Joy (Parfum) von Jean Patou

Joy 1935 Parfum

loewenherz
05.01.2017 - 15:54 Uhr
38
Top Rezension
8.5Duft 7Haltbarkeit 6Sillage 7Flakon

Löwin auf Lilienfüßen

Vor Jahren las ich die Geschichte einer Chinesin namens Shan Fei, niedergeschrieben von der amerikanischen Journalistin Agnes Smedley. Shan Fei war die Tochter eines reichen Grundbesitzers im vorrevolutionären China - einer Zeit, als für Frauen nichts als Stille und Schönheit galt. Und Schönheit bedeutete damals, dass Mädchen die Füße gebunden wurden - so die euphemistische Umschreibung für das gewaltsame Bandagieren der Zehen unter die Fußsohle, meistens im Kleinkindalter, doch oft genug erst später, wenn Knochen gebrochen werden mussten. Auf diesen vorgeblich so anmutigen 'Lilienfüßen' konnten die Frauen dann nur noch wenige Schritte innerhalb des Hauses gehen - was dem damaligen Patriarchat durchaus willkommen war. Und Shan Fei erzählt von ihrer Mutter, unter deren traditioneller Fassade aus Sittsamkeit und Gehorsam ein aufrührerischer Geist gelebt haben muss. Entgegen den damaligen Gepflogenheiten und unter Zuhilfenahme der einzigen Möglichkeiten, die sie als Frau in jenen Tagen hatte - Bitten, Tränen, Lügen - ermöglichte sie ihrer einzigen Tochter Bildung und zögerte das Binden der Füße hinaus, so lange es ihr möglich war. Sie riskierte unendlich viel damit - auch für die Tochter - galt ein Mädchen mit ungebundenen Füßen doch als entstellt und somit unverheiratbar. Kaum war der Vater tot, wurden die Bandagen abgenommen und Shan Fei auf eine Schule in eine entfernte Stadt geschickt - und mit viel Glück (und ihrer Mutter) entkam sie auch der Zwangsheirat mit einem Gutsherrn, dem sie versprochen worden war.

Ich erzähle diese Geschichte, weil sie von starken und unbeugsamen Frauen handelt - und einem bitter erkämpften späten Glück, das wie goldene Abendsonne auf ihre Gesichter scheint. Und weil Jean Patous Joy - einer der 'Großen Alten' unter den Damenparfums - ein Duft für solche starken und unbeugsamen Frauen ist, ein Parfum voll Zorn und Zärtlichkeit. Er hat die ganze hinreißende und unverwechselbare Süße des namengebenden Duftöls namens Joy, gewonnenen aus den Blüten der Magnolie Champaca, die in Südostasien (und auch im Süden Chinas) wächst. Ich weiß nicht, warum Champaca hier nicht unter den Duftingredienzen aufgeführt wird, denn dies ist ganz unzweifelhaft ein Champaca-Duft - möglicherweise wurde hier nach einer Reformulierung auch versucht, dem Aroma des sehr kostbaren Joys unter Zuhilfenahme anderer Floralakkorde nahe zu kommen. Es ist gelungen, sollte dem so sein. Champaca - und Joy - duften wie helles Gold, fast rauschhaft süß - Jasmin nicht unähnlich. Und er hat - gleich zu Beginn, auch wenn der Zibet erst in der Basisnote genannt wird, und gleich ziemlich unverhohlen - eine viehische Komponente, die an eine Raubkatze erinnert, eine Löwin in der Savannensonne, wie sie das weiche Fell ihrer Jungen leckt. Wie das Leuchten unserer Erinnerungen an Liebe und Geborgenheit, die die Seele nie vergisst - und ein ganz warmer Duft voll Anmut, Stolz und Dankbarkeit. Und wie Shan Fei, als sie Agnes Medley von ihrer Mutter erzählte.

Fazit: 'Joy' heißt natürlich auch einfach nur 'Freude'. Das zu wissen, genügt hier eigentlich auch.
2 Antworten
PoesiefannyPoesiefanny vor 4 Jahren
Deine Duftschilderungen sind eigentlich historische Exkursionen. Vielen Dank dafür und ein gutes Neues Jahr den Loewenherzmenschen ;-) ich trage heute auch Joy, als guten Auftakt für das Jahr der Herzöffnung 2022 - 3mal2 ist 6 und das ist im Tarot die Zahl der Liebenden.
BlauemausBlauemaus vor 9 Jahren
Interessanter Kommi!