25.04.2021 - 13:22 Uhr
FvSpee
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Colonialwaren XXII - Young at Heart (again)
Tabac Original Cologne ist für mich ein ganz besonderer, ein Herzensduft. Mit ihm fühle ich mich nicht nur bei jeder Gelegenheit sowie zu jeder Jahreszeit und Garderobe exzellent angezogen. Er wirkt bei mir auch als Panazee und Leib-Seele-Universaltonikum: Bei Müdigkeit macht er wach, bei leichter Sinnkrise oder Depression stützt er wie ein frisch gewaschenes weißes Hemd und ein perfekt geschnittener Anzug, bei Ängsten vor einem schwierigen Termin flößt er Zuvertrauen und Sicherheit ein.
Daher habe ich über diesen Duft hier zwar schon viel geschrieben, in meinen Blogs, in Repliken zu den Kommentaren anderer und dergleichen mehr, aber immer noch keine Rezension. Ich habe immer auf die künstlerische Inspiration zu einem besonderen, literarischen Kommentar gewartet. Da der Musenkuss aber nicht erzwungen werden kann und die Zeit flieht, wird es nun ein ganz schlichter Kommentar: form follows function.
Was Lederdüfte angeht, ist in diesem Forum schon oft beschrieben worden, dass es im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten parfümhandwerklichen Ansätze gab, sich der Idee 'Leder' zu nähern. Ein Lederduft der Generation 'Knize Ten' riecht völlig anders als zum Beispiel 'Tuscan Leather', weil sich beide Düfte dem Thema von einer anderen Seite und mit anderen Mitteln nähern.
Ich denke, so verhält es sich auch mit Tabakdüften, auch wenn, soweit ich sehe, zu diesen hier im Forum bisher viel weniger klassifiziert und debattiert worden ist. Einer der ältesten Pfade der Annäherung dürfte von Caron 1919 mit dem Klassiker 'Tabac Blonde' beschritten worden sein. Der Duft hat viele Verehrer, ich kann mit ihm nichts anfangen und rieche auch keinen Tabak. Vielleicht kommt das noch. Der wahrscheinlich neueste Ansatz ist vermutlich stark chemisch unterstützt und evoziert in einer fotorealistischen Weise den Geruch von feuchtem, hellen Virginiatabak, oft zusammen mit einer Fruchtnote. Man meint, in der filterlosen frischen Zigarette drin zu sitzen, mit einer Schale Früchte davor. Ein Beispiel dafür wäre Veleno Doré von LM aus dem Jahre 2017 (die Fruchtnote ist hier Kirsche), ähnlich finde ich Ambre Tabac von Daniel Josier (Pfirsisch).
Tabac Original, zeitlich in der Mitte zwischen diesen beiden Ansätzen, ist wiederum völlig anders. Tabac Original ist ein Geniestreich. Sein Geruch ist absolut unverwechselbar und so leicht wiederzuerkennen wie der Große Wagen am Sternenhimmel. Es gibt keine mir bekannten Duftzwillinge (nicht mal Duftcousins) unter den bekannteren Marken. Einzig im Bereich der türkischen Kolonyas habe ich - verblüffend gute übrigens - Nachbauten entdeckt, insbesondere Tütün (deutsch: Tabak) von Eyüp Sabri Tuncer und Tütün Kolonyasi von Taris Incir Birligi. Sie unterscheiden sich in Nuancen vom Original, insbesondere sind sie etwas heller und leichter.
Riecht Tabac Original nach Tabak? Ich weiß es nicht. Vielleicht eher nicht. Tabac Original bietet fast das gesamte Spektrum eines klassischen zitrischen Colognes: Zitrone, Bergamotte, Neroli - dieser fettgedruckt verstärkt durch Petitgraindoppelung und Lavendel. Diese Noten treten aber nie alleine auf. Man riecht das Cologne heraus aus dem tiefen Inneren dieses diesem Duftes, aber man fühlt sich nie an leichte Sommerfrische erinnert, auch nicht in den allerersten Haarspitzensekunden der Kopfnote.
Von den klassischen Farina-Noten fehlt (nur) Rosmarin, das ist bezeichnend, denn dieser Duft ist garantiert grünfrei. Stattdessen wird der kölnischen Zitrik alles an holzigen und anderen braunen Noten zugesellt, was die Parfumeurswelt in den 50-er Jahren so zu bieten hatte. Die Nase des Betrachters wird mit Eichen- und Sandelholz sowie (gut verbaut) Vetiver geradezu zugebolzt, warmes bernsteinfarbenes Ambra kommt hinzu. Gewürze aus dem Küchenschrank wie Piment, Anis oder Gewürznelke sind (anders als in Old Spice, der in eine ähnliche Richtung zielt) allenfalls sparsam vertreten. Dafür hätte ich den aus den 80-ern bekannten maskuline Muskatellersalbei vermutet. Er ist hier nicht angegeben, vielleicht wird eine ähnliche Wirkung durch Kamille und Rosengeranie erzielt.
