Vanille Absolument
Havana Vanille
2009

IamCraving
26.08.2020 - 12:26 Uhr
14
Top Rezension
9
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
10
Duft

Hot'n Cold oder Das Beste aus beiden Welten

Wenn ich über einen Duft schreibe - und so häufig passiert das ja nicht - springt er mich meistens direkt an. Natürlich gibt es auch die Lieblingsdüfte, die, die es in einen Top-Soundso Ordner geschafft haben, die einen immer wieder berühren und beglücken und über die zu sprechen man sich lange vorgenommen hat. Doch seltsamerweise wage ich mich an diese Schätze seltener heran, als an jene Parfums, die ganz plötzlich kometenhaft aus den Tiefen unseres Duftuniversums auf mich zurasen. Das muss nicht einmal beim ersten Testen passieren, aber wenn es passiert, ist da auf einmal die unerklärliche Dringlichkeit, diese von dem Gebräu ausgelösten Sinnesregungen auszusprechen, zu teilen, ja gewissermaßen den Duft zu Worten zu machen, so wie die Programmmusik es umgekehrt mit Worten und Musik tut.

Je lyrischer also der Duft, je mehr Worte und Empfindungen bereits aus ihm heraus quellen, desto stärker die Anziehung, zu Papier und Stift zu greifen, um diese kleinen Geschichten oder auch bloße Sinnesfetzen aufzulesen und lesbar zu machen.

Mit Vanille Absolument ging es mir ebenso, es ist wahrlich ein Duft von dem gesagt werden kann, er habe „Charakter“. Aber nicht nur das, er ist ganz und gar ungewöhnlich, provoziert einen Double Look, oder eben Double Sniff, so überraschend ist sein Auftakt, seine Übergänge, seine Bilder.
Das verblüffendste ist wohl diese unfassbar - und das meine ich wörtlich - glatte und kühle Vanille, die schon in der Kopfnote angerollt kommt, wie eine glänzende Billardkugel und die die übrigen in Dreiecksform angeordneten Duftkugeln auseinander stieben lässt.

Wie die knackige Luft in einer Tropfsteinhöhle und ebenso glatt wie die vom klaren Wasser geschliffenen Stalaktiten ist der pointierte Duft von dieser Vanille.
Deshalb gefällt sie mir auch so, der ich normalerweise von vanillelastigen Kompositionen weniger eingenommen bin, denn sie verweigert sich all den vielen über die Maße süß-klebrigen, ins Koma gekuschelten Plätzchen-Kreationen, und auch ihre sanfte Wärme sucht sich einen verschnörkelten, langsam bestiegenen Weg.

In die kathedralen-hohe Höhle, deren Stein so schwarz ist wie die Schote, nach der sie duftet, dringt mit dem Wandern der Sonne auf einmal ein zaghafter Lichtstrahl durch einen Spalt. So schlank er auch ist, er erwärmt die Stelle, auf die er am Boden trifft mit seiner balsamischen Umarmung.
Jetzt wirkt der Duft wie eine mit sich selbst gelayerte Collage, eine zweifarbige Kordel, die an der feuchten Steinwand herunterbaumelt, ein filmischer Einstellungswechsel, eine dynamische Parallelmontage, die zwischen der andauernden Kühle und der wabernden Würzigkeit, die sich durch Tabakblätter und Tonkabohne ankündigt, hin und her springt, eine Fotografie, deren Licht- und Schattenspiel unsere vielen Bewusstseinsschichten, Untiefen, Wünsche, Extreme und verdrängten Potentiale verkörpert.
Mit etwas Abstand streichelt uns noch die angenehm frische Luft, ganz kalt ist sie, wenn wir sie einsaugen, doch wenn wir näher kommen und je länger die runden Moleküle den Raum erfüllen, desto mehr breiten sich eine wohlige Würze und unkitschige Süße aus, die an Datteln mit Mandelmuß, Whisky, und Harz erinnern.

Das Finale ist bescheiden, es gesellt sich vermehrt die unaufdringliche Süße der Benzoe zu den Hauptakteuren und sorgt für eine seidene Rundheit, die ihresgleichen sucht.

Dass ein Duft auf zwei Spuren - ein Rad gleitet über die eisglatte Schiene durch luftige Höhen, das andere erzeugt in der Kurve Druck und somit Wärme - in Richtung seines herrlich lustvoll herausgezögerten Finales rauschen kann, habe ich bisher selten erlebt und darin besteht die größte Freude beim Beobachten der Entwicklung dieser weit empfundenen und facettenreichen Schöpfung.
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