Private Label von Jovoy

Private Label 2011

Undine
26.12.2012 - 17:13 Uhr
Top Rezension
10
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
6
Duft

Schwelbrand in der Bibliothek?

Der erste Duftsprüher schaltet das Kopfkino ein. Und was für eins! Ich bin – im Kino. Oder im Lesesessel? Jedenfalls mittendrin in Umberto Ecos "Der Name der Rose". Im labyrinthischen Treppenhaus des Klosterturms steige ich vom Skriptorium empor zur Bibliothek – und es riecht alarmierend. Rauchig. Zwar nicht nach dem Rauch eines lichterloh lodernden Feuers. Aber den dunklen hölzernen Regalen, den schweren Folianten aus handgeschöpftem Papier, den ledernen Bucheinbänden, den betagten Pergamenten, den Papyrusrollen aus uralter Zeit ist offenbar heiß, viel zu heiß. Da schmort was. Schnell, rettet die Bücher, die Schriften, das kollektive Gedächtnis, die Kultur!

Das Mobiltelefon fliegt mir regelrecht in die Hand, mit bebenden Fingern wähle ich die 112: "Schwelbrand in der Bibliothek, beeilen Sie sich bitte!" – "Unsere Leute sind schon da", antwortet der Feuerwehrmann, "aber nur vorsichtshalber. Der Bibliothekar hat vor ein paar Minuten Bescheid gesagt, dass er den Klimatechniker gerufen hat; wahrscheinlich spinnt wieder die Klimaanlage." Eine halbe Stunde später – der Rauchgeruch ist immer noch unverkennbar – kommt der Spezialist aus dem Keller: "Die Automatik hatte irrigerweise aufs 'Wassergefahr'-Programm umgeschaltet: Heizen, heizen, heizen, Luft trocknen. Ist korrigiert, sollte bald alles wieder normal sein. Ich gehe mal die Sensoren checken, mindestens einer muss kaputt sein."

Ganz beruhigt bin ich noch nicht. Der Bibliothekar auch nicht. Doch der Techniker behält Recht. Die Temperatur sinkt, die Luftfeuchtigkeit steigt, eine Stunde später ist der Rauch verweht. Jetzt ledern Folianten und Pergamente milde vor sich hin. Die Wintersonne bringt Spinnweben und Staub ans Licht, auch olfaktorisch. Und sie lässt duftendes Harz aus dem frischen Holz tropfen, aus dem die Tischler neue Regale bauen wollten (der Bibliothekar hat das Billigmaterial erzürnt zurückgewiesen, die Handwerker haben es dann einfach vorm Fenster stehen lassen).

Graugrüne und dunkel-balsamische Aromen mischen sich ein. Der Bibliothekar zieht die Brauen hoch: Was ist das? Woher kommt es? Beim Kontrollgang durch den Lesesaal findet er die Quelle. Auf einem unbesetzten Tisch steht ein Metallkästchen mit Räucherkram, ein paar Vetiverblätter, ein paar Patchouli-Stengel, ein paar Krümel Zistrosenharz. Das Metall ist heiß – der Leser hat daneben seine Brille zurückgelassen, und die Wintersonne hat ihr Werk getan. Bedächtig rückt der Bibliothekar Kästchen und Brille in den Schatten...

Kopfkino aus: Ein faszinierendes Dufterlebnis. Aber allzu oft wiederholen möchte ich es nicht. Denn die erste halbe Stunde, das haben die VorschreiberInnen ja schon gesagt, ist laut, wild, zum Fürchten. Und auch die nächste Stunde will kämpferisch durchgestanden sein... Man muss, denke ich, schon ziemlich hart im Nehmen sein, um dieses Parfum zu tragen – ich bekenne: Ich bin es nicht. (Ob Jovoy mit dem wunderlich tiefstapelnden Namen "Private Label" wohl darauf hinweisen will, dass dieses Parfum nur für besonders gefestigte Naturen taugt?!?)

@Piladilibri: Ich bitte um Nachsicht, dass ich mich für meine Geschichte bei deinem Avatar bedient habe. Aber nur so – die Brille! – kriegte ich die Basisnote des Duftes mit rein ins spontane Kopfkino :-).
3 Antworten
Zauber600Zauber600 vor 11 Jahren
Fantastischer Kommi. Zu einem Irrsinnsduft. Danke, Undine ..aber nur 60% ??
Medusa00Medusa00 vor 13 Jahren
ich glaube das wäre mir auch zuviel
AavaAava vor 13 Jahren
Grandioser Kommentar. Ich find die Kopfnote aber tatsächlich sogar ziemlich genial :)