Louce
15.07.2012 - 14:25 Uhr
5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
8
Duft

BLUTorangensaftkonzentrat in zartem Moschuszaumzeug

Die Sache mit dem Orangenduft hatte ich eigentlich aufgegeben. Die meisten vornehmlich orangigen Parfums finde ich spannungs- und daher belanglos.
Um nicht unfair zu sein: Orange ist an sich ein schöner Duft! Erfrischend, sommerlich, leicht süßlich ohne dafür den Frische-Elan aufzugeben, manchmal mit einer kleinen Bitternote versehen, richtig kühl wirkend oder mit warmem Gewürz in die andere (oft weihnachtlich wirkende) Richtung betont, immer auf eine ganz selbstverständliche Art naturalistisch.
Aber gleichzeitig ist Orangenduft so bekannt. So entsetzlich uralt und wohlbekannt, so gewohnt und damit irgendwie langweilig. Wir kennen diesen Geruch so gut aus dem Alltag, dass er nicht erstaunt und überrascht. Um der Orangen-Routine etwas entgegen zu setzen, muss ihr in Parfum etwas beigegeben werden, sie muss auf irgendeine neue Weise inszeniert werden, um (zumindest von mir) nicht sofort wieder erkannt und achselzuckend abgehakt zu werden. Ein paar schöne und spannende Orangenakkorde habe ich kennen gelernt – allerdings in dezidiert männlichen Parfums.

Der Mecheri-Orangenduft "Sanguine" reizte mich dann doch noch mal zu einem hoffnungsvollen Test. Von "Mulholland" kenne ich Keiko Mecheris ungeheuer spannenden Umgang mit einem (an sich selbstläuferisch naturalistisch wirkenden) Hesperidenakkord, der abstrakt und betont künstlich arrangiert wird und dadurch einen für solche Noten untypischen, großen und vibrierenden Spannungsbogen erhält.
Und tatsächlich: Ganz ähnlich wird hier, in "Sanguine", mit der Orange umgegangen. Aber nicht unmittelbar: Zunächst ist da eine rundweg natürliche Vollnaturorange... und zwar eine wahrhaftige BLUTorange! Sie knallt, sie nimmt mit Wucht breiten Raum und hat eine Power, dass einem Bange wird!
Eine Anfangszitrone unterstreicht zuerst die Drastik des vehement extremfruchtigen BLUTorangenakkords und wenn man sich dann verdattert blinzelnd nach dem ersten lauten Zitro-Orangentusch wieder der besprühten Haut zuwendet, hat sich dieses kurze Zitrönchen vielleicht schon verdünnisiert und vollends Platz gemacht für die eindringliche, unzweideutige und in wahrstem Wortsinne unverblümte BLUTorange. Sie ist superfrisch, schön sauer, dabei ein wenig süß, ungemein fruchtig und so voll, wie es gar nicht voller geht. So wuchtig wie sie ist, ist da wenig Platz für etwas Graziles oder Zartschwingendes.
Eine schöne Note. Das macht Spaß, das lässt lächeln beim Riechen.
Aber eben nur für ein paar Minuten.
Das altbekannte Orangenproblem.
Keine Spannung, kein Grund für Vertiefung und Erkundung…
… dachte ich nach der Kopf- und frühen Herznote.
Aber halt!
Da kommt was anderes. Da ist noch was ganz anderes!
Kaum hat sich dieses BLUTorangensaftkonzentrat in aller heftigen Pracht entfaltet, wächst daneben eine kleine, feine Moschusnote. Bewusst künstlich und komplett abstrakt funktionierend begehrt da etwas auf. Plötzlich lohnt sich intensives Nachschnuppern. Dieser anmutige, sanfte Moschusakkord nimmt sich jeden Raum, den die schneller verdunstende BLUTorange nicht mehr halten kann und Stück für Stück ändert sich ganz langsam die Gewichtung von „Sanguine“. Mit dem späten Herz ist ein balanciertes, leicht vibrierend-bitzelndes Gleichgewicht erreicht. Die BLUTorange strahlt hell und spritzig und daneben mildert und pudert ein ungemein weicher Moschus.
Dann übernimmt der ehemals kleine und so zierliche Moschus das Regiment und bestimmt ab jetzt das Parfum. Er nimmt die BLUTorangennote an seine sachten Zügel.
Es bleibt viel Orange noch sehr lange zu riechen, wenn die Moschusbasis eine ganz ordentliche Zeit andauert und dann sehr langsam und leise verklingt. Sie ist allerdings nicht mehr im eigentliche Sinne „orangig“, sondern verändert: Ganz weich und anschmiegsam gemacht, hold und seidig. Es bleibt ein eindeutig abstrakt wirkender Duft, der sehr mild und süßlich, immer noch sonnig anklingend, zunehmend hautiger und feiner wird.
Der erste Orangenduft, der es auf meine Wunschliste geschafft hat.
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