Musk for Men 1973 Cologne

Axiomatic
01.09.2022 - 09:17 Uhr
70
Top Rezension
10
Preis
7
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft

Toller Tag für einen Exorzismus

Hier ist sie, die vermeintlich animalische Wunderwaffe der frühen 1970er. Etliche Generationen hat sie geprägt und begleitet. Bezahlbar im Preis, gekonnt einfach in der Komposition. Provokativ in den Anfangsjahren, erstaunlich herausragend im heutigen Angebot.

Zunächst ein paar zeitgeschichtliche Hintergründe.
Ende der 1960er betrachtete ein gewisser Barry Shipp, ein Angestellter bei Revlon, eine lange Warteschlange vor einem Head Shop im New Yorker Stadtteil Greenwich Village. Er fragte nach dem Grund der zeitaufwendigen Kauflaune und erfuhr, dass die Käufer verrückt nach Moschus-Öl waren, ein sagenumwobener Anziehungsgarant in der menschlichen Balz.
Shipp erkannte das enorme Potential einer künstlich erzeugten Variante des Moschus und tat sich mit dem Chicagoer Unternehmer Bernard Mitchell zusammen. Gemeinsam gründeten sie Jovan Inc. im Jahr 1968. Mit an Bord war auch der Lebensmittelchemiker Murray Moscona, ein Spezialist in künstlichen Geschmacksstoffen.
Letzterer schuf auch den hier beschriebenen Duft nach einer einfachen, altbewährten Formel, welche sehr schnell zur Sache kommt und wie folgt verläuft.

Doch zunächst lasse ich mich mit dem ersten Discohit von 1973, „The Love’s Theme“ von The Love Unlimited Orchestra des Sängers Barry White, zeitlich einstimmen.
Ein wenig mit den Hüften wackelnd öffne ich die billige Plastikkappe des recht soliden aber einfachen Flakons und betätige den an Kargheit nicht zu überbietenden Sprühkopfs aus Metall und Kunststoff ohne Verblendung.
Zisch!

Die orangefarbene Zauberformel eröffnet kurzlebig zitrisch und nicht im klassischen Sinn. Etwas Dumpfes bestimmt den Duftverlauf von Anfang an und zensiert die Akkorde. Als würde man einen Film durch Milchglas sehen.
Den Pfeffer bemerke ich extrem feindosiert, nicht zerrieben sondern als ganze Körner. Aber wie gesagt, sehr schwach. Er verleiht dem grobseifigen Eindruck eine leicht scharfe Färbung.
Das gesamte Präludium dauert nur ein paar Minuten, ehe die Gartennelke zur Herznote überleitet. Und hier kommen sehr starke Assoziationen zur Herznote von Tabac Original Eau de Cologne auf.
Lavendel und Amber schaffen den Trick zusammen mit den nicht näher deklarierten Holznoten.
Wenn ich beide Kompositionen vergleiche, fällt es mir nicht schwer zu erkennen, dass man hier Tabac Original zitiert, es gibt sehr viele Überschneidungen der Ingredienzien, einzig die Kamille im deutschen Duft schafft die klare Unterscheidung.

Doch dann legt sich auch gleich eine schwere Moschus-Decke über den mittleren Akkord und übertüncht alle Nuancen.

Peng! That’s what it’s all about, isn’t it?

Bei näherem Riechen erkenne ich aber immer noch ein um Hilfe schreiendes Tabac Original. Wo bleibt der Rettungsring?
Doch hier dröhnen die Bässe des Moschus und ersticken jeden Laut. Barry White läßt die DLRG noch ein Weilchen nichtsahnend tanzen.

Diesen künstlichen Lockstoff hat man im Labor so konzipiert, dass er nicht ganz animalisch erschlägt, eher süßlich und relativ sauber.
Und ja, auch ich erkenne spätestens hier die Blaupause für Lagerfeld Classic Eau de Toilette als Grundgerüst.
Der Fairness halber muss ich aber hier anmerken, dass Ron Winnegrade als gelernter Parfümeur eine weitaus komplexere und hochwertigere Version des Themas nur fünf Jahre später kreiert hat. Bei Lagerfeld Classic sticht vor allem die Iriswurzel mit der Rosengeranie bzw. Rose hervor und erzeugt diese wunderbare pudrige Note. Ganz zu schweigen von der tabakhaltigen Basis, die beim Jovan-Duft fehlt.

