Jean-Charles de Castelbajac 1982 Eau de Cologne

Souhsza
06.11.2018 - 18:52 Uhr
9
Sehr hilfreiche Rezension
7.5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9.5
Duft

Der Ganovenduft

J-C d C war der Signaturduft meines Vaters.

Dank der mir von Inse geschenkten Probe, die mich unglaublich gefreut hat und der beste Willkommensgruß bei Parfumo überhaupt war, kann ich die Erinnerung an meinen vor Jahrzehnten verstorbenen Vater wiederauferstehen lassen.

Ich nehme eine Nase voll und bin 30 Jahre zurückversetzt. Es ist sozusagen so, als ob mich die alte Zeit im Bruchteil einer Sekunde wieder umgibt. Eine Zeitreise initiert mit etwas so kleinem unscheinbarem, wie einem Fläschen von Menschen zusammengebrauter Flüssigkeit.

Mein Vater in seinen karierten Hosen mit Schlag sehr souverän vor unserem Haus stehend. Lino Ventura auf Gangsterjagd in Paris mit seinem Citroen DS 20 olivgrün-metallic im Fernsehen. Der Cousin meines Vaters in seinen schwarz-weißen Schlangenlederstiefeletten und dunkelblauem Blazer aus feinstem Tuch eintretend - einer Bekleidung die ihn nicht zuletzt als Repräsentant eines im Saarland verbreiteten Milieus zu Bergarbeiterzeiten kenntlich machte, ihm aber auch etwas verrückt-herrschaftliches gab (Lapo geh nach Hause) -. Das Auftreten meines Vaters zu bestimmten Anlässen, z.B. zur Produktenbörse in Anzug und Krawatte, auf Familienfesten wie den Kommunionen meiner Cousinen in bester Sonntagskleidung, in späteren Jahren mit Fliege. Ich habe ihn nie in einer Jeans gesehen, immer nur in Stoffhosen. Er mit ein paar Mitarbeitern auf Abwegen in den gut bekannten, gut frequentierten und allseits beliebten Bars, einem Paralleluniversum nur für Männer mit viel Bier als Vergnügensbooster. Mein Vater mit Seidentüchlein in der kleinen oberen Seitentasche seines Sakkos, mal rot mal blau gemustert. Diese französisch anmutenden Männergesichter mit dunklen Haaren und manchmal auch Locken auf dem Haupt. Meinen Onkel mit seinen Koteletts. Uns essend Schnecken, Frösche, moule farcie. Rotwein und savoir vivre.

Ich rieche den Duft unglaublich gern. Für mich hat er etwas zeitloses, selbstbewußt männliches, nobles, aber auch etwas von einem augenzwinkernden Pokern um, und Stehlen von Freiräume, die man sich provozierend und unverschämt auf Kosten der Frauen, Kinder und Schwächeren nimmt und zum eigenen Erstaunen ohne Sanktionen dann inne hat. Da ist die Erinnerung an meine Kindheit und Jugend in einem extrem männerdominierten Ort mitten auf dem Kohlenrücken in einer machohaften Zeit, die man nur als Außenstehender oder mit Abstand milde belächeln kann, die jedem und jeder, die nicht zu dieser Gruppe arroganter und damit auch etwas dümmlicher Gockel gehört doch ein rechter Albtraum war.

Zwiespältige Gefühle hin oder her...

Recht überlegt ist so ein Signaturduft auch eine Art von Mitgift, eine besonders schöne, weil sinnliche und eine Beständigkeit vermittelnde, die es heute in einer Zeit von Lebensabschnitts-, Sommer- und Winterparfums so gar nicht mehr gibt.

Wie gern hätte auch ich einen Signaturduft, auch zur Erinnerung für meine Lieben. Wäre in unserer mobilen Zeit fast ein besserer, weil leichter erreichbarer Erinnerungsanker als eine Grabstätte.

Wie ich sehe habe ich mich mit diesem Kommentar wohl auf ein ziemliches Glatteis begeben, weil ich heute Morgen eine über fünf Jahre lange treue FollowerIn verloren haben.

Das macht mich traurig.
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