Encre Noire à L'Extrême 2015

GusPolinski
21.08.2022 - 16:29 Uhr
22
Top Rezension
10
Preis
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft

Nase zu und durch!

Wer sich heutzutage für Düfte interessiert, kommt nicht umhin früher oder später mit dem Namen "Encre Noir" konfrontiert zu werden. Die mitunter verstörend wirkenden Duftbeschreibungen machen neugierig - oder schrecken ab, je nachdem.
Da ich den Duft nirgendwo im Einzelhandel finden konnte um ihn zu testen, hab ich schließlich den ersten Blindkauf meines Lebens gewagt, mich dabei allerdings an die "Extrem"-Variante gehalten, da diese angeblich vielschichtiger und nicht ganz so 'seelenräuberisch' wie das Original ist, dieses aber dennoch gut erkennen lässt. Inwieweit das zutrifft kann ich nicht beurteilen, ich habe das Original immer noch nicht gerochen. Was ich jedoch sagen kann ist, dass auch mich trotz (oder vielleicht gerade wegen(?)) aller Warnungen ein tiefes Befremden überkam als ich den Duft das erste Mal aufsprühte. Dieses Gefühl beschleicht mich nach wie vor. Da ich mittlerweile jedoch weiß, wo der Duft schließlich mündet, kann ich seiner avantgardistischen Eröffnung mitunter sogar etwas positives abgewinnen. Aber der Reihe nach...

Für mich riecht das Ganze im ersten Moment wie ein Satz arzneimittelgetränkter Mullbinden, deren muffig-feuchte Tranigkeit mit dem baldigen Einsetzen der ganz und gar unpudrigen Iris eine wachsige medizinisch-textile Richting einschlägt, so dass mich der Geruch zunehmend an ein mit Lippenstift bekritzeltes Heftpflaster erinnert.

Einige Minuten darauf beginnt sich mir dann der Name der Duftreihe zu erschließen: Es fängt tatsächlich an zu riechen wie zähflüssig gewordene Tinte!
In diesem Zustand verharrt der Duft einige Zeit, bevor fast unmerklich so etwas wie eine langsame aber stetige Diffusion der bis hierhin mattgrauen Masse einsetzt, als fließe sie in planvollen Bahnen in alle Richtungen auseinander, um doch noch Klarheit darüber zu schaffen, dass sie mehr kann als nur komisch zu riechen. Glühwurmartig beginnen sandkorngroße Fragmente trockener Holztöne die opake Duftumgebung zu erhellen, ganz so als wollten sie eine Idee dessen was noch kommen mag heraufbeschwören, gerade genug, um den Duftsuchenden nicht alle Hoffnung aufgeben zu lassen. Für sich allein betrachtet zunächst noch herb und distanziert, im Kontext ihrer Selbstoffenbarung jedoch beinahe sympathisch und - wenigstens mir - wohlgesonnen.
Nunmehr ergibt sich vor meiner geistigen Nase das Bild eines frisch angespitzten Bleistifts, dessen Mine allerdings nicht aus Graphit sondern aus mittlerweile ausgehärteter Tinte besteht. Das Thema 'Schreibutensilien' bleibt uns also erhalten.

Im weiteren Verlauf tritt dieser Aspekt zunehmend in den Hintergrund, verschwindet aber nicht gänzlich, sondern bildet fürdahin das Fundament eines zwar fragil wirkenden, aber doch erstaunlich widerständigen Aufbaus aus holzigen und minimal harzigen Nuancen. Betonung findet hierbei nicht das saftige Kern- sondern das trockenharzige Splintholz, dessen helles Timbre in ein faszinierendes Spannungsverhältnis mit dem eher freud- und humorlosen Unterbau tritt und vor diesem Hintergrund streiflichtartig beinahe frisch und rasierwasserhaft wirkt.
An dieser Stelle ist die Metamorphose abgeschlossen; der Duft ist angekommen. Endlich!

Trotz seiner 'Leuchtspuren', würde ich nicht soweit gehen zu behaupten es handele sich bei "Encre Noir à L'Extrême" um einen netten oder gar charmanten Duft. Ebenso wenig ist er abweisend oder düster. Vielmehr wirkt er auf mich reserviert, abwartend und ein kleines bisschen so, als wolle er nicht alles von sich preisgeben.
Wollte man versuchen ihm ein Statement über sich selbst zu entlocken, lautete dieses vermutlich: "Kein Kommentar!"
9 Antworten