen großen Klassiker vielleicht nicht mehr, denn als Anthony sie fragt „Willst du das Alte denn nicht bewahren?“, antwortet sie „Das kann man eben nicht, Anthony! Alles Schöne wächst nur bis zu einer gewissen Höhe, dann fängt es an zu kümmern, vergeht und dünstet im Vergehen Erinnerungen aus. Und so wie jeder geschichtliche Zeitabschnitt in unseren Köpfen vergeht, sollten auch die zu diesem gehörenden Zeitabschnitt gehörenden Sachen vergehen; auf diese Weise werden sie noch eine Weile in den wenigen Herzen bewahrt, die dafür empfänglich sind – in meinem beispielsweise.“

L’Heure Bleue vergeht nicht, er bewahrt seine Schönheit und wächst weiter, wie alles Gute und Kostbare, das zum Bleiben und Wachsen bestimmt ist und manche Herzen in allen Zeiten erreichen wird.
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