DerDefcon
28.07.2019 - 10:10 Uhr
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Top Rezension
8Duft 9Haltbarkeit 7Sillage 6Flakon

Balsamischer Orientalismus

Was für eine seltsame Überschrift, dürfte so mancher von euch vielleicht denken. Ich gebe zu, dass dieses "alismus" als Anhängsel am Nomen "Orient" etwas extrem klingt. Wir kennen es von den Worten "Fundamentalismus", "Extremismus" und ähnlichen, die nicht selten negative Assoziationen hervorrufen. Hier soll der sogenannte "Orientalismus" aber keinesfalls negative Gefühle oder Denkweisen forcieren - nein - viel eher möchte ich mit diesem Wort hervorheben, dass dieser Duft, "Ambre 114", den Orient so präsentiert, wie ihn der durchschnittliche Mitteleuropäer sich ganz klassisch vorstellt.
Der Auftakt ist durch eine sehr authentische und insbesondere intensive Muskatnote gekennzeichnet, bei der mir umgehend das Wasser im Mund zusammenläuft. Nach geschätzten drei Minuten wird diese vom Thymian buchstäblich überrannt, ist jedoch beim konzentrierten Riechen noch immer vernehmbar. Das Gehirn rattert, diverse Vorstellungen bezüglich des Orients werden hervorgekramt, entsprechend kommt es unweigerlich zu Imaginationen, die den Träger in die Mitte eines großen Gewürzbasars versetzen. Diese Kopfnote ist schon von sich aus unglaublich aromatisch, überhaupt nicht schwülstig, wie man es von manchen Orientalen kennt, die es nicht selten auch etwas mit der Würze übertreiben. Die Würze hier hingegen ist ausgewogen und wird durch das Einsetzen der Herznote durch eine dezente Rosennote und einsetzendem Patchouli untermalt. Rose und Patchouli scheinen hier jedoch nur Beiwerk zu sein, das dann durch die Basisnote vollkommen in den Hintergrund gerät. Amber, Vanille, ebenso auch Tonkabohne und Benzoe verpassen der würzig-aromatischen Atmosphäre ein wenig Pfiff. Die Vanille und die Tonkabohne bringen ein wenig Süße mit ins Spiel, die jedoch niemals klebrig-penetrant daherkommt. Sorge dafür tragen die noch immer anhaltende Thymiannote sowie das allseits bekannte Benzoeharz, das sich durch ein balsamisches Auftreten bemerkbar macht. Hat mich diese Sorte von Harz beim vielseits gefeierten "Grand Soir" von Maison Francis Kurkdjian noch überfordert, wurde es hier genau richtig dosiert. Ich vernehme keine medizinische oder gar synthetische Note, sondern Luftigkeit, die durch den balsamischen Charakter jenes Duftbausteins entsteht. Der in der Basisnote ebenfalls vorkommende Amber rundet jene würzig-süß-balsamische Komposition durch eine etwas trockene, wenn nicht gar pudrige Note ab. Dabei wird mit der Pudrigkeit jedoch keineswegs übertrieben - nein - es wurde auch hier gründlich auf die Dosierung geachtet. Zusammen mit der Kombination aus Amber und dem nicht zu vernachlässigenden Moschus entsteht so eine sehr warme, irgendwie organische, Vertrauen erweckende Süße, die jedoch nur geringe Züge des Animalischen aufweist, entsprechend nie unangehm in Erscheinung tritt, dafür jedoch sehr warm daherkommt und eine balsamisch-würzige Unterstützung erfährt, um dann zusätzlich noch durch das authentische Vanille-Tonkabohnen-Spiel an Begehrlichkeit zu gewinnen.

Vielleicht versteht ihr jetzt, was ich mit meinem "Balsamischen Orientalismus" meine. Es handelt sich um einen Duft, der einen wirklichen Duftverlauf tatsächlich durchmacht. Am frühen Nachmittag schlendert man vielleicht über den Basar, lässt sich geschmacklich sowie olfaktorisch verwöhnen, während man auf dem Heimweg, so am späten Nachmittag, noch Blumen für die Liebste besorgt, welche bei der Ankuft daheim dann doch recht schnell in der Ecke landen, um sich dem Zwischenmenschlichen, der Liebe, dem Kuscheln zu widmen, jedoch ohne dabei sein Umfeld zu belästigen - ja, auch sowas soll es noch geben. Tatsächlich ist die Sillage nämlich sehr moderat und nichts, was irgendwann für die eigene Nase oder auch für die anderer Menschen zur Belastungsprobe wird. Die Leidenschaft an sich jedoch, an welcher man sich erfreuen kann, hält dafür umso länger an und genau diese Leidenschaft ist es, die Liebhaber von Amber, Moschus, Vanille und Würze zu schätzen wissen werden, sobald sie diesen Duft ausprobieren. Statt "Balsamischer Orientalismus" könnte somit auch "Leidenschaftlicher Orientalismus" diesen Kommentar einleiten, doch kann es halt immer nur eine große Überschrift geben.
3 Antworten
IntersportIntersport vor 2 Jahren
Ja das trifft es sehr gut, fuer mich ein lupenreiner, westlicher Orientalismus, und dabei fein gemacht.
AxiomaticAxiomatic vor 3 Jahren
Welch treffliche Duftbeschreibung!
Ich habe den Duft genau so erfahren.
Sehr schöner Text!
🏆
FlirtyFlowerFlirtyFlower vor 6 Jahren
Balsamischer Orientalismus :) Das gefällt mir :) Pokal für dich