Die Wirkung habe ich bereits beschrieben: Der Duft ist extrem klar, markant, maskulin. Er hat Kante und Biss, strafft und zentriert den Träger, strahlt aber zugleich eine Aura von Wärme und Geborgenheit aus. Trägt man diesen Duft, kann man der Welt vielleicht nicht getröstet, aber immerhin getrost entgegentreten.
Lassen wir Nischenmarken wie Harry Lehmann außen vor, ist für mich Tabac Original auf der Herrenseite das, was Tosca bei den Damendüften ist: Nummer 1 der deutschen Beiträge zum Duft-Weltkulturerbe. Ironischerweise sind beide Düfte heutzutage für nahezu umsonst zu bekommen.
Der Name des Parfumeurs, über den ich nichts weiter in Erfahrung bringen konnte, klingt ganz klar weniger deutsch als katalanisch. Es scheint da in der Adenauerzeit eine Achse Barcelona - Stolberg (Rheinland) gegeben zu haben, die ich jedenfalls nicht rekonstruieren kann, vielleicht können andere weiterhelfen.
EdT, EdC und After Shave sollen jeweils leicht unterschiedlich komponiert sein. Ich halte das Cologne jedenfalls für den Goldstandard. Es hält lange genug, um als EdT durchzugehen.
Nicht ausbleiben kann ein Wort zum Image des Duftes als 'Opaduft': Zweifellos war Tabac Original zu einer bestimmten Zeit vielleicht in den 60-ern, sehr weit verbreitet: Eine Art Aventus oder One Million früherer Kalpas. Es ist verständlich, dass der Sound von Tabac Original dann irgendwann nicht mehr modern war und andere Duftrichtungen an der Reihe waren. Dazu kommt, dass es sicher ein zwei Jahrzehnte gab, in denen es im Kampf um die Weitergabe der eigenen Gene ein komparativer Nachteil sein konnte (aber schon damals nicht unbedingt musste!), wenn man im Balzritual das umworbene Weibchen nasal an dessen Vater erinnerte.
Wie dem auch sei, das alles ist schon wieder lange genug vorbei. Ich selbst bekomme für diesen Duft besonders viel Komplimente von bedeutend jüngeren Damen. Gut, ich bin alt genug, als dass "bedeutend jünger" z.B. auch 35 sein kann. Gleichwohl oder gerade deshalb: Ich halte Tabac Original gerade für die Generation der wirklich jungen Männer (20 bis 30) für einen echten Geheimtipp, und sei es zunächst einmal testhalber. Denn der Duft ist bei einem lächerlich geringen Preis von exzellenter handwerklicher Qualität und hat unendlich viel Charakter. Und ich meine, dass es allemal auf einen Versuch ankommt, ob ich nicht mit der Behauptung recht behalte, dass dieser Duft dazu geschaffen ist, um sowohl den jungen Träger selbst als auch sein angebetenes Gegenüber (w/m/d) ganz kolossal zu begeistern, und das durch Zeitablauf heute auch wieder garantiert frei von ödipalen oder elektralen Komplexen.
Daher habe ich über diesen Duft hier zwar schon viel geschrieben, in meinen Blogs, in Repliken zu den Kommentaren anderer und dergleichen mehr, aber immer noch keine Rezension. Ich habe immer auf die künstlerische Inspiration zu einem besonderen, literarischen Kommentar gewartet. Da der Musenkuss aber nicht erzwungen werden kann und die Zeit flieht, wird es nun ein ganz schlichter Kommentar: form follows function.
Was Lederdüfte angeht, ist in diesem Forum schon oft beschrieben worden, dass es im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten parfümhandwerklichen Ansätze gab, sich der Idee 'Leder' zu nähern. Ein Lederduft der Generation 'Knize Ten' riecht völlig anders als zum Beispiel 'Tuscan Leather', weil sich beide Düfte dem Thema von einer anderen Seite und mit anderen Mitteln nähern.
Ich denke, so verhält es sich auch mit Tabakdüften, auch wenn, soweit ich sehe, zu diesen hier im Forum bisher viel weniger klassifiziert und debattiert worden ist. Einer der ältesten Pfade der Annäherung dürfte von Caron 1919 mit dem Klassiker 'Tabac Blonde' beschritten worden sein. Der Duft hat viele Verehrer, ich kann mit ihm nichts anfangen und rieche auch keinen Tabak. Vielleicht kommt das noch. Der wahrscheinlich neueste Ansatz ist vermutlich stark chemisch unterstützt und evoziert in einer fotorealistischen Weise den Geruch von feuchtem, hellen Virginiatabak, oft zusammen mit einer Fruchtnote. Man meint, in der filterlosen frischen Zigarette drin zu sitzen, mit einer Schale Früchte davor. Ein Beispiel dafür wäre Veleno Doré von LM aus dem Jahre 2017 (die Fruchtnote ist hier Kirsche), ähnlich finde ich Ambre Tabac von Daniel Josier (Pfirsisch).
