IamCraving
04.10.2021 - 13:07 Uhr
16
Top Rezension
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Am Ende kommt ein Wal und macht alles fein

Und wieder einmal träume ich.
Träume mich in dieses lang ersehnte Duftwasser, das zur Sehnsucht selbst geworden ist.
Sehnsucht wonach? Nach Aufbruch.

Dabei wollte ich anfangs gar nicht träumen.
Hellwach trifft das wolkige Nass auf meine Haut.
Im aufdringlichen Licht eines frühen Nachmittages, der an Halskratzen erinnert.
Halbwegs klar im Kopf: Einatmen.
Und während ich immer noch in der Welt, im aufgeräumten Raum stehe, breitet sich das Kissen aus.
Es ist ein mit Lavendel Gefülltes und ich denke "Himmel, nein! Ich will nicht, ich will doch wach bleiben!"
Doch zu spät, der vertraute, trocken-bürgerliche Duft betäubt meine Sinne, ich sinke mit flatternden Lidern auf seinen violetten Leinenbezug und falle tief.

Durch Schichten, in Schächte, deren Geschichten ich nie kannte.
Ins Tiefe, das mich zu rufen schien.
Die knuspernden Lavendelkapseln waren nur die Lockung, der Käse in der Mausefalle.
Also falle ich.
In den Schlaf und in die Träume, deren sich selbst spinnender Faden aus Duft gemacht ist.
Langsam weicht der großmütterlich projizierende Köder auf, sein Duft ist nicht mehr zahnlos und schweräugig, er wird kühl und Tau benetzt.

Ich hocke in der schwärzesten Ecke eines dunklen Gewölbes, kaum ein Lichtstrahl kommt hier an, es riecht ein bisschen nach Kohlekeller und frischem Schlamm.
Drahtige, wolfsgroße Gestalten mit fuchsartigen Schweifen tummeln sich in der Mitte dieses verschwommenen Ortes, sie lecken den süßen Tau von den Lavendelköpfen und machen dabei abgehackt erregte Geräusche. Ihre Rudellaute haben die Dreckigkeit von schwitzendem Labdanum und während ihre Zungen über den kniehohen Lavendel hobeln verwandelt sich dieser in viele hunderte Zypressen, deren schickliche Staturen im Nichts der deckenlosen Höhe verschwinden.
Ihr säuerliches Holzaroma zieht meine Mundwinkel trotz wild klopfenden Herzens nach oben.
Die Gestalten scheinen jedoch gar nicht erfreut ob dieser wundersamen Beendigung ihrer Tautropfen-Orgie.
Nun werfen sie, gewillt zu wissen, wer diesen Zauber herbeiführte, ihre gesichtslosen Köpfe umher und obwohl ich mich so klein mache wie eine Mimose beim Tango Tanzen, richten sich erst ein, dann zwei dann alle Blicke auf mich.
Veilchenblatt-raue Panik schabt meine Innenwände ab und während die Gestalten sich wie in Trance auf mich zubewegen, bemerke ich, dass die Zypressen nicht nur nach oben, sondern auch nach unten wachsen. Überall wo ein Baum steht und normalerweise Wurzeln den Boden massieren sollten, erstreckt sich das federförmige Gewächs wie achsengespiegelt in weitere Untiefen des Raumes.
Ich taumel also wie ferngesteuert zur mir nächsten Zypresse und stürze mich in das umumrissene Loch im Boden, durch das ihr Zwilling nach unten strebt.

Wieder falle ich und wo es eben noch nach viechigem Atem, düsteren Visionen und verlebt Organischem roch, offenbart sich nun die Ahnung nach reiner Luft.
Ich hatte ganz vergessen zu atmen, doch nun, da es durch meine geschlossene Haut hell wird, macht sich eine mitternachtsblaue Seligkeit in meiner Nase breit und ein plötzlicher Schwall ozeanischer Wildheit durchspült mich und kreischt mich an, so dass ich fast aufwache.

Landung im nassen Element.
Tatsächlich hat es mich in die tiefsten Tiefen der Überweltenmeere verschlagen.
Doch hier herrscht auf dem Grund keine Finsternis, im Gegenteil, kalkweiß ist das Wasser und so aufregend duftet es, dass meine Kiemen sich gierig vollsaugen.
Metallisch, gewächsig, aufbrausend, wellig, knarzend, grünstänglig.
Ein Wal, kaum größer als ein Seepferdchen, streift mein Bein, schwimmt grußlos an mir vorüber und scheidet ein Mohnsamen ähnliches Korn aus.
Ich weiß, was zu tun ist und schwebe so nah an das kleine Gebilde heran, bis ich seine unebene, flimmernde Oberfläche sehen kann, dann schlucke ich es mit einer großen Ladung Salzwasser herunter.

In mir ist Dunkelheit.
Einverleibt und abgesunken im schwarzen Gewölbe, ist sie nur schwierig heraus zu kratzen.
Doch in mir beginnt es zu flackern.
Aus dem Flackern des winzigen Klümpchens wird ein sanftes Glimmen, erst fragend, dann bestimmter, bis es warm zu leuchten beginnt und mein Körper sich auflösen will in seinem durchdringenden Licht und dem erhitzten, strahlenden Wasser, das alles umgibt.

Derartig ausgefüllt und eingehüllt falle ich.
Nach oben.
In das herbe Dicht von Baumnadeln,
in das fahle Licht des Meeresnebels,
in das weiche Nichts des Erwachens.
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