L'Eau d'Issey 1992 Eau de Toilette

VerMoegla
16.04.2021 - 08:20 Uhr
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Sehr hilfreiche Rezension

Das entrückte Wesen am Opernplatz

Eines Tages wurden mein Bruder und ich von unseren Großeltern zum Besuch einer Oper eigeladen. Hänsel und Gretel. Ich habe diese Aufführung zwiespältig in Erinnerung. Als Kinder, die sonst in einem 200-Seelen-Dorf ihre Zeit damit verbrachten fragwürdige Experimente an elektrischen Weidezäunen durchzuführen, war das Leipziger Opernhaus eine beeindruckende Umgebung. Auf dem Rückweg erörterte unser Großvater die Möglichkeiten noch einen Abstecher in eine nahegelegene Bar machen zu können, ohne uns allein in ein Taxi auf den Rückweg setzen zu müssen. Als wir an diesem regnerischen Herbstabend unschlüssig auf dem Augustusplatz herumstanden, wurde eine großgewachsene Frau mit wilden dunklen Locken auf uns Kinder aufmerksam. Sie blickte uns von der Seite an und grüßte uns vorsichtig. Wie sich herausstellte, war sie eine Freundin meiner Eltern, die uns von früheren Besuchen vage bekannt war. Da sie in dieselbe Richtung musste, nahm sie uns in ihrem Taxi mit und mein Großvater konnte beruhigt seiner Wege gehen. Wir Kinder saßen derweil mit der Freundin meiner Eltern im Taxi und fuhren durch den Herbstregen. Mir ist diese Erinnerung so plastisch im Gedächtnis geblieben, weil diese Frau ein Parfum trug. Ich vermute, es war dieser Duft von Issey Miyake, den auch meine Mutter sich eines Tages kaufte. Es war ein gleißend heller silbriger Dut, als würde man kalte frische Luft einatmen und gleichzeitig ersticken. Diese in einen dunklen Mantel gehüllte Frau, die stumm lächelnd neben mir auf der Rückbank saß, verkörperte mit ihrem Duft für mich Reife, Schönheit, Sicherheit und Gefahr zugleich. Dieser Geruch war so schön und fremd für mich dass er sie zu einem der Realität entrückten Wesen machte. Sie schien durch ihn zu schweben.
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