Tabac Original, zeitlich in der Mitte zwischen diesen beiden Ansätzen, ist wiederum völlig anders. Tabac Original ist ein Geniestreich. Sein Geruch ist absolut unverwechselbar und so leicht wiederzuerkennen wie der Große Wagen am Sternenhimmel. Es gibt keine mir bekannten Duftzwillinge (nicht mal Duftcousins) unter den bekannteren Marken. Einzig im Bereich der türkischen Kolonyas habe ich - verblüffend gute übrigens - Nachbauten entdeckt, insbesondere Tütün (deutsch: Tabak) von Eyüp Sabri Tuncer und Tütün Kolonyasi von Taris Incir Birligi. Sie unterscheiden sich in Nuancen vom Original, insbesondere sind sie etwas heller und leichter.
Riecht Tabac Original nach Tabak? Ich weiß es nicht. Vielleicht eher nicht. Tabac Original bietet fast das gesamte Spektrum eines klassischen zitrischen Colognes: Zitrone, Bergamotte, Neroli - dieser fettgedruckt verstärkt durch Petitgraindoppelung und Lavendel. Diese Noten treten aber nie alleine auf. Man riecht das Cologne heraus aus dem tiefen Inneren dieses diesem Duftes, aber man fühlt sich nie an leichte Sommerfrische erinnert, auch nicht in den allerersten Haarspitzensekunden der Kopfnote.
Von den klassischen Farina-Noten fehlt (nur) Rosmarin, das ist bezeichnend, denn dieser Duft ist garantiert grünfrei. Stattdessen wird der kölnischen Zitrik alles an holzigen und anderen braunen Noten zugesellt, was die Parfumeurswelt in den 50-er Jahren so zu bieten hatte. Die Nase des Betrachters wird mit Eichen- und Sandelholz sowie (gut verbaut) Vetiver geradezu zugebolzt, warmes bernsteinfarbenes Ambra kommt hinzu. Gewürze aus dem Küchenschrank wie Piment, Anis oder Gewürznelke sind (anders als in Old Spice, der in eine ähnliche Richtung zielt) allenfalls sparsam vertreten. Dafür hätte ich den aus den 80-ern bekannten maskuline Muskatellersalbei vermutet. Er ist hier nicht angegeben, vielleicht wird eine ähnliche Wirkung durch Kamille und Rosengeranie erzielt.
Die Wirkung habe ich bereits beschrieben: Der Duft ist extrem klar, markant, maskulin. Er hat Kante und Biss, strafft und zentriert den Träger, strahlt aber zugleich eine Aura von Wärme und Geborgenheit aus. Trägt man diesen Duft, kann man der Welt vielleicht nicht getröstet, aber immerhin getrost entgegentreten.
Lassen wir Nischenmarken wie Harry Lehmann außen vor, ist für mich Tabac Original auf der Herrenseite das, was Tosca bei den Damendüften ist: Nummer 1 der deutschen Beiträge zum Duft-Weltkulturerbe. Ironischerweise sind beide Düfte heutzutage für nahezu umsonst zu bekommen.
Der Name des Parfumeurs, über den ich nichts weiter in Erfahrung bringen konnte, klingt ganz klar weniger deutsch als katalanisch. Es scheint da in der Adenauerzeit eine Achse Barcelona - Stolberg (Rheinland) gegeben zu haben, die ich jedenfalls nicht rekonstruieren kann, vielleicht können andere weiterhelfen.
EdT, EdC und After Shave sollen jeweils leicht unterschiedlich komponiert sein. Ich halte das Cologne jedenfalls für den Goldstandard. Es hält lange genug, um als EdT durchzugehen.
Nicht ausbleiben kann ein Wort zum Image des Duftes als 'Opaduft': Zweifellos war Tabac Original zu einer bestimmten Zeit vielleicht in den 60-ern, sehr weit verbreitet: Eine Art Aventus oder One Million früherer Kalpas. Es ist verständlich, dass der Sound von Tabac Original dann irgendwann nicht mehr modern war und andere Duftrichtungen an der Reihe waren. Dazu kommt, dass es sicher ein zwei Jahrzehnte gab, in denen es im Kampf um die Weitergabe der eigenen Gene ein komparativer Nachteil sein konnte (aber schon damals nicht unbedingt musste!), wenn man im Balzritual das umworbene Weibchen nasal an dessen Vater erinnerte.
Wie dem auch sei, das alles ist schon wieder lange genug vorbei. Ich selbst bekomme für diesen Duft besonders viel Komplimente von bedeutend jüngeren Damen. Gut, ich bin alt genug, als dass "bedeutend jünger" z.B. auch 35 sein kann. Gleichwohl oder gerade deshalb: Ich halte Tabac Original gerade für die Generation der wirklich jungen Männer (20 bis 30) für einen echten Geheimtipp, und sei es zunächst einmal testhalber. Denn der Duft ist bei einem lächerlich geringen Preis von exzellenter handwerklicher Qualität und hat unendlich viel Charakter. Und ich meine, dass es allemal auf einen Versuch ankommt, ob ich nicht mit der Behauptung recht behalte, dass dieser Duft dazu geschaffen ist, um sowohl den jungen Träger selbst als auch sein angebetenes Gegenüber (w/m/d) ganz kolossal zu begeistern, und das durch Zeitablauf heute auch wieder garantiert frei von ödipalen oder elektralen Komplexen.
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