Doch zurück zum balzenden Moschus. Der wird ab der Mitte des Duftverlaufs von einer sehr subtilen Minznote leicht gehoben. So, als würde ein nervöser Verführer noch rasch ein Tic-Tac-Dragée lutschen, bevor er zum ersten Anbaggern voranschreitet und sein Mundgeruch ihn dabei nicht in Stich lassen soll.

Die Hölzer geben dem Ganzen eine gewisse Stabilität, sonst würde der süßliche Pudding hier auslaufen.
Im Grunde hat man sich gedacht, einen einzigen Wirkstoff mit etwas Eau de Toilette bzw. Cologne zu drapieren.
Bis zum Ende des Duftverlaufs wird die süßliche Moschusnote tonangebend sein.

Noch etwas, sobald man sich ein wenig körperlich anstrengt, erwacht der Moschus auf der Haut wieder von Neuem.
Schon ein wenig unheimlich, aber zum Glück bei einer durchschnittlichen Haltbarkeit zu ertragen.

Und nun zum Verkaufserfolg, welchen ich mir wie folgt zu erklären versuche.
Wie bei vielen verblüffend einfach gestrickten US-Verkaufsschlagern bediente man sich hier eines sehr lauten Marketings.
Warum nicht gleich die Werbetafel auf die Packung kleben? Spart Geld und jeder hat sie irgendwann in der Hand.
Ein wenig soziologische Sachkenntnis, einfache Feldstudien des Zeitgeistes und fertig ist die Vorgabe für die Marketingabteilung:
Bringen Sie die sexuelle Grundstimmung in ein paar Zeilen zum Glühen!
Prompt liest man an der Verpackung Stimuli in Jahrmarktgehabe:
Ein provozierender Duft, welcher instinktiv Ihre animalischen Grundbedürfnisse beruhigt und dennoch steigert.
Er ist kraftvoll, stimulierend, unglaublich und dennoch legal.
Er ist unmissverständlich männlich.
Mit langanhaltenden Kräften, die mit Ihnen mithalten.
Er wird nicht mehr Frauen in Ihr Leben bringen, aber mehr Leben in Ihren Frauen.
Er ist ein Signalduft.
(Hier übersetze ich frei die Sprüche auf der ursprünglichen Verpackung.)
In der aktuellen Verpackung liest sich der deutsche Text wie folgt:
Sobald Jovan Musk Ihre Haut berührt, entfaltet sich der aufregende Duft. Männlich. Kraftvoll. Auffallend. Die pure Anziehungskraft.

Boy, oh boy, Jovan hatte damals tatsächlich den Nerv der Zeit getroffen.
Heute ist er sicher einer unter vielen seiner Sparte. Dennoch hat er das gewisse Etwas, so wie ein markant Netter, nicht allzu hübsch aber…
Keine weiteren Details!

Und, schon gewundert, warum ich so eine Überschrift gewählt habe?
Nun, 1973 kam der passende Film, der Exorzist, zum Duft raus.
Hier wurden in schockierender Weise die Forderungen der 68er Bewegung in die Seele eines unschuldigen, pubertierenden Mädchens mithilfe eines Hexenbretts eingeflößt.
Was an üblen Verbalinjurien, unkontrollierten Körperhandlungen und gar teuflischen Gelüsten von diesem zarten Wesen aus sich polternd Gehör verschaffte, war nichts anderes, als die krudeste Antwort auf die sexuelle Unterdrückung einer verklemmten Gesellschaft, Teufel hin oder her.
Zwar machte eine universitäre Elite längst schon ihr Ding. Jetzt galt es aber, diese Umwälzung groß und breit für Ottonormalverbraucher in die Hirne zu stanzen. Und wie kann man es besser hinbekommen, als mit den Mitteln des fiktiven Monsters, das alles Ungesagte rausbrüllen darf.

Übrigens, im Roman zum Film geht man eingehender auf die sexuellen Umbrüche der Zeit ein.
Und auch unser religiöser Retter in der Not, Pater Karras, ist nicht ganz frei von fleischlicher Lust. Doch im Film hat man es nur sehr dezent angedeutet.
Bei seinem kargen Einkommen hätte es dennoch für eine Pulle Musk for Men gereicht, sportlich genug war er ohnehin.

Film und Duft haben Millionen eingefahren. Am Ende heißt es doch: sex sells dummy!

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